Vorsicht, der Titel könnte in die Irre führen und an die legendären schottischen Waldfeen erinnern, die sich im 19. Jahrhundert äußerster Beliebtheit erfreuten. Ein berühmtes frühes Spitzentanzballett hieß „La Sylphide“, die hübschen Geister standen im Ruf, reale erotische Probleme lösen zu können. Von den Sylvani, den Waldgeistern, träumten die Männer. Frauen wünschten sich, von einem Sylph „besucht“ zu werden.
Heute sind es Pornostars, die im Internet zum kollektiven Befriedigungsversuch beitragen, so ähnlich, wie unsere Vorväter die Vorstellung einer Elfe bewegte. Das jedenfalls behaupten der französische Tänzer François Chaignaud und seine Partnerin Cecilia Bengolea. Die beiden Pariser Künstler, die voriges Jahr beim Tanz im August die sexuellen Möglichkeiten des Anus auf ihre Bühnentauglichkeit hin überprüften, nehmen sich diesmal den Atem vor. Dabei stießen sie auf Sexualpraktiken, bei denen man per Latex oder Gesichtsmaske der Haut und der Lunge die Sauerstoffzufuhr nimmt. Was folgt, ist atemberaubend: vakuumverpackte Performer, deren Lungenflügel sich heben und senken wie Elfenflügel. Aber mehr auch nicht.
Ein zierliches Glasröhrchen verschafft den monströs in ölig-schwarzen Tüten verpackten Performern Luft, aber keinen Spielraum – und der Zuschauer hält selbst die Luft an. Welcher Tanz bliebe nach unserem Tod?, scheint die Frage zu sein. Wie würde man in einem neuen Leben tanzen? Man weiß es von so romantischen Balletten wie „Giselle“, dass ihr Tanz ein Kampf mit dem Tod ist. Auch hier wird dieser Kampf deutlich. Jedes Detail ihrer Körper ist übermäßig sichtbar, die Geschlechtsmerkmale, Muskeln, die Fingernägel – so, als wären sie in Erdöl balsamiert. „Man kann an Pharaonen denken oder an eine Reise zum Styx. Wir suchten sozusagen nach einem unmöglichen Tanz“, sagen die beiden Künstler über ihre Arbeit. Die Todesangst, die man um die beiden hat, dauert nicht ewig. Die Lust der Befreiung bei diesem Trip ist ungeheuer.
Text: Arnd Wesemann
Foto: Alain Monot
Sylphiden
im Podewil (Adresse + Googlemap) Mi 19.8., 21.30 Uhr, Do 20.8., 21 Uhr