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Uraufführung

Sebastian Hartmann verbindet „Lear“ mit einer Lotz-Uraufführung am Deutschen Theater

Sebastian Hartmann liebt den Nebel, den Nebel auf der Bühne und den begriffsunscharfen Nebel der großen Metaphern. An beidem fehlt es auch in seiner Inszenierung zur Spielzeiteröffnung am Deutschen Theater nicht. Hartmann verbindet einen Assoziationsreigen zu Shakespeares „Lear“ mit der Uraufführung eines grandiosen, hier als Gedankenhochbeschleunigungsmonolog uraufgeführten neuen Textes von Wolfram Lotz. Es dürfte die Uraufführung des Jahres sein.

Fiebert sich durch Wolfram Lotz’ leicht manisches Gedicht: Cordelia Wege. Foto: Arno Declair

Aber bis es soweit ist, muss man durch zwei Stunden „Lear“-Bildergarten. Der alte König, der sein Reich unter seinen drei Töchtern aufteilen und mit dem Erbe in einer finalen Machtgeste noch einmal Zuneigung und, in seinem Fall davon kaum unterscheidbar, Unterwerfung (oder deren Geheuchel) erzwingen will, liegt hier schon auf dem Toten- und im Krankenhausbett. Was wir sehen, ist sein Fieber- und Komatraum am Rande des Exitus. Hartmann hat den sterbenden Familienkönig auf zwei stumme Palliativstationspatienten im Anstaltsschlafhemd verdoppelt (Michael Gerber und Markwart Müller-Elmau).

Tänze ums Totenbett

Die Töchter (eine großartige Linda Pöppel, Natali Seelig, Birgit Unterweger) variieren in den Tänzen ums Totenbett Versuche von Abstand und Annährung, von Was-ich-dir-schon-immer-sagen-wollte-Redeschwall bis Restzärtlichkeit bis Schuldgefühlen bis Mordphantasien, wenn der Alte einfach und endlich im Bett erwürgt wird. Vieles bleibt wirr.

Und dann wird es spannend. Cordelia Wege, eine Ausnahmeschauspielerin, sitzt im kleinen, silberstrassgeschmückten Schwarzen (Kostüme: Adriana Braga Peretzki) an der Rampe und rast, denkt, fiebert sich hellwach, hochkonzentriert, lässig und durchlässig durch Wolfram Lotz’ leicht manisches Gedicht „Die Politiker“, ein Bewusstseinsstrom, im dem sich Kindheitserinnerungen, Selbst- und Weltbeobachtung, Momente der wahren Empfindung durchkreuzen wie in einem der Langgedichte von Rolf Dieter Brinkmann – die beste bewusstseinserweiternde Droge, die derzeit auf einer Berliner Bühne zu haben ist.

Termine: Deutsches Theater Schumannstraße 13A, Mitte

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