Lorenzo (Gunnar Teuber) kennt man aus Shakespeares „Romeo und Julia“ als untadeligen Pater, aber im Maxim Gorki Theater ist er zum schweren Kokser mutiert. Anders sind die Nachtschichten in seinem Club V.e.r.o.n.a., wo die Aggro-Montagues gegen die Aggro-Capulets im HipHop-Battle antreten, wahrscheinlich auch nicht durchzustehen. Der junge Regisseur Nuran David Calis hat die Liebestragödie auf großstädtische HipHop-Gang-Gegenwart gebürstet.
Da die Gorki-Schauspieler aber nicht rappen und die Rapper keinen Shakespeare können, wursteln beide Kunstformen ermüdend nebeneinander her. Auch dass Shakespeares kunstvolle Verbalergüsse auch den Hauptdarstellern Annika Baumann (Julia) und Max Simonischek (Romeo) nur mit einigem Befremden über die Lippen gehen, ist der Glaubwürdigkeit der Story nicht besonders zuträglich. Mit den medienwirksam an der Inszenierung beteiligten Jugendlichen der Neuköllner Rütli-Schule wurde offenbar so wenig gearbeitet, dass sich ihre Rolle im Wesentlichen darauf beschränkt, dekorativ auf der Bühne herumzustehen. Die Ignoranz, die hier unter dem Deckmantel des hochkulturellen Gutgewissens zutage tritt, fährt einem weit tiefer in die Knochen als Julias Drogentod. Gelungener ist die allseitige Integration immerhin im Parkett. Selten sah man ein derart bunt gemischtes Premierenpublikum: ein unbestreitbarer Pluspunkt des Abends!
Text: Christine Wahl
Foto: Bettina Stöß
tip-Bewertung: Zwiespältig
Termine Romeo und Julia, Maxim Gorki Theater, Tickets unter www.tip-berlin.de/tickets
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