Der russische Star-Regisseur Kirill Serebrennikov kommt mit einer Inszenierung seines „Gogol Centers“ zum Radar Ost-Schwerpunkt des Deutschen Theater
Dass das Deutsche Theater in den vergangenen Jahren immer wieder Gastspiele des Moskauer Gogol Centers eingeladen hat, war auch ein Akt der praktischen Solidarität mit dem künstlerischen Leiter des Theaters, Kirill Serebrennikov. Der international renommierte, eher putin-ferne Regisseur war unter undurchsichtigen Umständen angeklagt und über anderthalb Jahre unter Hausarrest gestellt worden. Die Vorwürfe, er habe umgerechnet 1,7 Millionen Euro aus Steuermitteln unterschlagen, wirkt auf Beobachter wie ein Vorwand, einen missliebigen Künstler zu kriminalisieren und die noch vorhandene unabhängige Kunstszene einzuschüchtern. Serebrennikov nutzte den vor kurzem aufgehobenen Hausarrest für mehrere aus der Ferne mit Hilfe von Videos und Assistenten erstellte Inszenierungen in Zürich, Stuttgart und Moskau.
Seine knapp vierstündige Moskauer Inszenierung nach einem Gedicht von Nikolai Nekrasow, die jetzt als Gastspiel den DT-Programmschwerpunkt „Radar Ost“ eröffnet, stammt von 2015, also aus der Zeit vor dem Prozess gegen den Regisseur. Trotzdem wirkt der Titel der spektakelfreudigen Inszenierung (samt Szenen aus dem russischen Landleben des 19. Jahrhunderts und einer Choreografie von Elendsgestalten) wie ein höhnischer Kommentar zum Lebensgefühl unter Putin: „Who Is Happy in Russia“. Gute Frage. Serebrennikov hat keine Scheu vor großen Bildern, auch nicht vor übereindeutigen Symbolen: im Bühnenhintergrund verweist eine Mauer mit Stacheldraht auf das Ausweglose und Gefängnishafte der Situation. Auch wenn das harte Leben unter der Fronknechtschaft eines Gutsbesitzers beklagt wird, sind die Anspielungen auf das Lebensgefühl unter Putin deutlich. „Wir berauschen uns am Leid, wozu rebellieren“ zitiert die Aufführung Nekrassows Gedicht.
Mit „Radar Ost“ schaltet das DT den im Juni stattfindenden Autorentheatertagen einen Schwerpunkt mit osteuropäischem Gegenwartstheaters vor. Neben dem prominenten Gastspiel aus Moskau kommen unter anderem Inszenierungen aus Ungarn, Tschechien, Weißrussland und aus der Ukraine. In Ádám Császis Inszenierung „Gypsy Hungarian“ aus Budapest spielt ein Ensemble junger Roma-Schauspieler ironisch mit Fragen der Identitäts-Konstruktion und erzählt von der brutalen sozialen Diskriminierung der Roma in Viktor Orbáns Ungarn. Die Kammerspiel-Inszenierung kommt ohne große Schaureize aus und lebt von der Direktheit, Spielfreude und Wut der Performer; die Theateraufführung als Geste und Mittel des Selbst-Empowerments. In der Diktator- und Polizeistaats-Satire „Der Mann aus Podolsk“ des jungen weißrusssischen Regisseurs Dmitry Bogoslovsky kippt die willkürliche Verhaftung eines Durchschnittsbürgers in die Groteske, wenn ihm die Staatsdiener mit Polizeigewalt zu einem sinnvollen Leben und blühender Liebe zum Vaterland verhelfen wollen – die autoritäre Entmündigung ist schließlich nur zu seinem eigenen Besten.
Termine: Radar Ost: Who Is Happy In Russia? im Deutschen Theater