So ganz hundertprozentig lädt die wackere Heldin aus Lorcas Ehegattinnendrama „Doсa Rosita“ heutzutage nicht mehr zur Identifikation ein: 25 Jahre lang wartet sie auf ihren Verlobten, der im ersten Akt aus windigen Gründen verschwindet und sich fortan allerhöchstens postalisch mit halbseidenen Ferntrauungsangeboten im Spiel hält. Fast überflüssig zu erwähnen, dass die Aschblonde im roten Kleid bis an ihr grauhaariges Strickjackenende umsonst lauern wird.
Dem Regisseur Thomas Langhoff bereiten derartige Anschlussprobleme an die Gegenwart im Berliner Ensemble allerdings keinerlei Schwierigkeiten. Er scheint sie nämlich praktischerweise gar nicht erst wahrzunehmen. In welcher Ära Langhoffs Tanz- und Singspiel mit zunehmendem Verzweiflungsappeal eigentlich angesiedelt ist, bleibt jedenfalls sein Geheimnis.
Zu Beginn hopsen lauter erfolglos auf spanische Lebenslust getrimmte Mädels in knallfarbenen Petticoatkleidern und freien Choreografien über die Bühne, deren unbezweifelbarer Höhepunkt in einem versuchskessen Nümmerchen mit schwingenden Sonnenschirmen besteht. Frauen hingegen, die lieber ihrer Mutter zur Hand gehen als Schirme zu schwingen und daher folgerichtig auch noch keinen Gatten abbekommen haben, erkennen wir an tantenhaften Turmfrisuren, betonter Bohnenstangenhaftigkeit, profunden Handarbeitskenntnissen und signifikant erhöhter Fresssucht an fremden Buffets. Gleich sind sich beide Frauentypen immerhin darin, dass sie zwar nicht besonders gut, aber dafür laut und oft singen.
Ursina Lardi spielt die hingehaltene Braut mit einer eigenwilligen Ruppigkeit gegen andere wie sich selbst, die möglicherweise funktionieren würde, wenn sie denn für einen handfesten Masochismus und somit für eine plausible Erklärung ihrer selbstverschuldeten Altjüngferlichkeit reichen würde. Da sie allerdings auf halbem Wege in der Barmerei hängen bleibt, nimmt man Rosita weder die anfängliche düstere Entschlossenheit zur Lebenslust noch die ergebene Vierteljahrhundertwarterei ab, sondern beginnt zu seiner eigenen Überraschung bald, ein gewisses Verständnis für den schnöseligen Verlobten aufzubringen. Dass sich Jutta Wachowiak als mildtätige Tante und Carmen Maja Antoni als Putzfrau des solidarischen Frauenhaushalts, in dem Rosita untergeschlüpft ist, in grundsolides Handwerk retten, ist zwar verständlich, macht den Abend aber nicht direkt dringlicher. Nur Jürgen Holtz ist selbst als täppischer Rosenzüchteronkel mit naturalistisch ausstaffiertem Garteneckchen und symbolschwerem Spruchgut auf den Lippen noch eine Freude. Nur leider entschwindet er früh aus diesem Drama.
Text: Christine Wahl
Fotos: Matthias Horn
(tip-Bewertung: Uninteressant)
Doсa Rosita oder Die Sprache der Blumen
Berliner Ensemble,
Bertolt-Brecht-Platz 1, Mitte,
Sa 7.3., 20 Uhr, So 15.3., 18 Uhr; 4.4., 20.30 Uhr
weitere Theater Rezensionen und Interviews:
Lilly unter den Linden im Podewil
Christian Petzold über „Der Einsame Weg“
Constanze Beckers und Wolfram Koch in „Gefährliche Liebschaften“
Karsten Wiegand über „Faust“ an der Staatsoper
Armin Petras über „Rummelplatz“
Patrick Wengenroth über Rainald Götz‘ „Festung“
Sebastian Baumgarten über „Requiem“
Armin Petras über „Zwei arme polnisch sprechende Rumänen“
Udo Kittelmann über die Neue Nationalgalerie
Philipp Oswalt über das Stadtschloss
Interview mit Hans-Werner Krösinger