„Spiel’s nochmal, Soph!“, sagte sich Sophokles als 90-Jähriger und griff zu „Ödipus Tyrannos“, seinem Drama vom schuldlos Schuldigen mit Vatermord, Inzest, Selbstbestrafung. Die Weiterführung des Stoffs, „Ödipus auf Kolonos“, zeigt uns den Geblendeten als Greis, der im Athener Vorort Kolonos Asyl fand. Dort philosophiert der Graubart über Leben und Tod. Kein Drama, ein diskursives Verklärungs- und Lebensrückschaustück, von Peter Stein im BE in zweieinhalb Stunden ohne Pause hingebungsvoll ausgebreitet zwischen Klaus Maria Brandauer als Ödipus sowie einer zwölfköpfigen Altherrenmannschaft, dem Chor. Der rhetorisch wirkmächtige, zwischen tattriger Beinahe-Jenseitigkeit und jäh auflodernder Vehemenz furios pendelnde Brandauer und der perfekt gegliederte, faszinierend vielstimmige Chor sind das Ereignis des Abends. Das zermalmt wird von langweiligen Sprechmaschinen und albernen Spielastik-Akrobaten. Sämtliche Nebenrollen sind für die Regie bloß banales Dekor: Ödipus’ Kinder (Katharina Susewind, Anna Graenzer, Dejan Bucin), sein Bruder Kreon (Jürgen Holtz) und Theseus, Herrscher von Athen (Christian Nickel) – sie alle verpatzen in ihrer Plattheit eine Vergegenwärtigung des antiken Textes in Steins griffiger Neuübersetzung.
Text: Reinhard Wengierek
Foto: Salzburger Festspiele/ Monika Rittershaus
tip-Bewertung: Zwiespältig
Termine: Ödipus auf Kolonos?
im Berliner Ensemble,
Karten-Tel. 28 40 81 55
http://www.berliner-ensemble.de/
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