Interview mit Chaya Czernowin

„Schlechte Komponistinnen gibt es nicht“

Komponistin Chaya Czernowin über Ihre Oper „Heart Chamber“ und darüber, dass Komponistinnen mehr können müssen als ihre männlichen Kollegen

Chaya Czernowin, geboren 1957 in Haifa, Israel, gehört zu den bedeutendsten Komponistinnen der Gegenwart. In den 1980er Jahren studierte sie bei Dieter Schnebel in Berlin. 2005/06 war sie Artist in Residence bei den Salzburger Festspielen.
Sie ist Professorin an der Harvard University, Foto: Chris McIntosh

Interview: Kai Luehrs-Kaiser

Frau Czernowin, „Heart Chamber“ nennen Sie eine „Grand opéra“. Was ist so groß daran?

Die Beteiligten. Wir haben vier Solisten, Chor, Orchester, eine Stimmkünstlerin sowie Elektronik. Mit diesem riesigen Apparat möchte ich größtmögliche Nähe herstellen. Ein-Personen-Intimität kennen wir ja schon. Je größer das Ganze, desto frappierender die Intimität.

Ihre Protagonistin Patricia Ciofi kommt von der Belcanto-Oper. Hat Sie jemals zeitgenössische Oper gesungen?

Noch nie. Was immer sie singt, blüht melodisch auf. Nur: Auch ich komme von der europäischen Tradition. Ich denke harmonisch – und schreibe Melodien; nur eben solche, die es noch gar nicht gibt.

„Heart Chamber“ handelt von den „unerwarteten Konsequenzen der Liebe“. Was für Folgen hat sie?

Wir neigen dazu, die Liebe als etwas Schönes, Leichtes und Angenehmes anzusehen. Das ist sie nicht. Es gibt den merkwürdigen sozialen Zwang, eine Beziehung einzugehen. Und es gibt das Umschlagen der Liebe in ihr Gegenteil. Das übersieht man oft. Das ist die gefährliche Seite.

Beruht diese Feststellung auf Ihren eigenen, persönlichen Erfahrungen?

Alles ist persönlich, was ich schreibe. Wenn ich ein solches Werk komponiere, nimmt es für die Dauer dieses Prozesses die Stelle eines Mannes ein. Aber nur beinahe. Ich lebe seit 30 Jahren in einer glücklichen Beziehung.

Was tut man, damit eine Beziehung 30 Jahre anhält?

Zuhören. Das ist das Wichtigste, mitunter Schwierigste. Ein musikalisches Problem! Grundbedingung für jede Beziehung ist es, sie zu wollen. Und zwar wirklich zu wollen. Das Problem ist nur: Damit geht die ganze Arbeit erst los.

Sie sind Schülerin von Brian Ferneyhough, dem Erfinder der mikrotonalen New  Complexity, die sich nicht an die üblichen Halbton-Schritte hält. Gehören Sie dieser Richtung an?

Früher einmal, vielleicht. Auf Fluidität kommt es mir an. Und darauf, nicht zu integrieren. Für mich war Helmut Lachenmann ebenso wichtig wie Brian Ferneyhough. Ich habe mich immer besonders für Komponisten interessiert, die neue Paradigmen eingeführt haben. Nicht Schubert, sondern Schumann. Nicht Bach, sondern Beethoven, Gesualdo und Domenico Scarlatti. Ich mag Galina Ustvolskaya einfach lieber als Strawinsky.

Zwischen Musikern und Musikkritikern besteht oft eine natürliche Feindschaft. Zwischen Komponisten und Musikkritikern auch?

Nein. Ich bin von Kritikern oft unterstützt worden. Als meine zweite Oper in Salzburg herauskam, schrieb freilich ein Wiener Journalist, ich solle die Tantiemen doch gleich an den Libanon überweisen. Ich hörte, der Mann sei bekanntermaßen antisemitisch. Es hat mich vorsichtiger gemacht. Andererseits waren Kritikerworte oft der Stich, bei dem ich erst zwei Wochen später merkte, wie wahr er war.

Viele Komponistinnen sind sehr erfolgreich. Oder nicht genug?

Ich glaube, dass Komponistinnen auch heute noch viel mehr kämpfen müssen als Männer. Ich kenne zu viele mittelprächtige Komponisten, die trotzdem sehr gut im Geschäft sind. Mediokre Komponistinnen dagegen – gibt es gar nicht.

Deutsche Oper Fr 15.11., Do 21.11., Di 26.11.,
Sa 30.11., Fr 6.12., jeweils 19.30 Uhr, 26–136 €

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