• Kultur
  • Von Berlin für Belarus: Mit Musik gegen Diktatur

Solidarität

Von Berlin für Belarus: Mit Musik gegen Diktatur

Die aus Belarus stammende Berliner Musikerin Chikiss hat als Reaktion auf die Ereignisse in ihrem Heimatland eine Kompilation herausgebracht. Auf „For Belarus“ bringt sie internationale Künstler zusammen – als Zeichen der Solidarität und finanzielle Unterstützung von Berlin für Belarus. Wir sprachen mit Chikiss über Identität, notwendige Solidarität und die Kraft der Musik.

Musikerin Chikiss wurde in Belarus geboren und lebt seit 2015 in Berlin. Foto: Aleksandr Smirnov.
Musikerin Chikiss wurde in Belarus geboren und lebt seit 2015 in Berlin. Foto: Aleksandr Smirnov

Als Chikiss komponiert Galya Ozeran elektronische Musik und bespielt international die Bühnen, von Berlin bis Moskau. Zuletzt nahm sie am Berliner Festival Pop-Kultur teil. Die massiven Proteste in ihrem Heimatland gegen den vermeintlichen Sieg des langjährigen Autokraten Alexander Lukaschenko haben sie dazu veranlasst, innerhalb einer Woche die Kompilation „For Belarus“ zu erstellen. Darauf finden sich 21 Songs namhafter Künstler*innen aus Ost und West wie Gudrun Gut, Thomas Azier oder Alyona Alyona. Die Erlöse werden an die „Belarus Solidarity Foundation“. Die Initiative unterstützt Belarussen, die durch ihren Protest den Job verloren haben.

tipBerlin Wie fühlt es sich für Sie an, in Berlin zu sein und auf Fotos und Videos zu sehen, was gerade in Belarus geschieht?

Chikiss Das ist ein emotionales Karussell. Mein Facebook-Feed ist voll mit eindrücklichen Fotos und Videos von Frauenprotesten, Studentenprotesten, friedlichen Streiks von Fabrikarbeitern, Ärzten und Lehrern. Das ist die Kraft dieser Revolution und ihre Einzigartigkeit. Es ist beeindruckend und schmerzhaft.  Denn auf der anderen Seite lese ich zugleich detaillierte Geschichten über Folter und Entführung von Menschen. Jeden Tag, jede Sekunde lebe ich all dies zusammen mit meinem Heimatland. 

tipBerlin Sie haben Belarus vor langer Zeit verlassen. Hat sich Ihr Verhältnis zu dem Land gewandelt?

Chikiss Als ich 2002 nach St. Petersburg zog, habe ich Belarus nicht vermisst. Die Ära der Stagnation dauerte 26 Jahre und es schien, als ob sie nie enden würde. Alles wird genauso angespannt und unfrei bleiben. Lange Zeit fühlte ich meine belarussische Identität nicht, ich stürzte mich in das Leben in St. Petersburg. Die Kommunikation mit meinem Heimatland nahm ich dann in Berlin wieder auf, als ich in der Ferne von Russland und Belarus meine Wurzeln spürte. Dort habe ich meine Eltern, meinen Bruder, meine Heimat. Jetzt ist dieses Gefühl stärker geworden: Es ist eine echte Nation, mutig und unerschütterlich. Wir haben begonnen, an einander zu glauben. Das ist stark.

Solidarität zeigen ist wichtig

tipBerlin Mit Ausbruch der Protese in Belarus kam es auch in Berlin zu zahlreichen Solidaritäts-Aktionen. Wie bedeutsam sind diese?

