tip „Wiener Blut“ hat einen verheerenden Ruf: Operetten-Guru Volker Klotz spricht von „übergemütlichem Heimatkitsch“ und „aufdringlichem Lokalnarzissmus“. Davon haben wir in Berlin doch auch so schon genug.
Cordula Däuper Klar, das Stück hat einen schlechten Ruf, weil es erst nach dem Tod von Johann Strauss aus seinen beliebtesten Tänzen zusammengestellt wurde. Aber mich interessiert gerade der Zwiespalt zwischen Sehnsüchten und Konventionen, der unter der sahnetortenmäßigen Kitschoberfläche verborgen ist. Und der ist in „Wiener Blut“ besonders deutlich zu spüren.
tip Gilt das auch für die Musik?
Däuper Für mich hat der Rhythmus des Walzers diese Zwiespältigkeit: Einerseits steht er für erotische Verführung, andererseits mit seinem rhythmischen Korsett aber auch für die gesellschaftliche Konvention. Das ist ja keine Musik, die einfach so wegschmilzt.
tip Der Zwiespalt zwischen Trieben und Konventionen ist ja Thema fast jeder Operette seit der „Fledermaus“. Muss man so etwas denn heute noch entlarven?
Däuper Die inneren Konflikte der Figuren sind ganz unabhängig von der jeweiligen Gesellschaft. Ich möchte zeigen, dass das Verhalten der Operettenfiguren, einander dauernd etwas vorzulügen, sich nicht mit so billigen Ausflüchten wegwischen lässt wie: „Das ist halt unser Wiener Blut, das geht schon mal mit uns durch.“ Da bleiben Verletzungen zurück.
tip Da sind Sie aber moralischer als eine 100 Jahre alte Operette!
Däuper Natürlich kann jeder leben, wie er will. Ich glaube aber, dass man früher oder später in einer Sackgasse landet, wenn man mit sich selbst im Unreinen ist.
tip Du besetzt alle Rollen mit sechs Schauspielerinnen. Ist das die wienerische Variante von „Acht Frauen“ oder die Geburt der feministischen Operette?
Däuper Die Rollenklischees in „Wiener Blut“ sind extrem. Aber damit man das klar erkennt, müssen sie erst verfremdet werden. Das geht gar nicht nur um männliches Macho-Verhalten, sondern auch um die Frauen, die sich selbst zum kleinen Hascherl und süßen Opferchen machen.
tip Können Sie eigentlich selbst Walzer tanzen?
Däuper Ich habe nur mal mit 15 einen Tanzkurs besucht und komme beim Walzer leider nicht über ein blankes Eins-Zwei-Drei hinaus. Und ich muss gestehen, dass sich mir schon ein bisschen die Zehennägel aufgerollt haben, als wir in unserer Produktion die Tanzszenen geprobt haben.
Interview: Jörg Königsdorf
Fotos: Thomas Aurin, Justina Klimczyk, Hans-Jörg Hess
Mi 1.10., Fr 3. bis So 5.10., 19.30 Uhr im HAU 1