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Gefahr von Rechts

Willkommen in den 20er-Jahren: Über Möglichkeiten und Grenzen des Theaters angesichts der Neuen Rechten

Es wäre vermessen, von Tanz- und Theateraufführungen zu erwarten, dem Rechtsextremismus entscheidend entgegenwirken zu können. Aber offenkundig ist Kultur in den Augen einflussreicher Rechtsradikaler ein zentrales Feld der politischen Auseinandersetzung. Marc Jongen, der kulturpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, spricht offen von einem „Kulturkampf“. Zahlreiche Versuche von Rechtsextremen und Rechtspopulisten, Künstler und Kultureinrichtungen einzuschüchtern und unter Druck zu setzen, zeigen, was sie unter Kulturkampf verstehen. Intendanten und Künstler, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, erreichen regelmäßig Hassmails und Morddrohungen. In Landes- und Kommunalparlamenten wie im Bundestag sind Polemiken gegen eine
liberale, weltoffene Kultur und Forderungen von AfD-Abgeordneten, Theatern, Museen, Jugendzentren und antirassistischen Initiativen Gelder zu streichen, fast schon Routine.

Wegen des Pegida- und AfD-kritischen Theaterstücks „Fear“ (Foto) hatte Regisseur Falk Richter Morddrohungen erhalten, Foto: imago/DRAMA-Berlin.de

Der neue, alte völkische Nationalismus hat gesellschaftliche Voraussetzungen, ökonomische, soziale, kulturelle, politische. Über sie informieren sozialwissenschaftliche Untersuchungen, sie sind der notwendige Kompass in diesem verminten Gelände. Analytisch ergiebige Beiträge zur Debatte steuern Andreas Reckwitz („Das Ende der Illusionen“), Philip Manow („Die politische Ökonomie des Populismus“) oder Wilhelm Heitmeyer („Autoritäre Versuchungen“) bei. Über historische Tiefenschichten informiert zum Beispiel Michael Wildt („Die Ambivalenz des Volkes“).

Zur Problemlage gehört eine von Arroganz schwer zu unterscheidende Ignoranz einer kosmopolitischen, liberalen, kulturell offenen „neuen Mittelklasse“ (Reckwitz) gegenüber Menschen und Milieus, die nicht zu den Gewinnern der von Bildungsexpansion, Digitalisierung und Globalisierung getriebenen gesellschaftlichen Transformation zählen. Ob Theateraufführungen der Überlegenheits- und Statusversicherung dieser neuen Mittelklasse und damit einer Abgrenzung gegen andere Schichten dienen oder sie aber zumindest kurz irritieren und aufbrechen können, ist eine offene und in diesem Zusammenhang nicht ganz unwichtige Frage.

Konflikteskalation als Selbstzweck

Es war vielleicht kein Zufall, dass Götz Kubitschek, ein Vordenker des Rechtsradikalismus, ausgerechnet bei einer Kulturveranstaltung deutlich wurde. Bei einer Diskussion zwischen den Schriftstellern Uwe Tellkamp und Durs Grünbein im März 2018 in Dresden meldete sich Kubitschek zu Wort. Sein Beitrag mündete in einer provokanten Frage: „Sind Sie nicht der Meinung, dass der Riss, der durch die Gesellschaft geht, unbedingt sein muss? Wir müssen darüber reden, was ist wir, was ist nicht wir? Wem gehört unsere Solidarität, wem gehört sie nicht? Ich bin strikt dafür, dass der Riss noch größer wird.“ Das bezeichnet eine zentrale Strategie der Rechtsextremisten: Die Spaltung der Gesellschaft in „wir“ und „nicht wir“, die Zerstörung von Dialogfähigkeit und Common Sense, permanente Konflikteskalation als Selbstzweck. Angriffe gegen eine liberale Kultur sind Teil dieser Strategie. Der Angriff auf eine weltoffene Kultur ist immer auch ein Angriff auf die liberale Gesellschaft.

Gerade weil Theater und politische Kunst die symbolische Verdichtung gesellschaftlicher Konflikte leisten können, weil der Kern des Theaters der Dialog, auch das Aufeinanderprallen antagonistischer Positionen ist, weil Kunst allgemein Räume der Begegnung mit unterschiedlichsten Lebens- und Erfahrungswelten schafft, löst sie bei Leuten, die daran arbeiten, „dass der Riss noch größer wird“, Aversionen aus.

Götz Kubitschek treffend als „Selbstverharmlosung“ charakterisiert

Wenn sich die Gesellschaft stärker in Meinungsblasen fragmentiert, ist die Fähigkeit, ihr Räume der Begegnung zur Verfügung zu stellen, vielleicht die wichtigste Funktion der Kunst. Das bedeutet auch: Räume der Begegnung mit anderen, vielleicht auch weit von der eigenen Lebenswelt entfernten, ihr fremden Menschen, Milieus, Überzeugungen, Lebenswirklichkeiten. Geschichten und Begegnungen jenseits einer sich selbst auch in der Distinktion, der ästhetischen Selbstveredelung, der Abgrenzung nach unten genießenden kosmopolitischen „neuen Mittelklasse“ echter oder vermeintlicher Modernisierungsgewinner.

Der Kulturkampf von rechts geht natürlich trotzdem weiter. Die Rechtspopulisten versuchen seit einiger Zeit, sich als „bürgerlich konservativ“ zu inszenieren, eine Strategie, die Götz Kubitschek treffend als „Selbstverharmlosung“ charakterisiert. Das sollte nicht über ihr Aggressionspotential gegenüber einer liberalen Kultur und die Entschlossenheit, deren Spielräume nach Möglichkeit einzuengen, hinwegtäuschen.

Zur Problemlage gehört eine von Arroganz schwer zu unterscheidende
Ignoranz einer kosmopolitischen, liberalen, kulturell offenen „neuen Mittelklasse“

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