Chikiss Solidarität mit Belarussen auf der ganzen Welt ist jetzt sehr wichtig. Die Nation ist erwacht. Nicht nur innerhalb des Landes, sondern auch in der Diaspora. Das ist ein unglaublich kraftvoller, energischer Prozess. Ich spüre das sehr, unabhängig davon, ob ich bei einer Demonstration in Berlin oder zu Hause bin. Aber die wichtigste energetische Kraft ist natürlich dort, auf den Straßen der belarussischen Städte. Ich war zweimal bei Demonstrationen in Berlin. Dann habe ich verstanden, dass die Arbeit an der Kompilation und Verbreitung von Informationen in den (Sozialen) Medien für mich sinnvoller ist.

tipBerlin Wie sind Sie auf die Idee gekommen, die Kompilation „For Belarus“ zu machen?

Chikiss Ich erkannte, dass ich als Musikerin in der Lage bin, meine Stimme mit Stimmen aus anderen Ländern zu vereinen, um auf diese Weise meine Unterstützung für Menschen auszudrücken, die friedlich für ihre Rechte kämpfen. Zugleich ergibt sich so die Möglichkeit der konkreten finanziellen Unterstützung. 

tipBerlin Wie war das Feedback der Künstler*innen, die Sie angefragt haben?

Chikiss Die meisten Künstlerinnen und Künstler stimmten ohne jede Frage zu. Wir kennen uns und ziehen es vor, einander zu vertrauen. Sie haben meine Posts gesehen und wissen, was in Belarus passiert. Für einige von ihnen musste ich die richtigen Worte finden, um die Absicht zu erklären. Es ist ein heikles Thema. Aber ich habe die Zusammenstellung binnen einer Woche gemacht, es ging ziemlich schnell. Es sind alles großartige Menschen.

tipBerlin Wurden die Songs speziell für die Kompilation komponiert oder haben Sie die Musiker*innen nach bestimmten Liedern gefragt?

Ich habe sie nach dem Lied gefragt, das sie für einen solchen Kontext gut finden. Einige von ihnen haben ihre neuen Songs geschicktoder solche, die dem Thema nahe stehen. Manche sind auch einfach nur cool oder lyrisch. Die Kompilation ist also sehr kontrastreich. Von schweren dunklen Melodien bis hin zu sehr leichten Klängen. So wie dieser ganze Prozess ein echter Kampf der dunklen und der hellen Kräfte ist. 

Musik hebt die Moral

tipBerlin Welche Rolle spielt Musik in Protestbewegungen und gibt es in Belarus eine Prostesthymne?

Chikiss Es gibt einige alte Lieder, die die Menschen auf der Straße singen. Der Hit ist das Lied von Viktor Tsoy „Peremen“, was so viel bedeutet wie: „Wir brauchen Veränderungen“. Es gibt auch einige belarussische Rock- und Volkslieder, deren Worte im Zusammenhang mit den letzten Ereignissen eine neue Bedeutung bekamen. Musik ist in solchen Prozessen notwendig, sie hebt die Moral und lädt mit guter Energie auf. Die Menschen singen überall, Tausende von Menschen singen auf den Straßen und Plätzen, es ist unglaublich.

tipBerlin Welche Hoffnungen haben Sie für Ihr Heimatland?

Chikiss Ich möchte, dass Belarus seine Souveränität bewahrt und dass politische Gefangene aus dem Gefängnis herauskommen. Nachdem die Menschen gemeinsam so viel Schmerz durchlebt, so viel Mut und Talent zur Selbstorganisation gezeigt haben, sind sie selbst in der Lage, ein neues Land aufzubauen. Belarus ist eine Brücke zwischen West und Ost, zwischen Europa und Russland. Es kann ein fortschrittliches, wohlhabendes Land werden. Das Wichtigste ist, es nicht zu stören. Es ist ziemlich beängstigend, jetzt schon Vorhersagen zu machen. Die Zeit wird es zeigen.


Mehr Stadtleben

Der beliebte Essensmarkt „Thaiwiese“ im Wilmersdorfer Park steht vor einer ungewissen Zukunft- zumindest von seiner ursprünglichen Form müssen wir uns verabschieden. Ebenso von der Rummels Bucht. Der Club schließt Mitte September und die Betreiber suchen nach einem neuen Standort.

Tip Berlin - Support your local Stadtmagazin