Interview

Corona, Liebe, Sex und Trennungen: Was der Paarberater euch rät

Corona hat großen Einfluss auf die Liebe – im Guten wie im Schlechten. Mit dem Berliner Paarberater Martin Jurock haben wir im ersten Lockdown über Zweisamkeit in Zeiten der Pandemie gesprochen. Wie gefährlich ist die Isolation für Paare, was passiert mit der Lust auf Sex, wie geht man mit Trennungen um – und ist es wirklich eine gute Idee, den oder die Ex noch mal zu kontaktieren? Unser Interview zu Corona und Liebe.

Maskiert und verliebt. So kann Liebe in Zeiten von Corona aussehen. Foto: Imago Images/Hans Lucas
Maskiert und leidenschaftlich: So kann Liebe in Zeiten von Corona aussehen. Foto: Imago Images/Hans Lucas

tipBerlin Herr Jurock, Sie sind Coach und Paarberater in Berlin. Wie erleben Sie die Corona-Pandemie ganz persönlich?

Martin Jurock Den Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus, versuche ich so gelassen wie möglich zu begegnen. Dass ich nicht mehr ins Fitnessstudio gehen kann, ist gewöhnungsbedürftig. Der Mensch ist ein „Gewohnheitstier“ und es fühlt sich nicht gut an, eingeschränkt zu werden.

tipBerlin Viele Berliner werden in den nächsten Wochen sehr viel Zeit zu Hause verbringen, man wird seinen Partner viel mehr sehen als sonst. Welche Auswirkungen wird das auf die Partnerschaft haben?

Die Corona-Auszeit als Chance

Martin Jurock Das hat zunächst Vorteile für Paare, möglicherweise treten aber in dieser Zeit auch Defizite zu Tage, die im bisherigen Alltag nicht bearbeitet wurden. Paare, die ihre Beziehung als harmonisch wahrnehmen, blicken dieser Zeit mit Vorfreude entgegen, im positiven Fall wirkt sich die lange Phase der Zweisamkeit festigend auf die Beziehung aus. 

Ist die Beziehung dagegen belastet, so kann die Aussicht auf eine wochenlanges „Aufeinandersitzen“ ungute Vorahnungen wecken und zum Ausbruch schwelender Konflikte führen. Allgemein kann die gemeinsamen Zeit genutzt werden, um Defizite innerhalb der Beziehung aufzugreifen und konstruktiv anzugehen. Gelingt das nicht, kann ich als Paarberater den Prozess unterstützen. Insofern bietet die Auszeit die Chance, die Beziehung zu verbessern.

tipBerlin Man spekuliert, dass es einen Baby-Boom in neun Monaten geben wird. Von „Corona-Babys“ wird gesprochen. Werden die Leute zwangsläufig mehr Sex haben, weil es sonst nichts zu tun gibt?

Liebe in der Corona-Krise: „Sex ist bekanntlich gesund“

Martin Jurock Es gibt mehrere Faktoren, die körperliche Nähe begünstigen: Die viele gemeinsame Zeit zuhause, das eingeschränkte Freizeit- und Konsumangebot, möglicherweise sogar die Jahreszeit. Angesichts latenter Ungewissheit und möglicher Gefahren, die sich durch Covid-19 für das Neugeborene ergeben, könnten Paare allerdings zögerlich sein und den Kinderwunsch aufschieben. Die Chancen für mehr Sex stehen gut, was ein erfreulicher Nebeneffekt der Corona-Krise wäre, denn Sex ist bekanntlich gesund. 

tipBerlin Wird es andersherum auch zu mehr Trennungen und Scheidungen kommen?

Liebe in Zeiten von Corona: Man muss nicht durch die Glasscheibe knutschen, aber die Situation kann für Paare eine Herausforderung werden. Foto: Unsplash

Martin Jurock Auch Trennungen können durch die momentanen Umstände begünstigt werden. Vor allem dann, wenn man im Vorfeld bereits eine Trennung zugesteuert ist und die lange gemeinsame Zeit die Defizite deutlicher vor Augen führt.

Aber: eine Trennung kann für beide Seiten ein Schritt nach vorne bedeuten. Stellen die Eindämmungsmaßnahmen beruflich bzw. finanziell eine existenzielle Bedrohung dar, so sollte man mit diesen Ängsten behutsam umgehen. Im Kontext einer Partnerschaft bedeutet das, sich Zeit zu nehmen, um über die Sorgen und Lösungswege zu sprechen. Die Unruhe sollte nicht unkontrolliert in die Beziehung hineingetragen und am Partner abgelassen werden, das kann sich zerstörerisch auf die Beziehung auswirken.

Daher soweit wie möglich Ruhe bewahren und achtsam mit eigenen Emotionen und dem Partner umgehen. Die Beziehung kann insbesondere in Krisenzeiten als Ruhepol dienen, allerdings sollte man diesen Zustand nicht als Erwartung an den Partner richten, sondern sich selbst zur Aufgabe machen.

Der Berliner Paarberater und Coach Martin Jurock. Foto: Privat

tipBerlin Lässt sich die Situation vielleicht mit einer Art überdimensionierten Weihnachtsfest vergleichen, wo die Familie zusammenkommt und dann der Streit losbricht?

Martin Jurock Weihnachten hat für Paare ähnliche Effekte, allerdings würde ich diese Zeit als deutlich kritischer für eine Beziehung betrachten, da das Weihnachtsfest häufig einem Aufgaben-Marathon innerhalb weniger Tage entspricht: Geschenke, Einkäufe, besonderes Essen, Weihnachtsdekoration, eigene Erwartungen und oft längere Besuche von Verwandten, die nicht immer einfach sind. Die aktuelle Situation dauert unvergleichlich länger und ist weniger von spezifischen Aufgaben geprägt und für die meisten ein Novum. 

tipBerlin Wie schätzen Sie die Situation für Singles ein? Man kann ja derzeit schwer neue Bekanntschaften schließen.

Ob es klug ist, den alten Kaffee aufzuwärmen?

Martin Jurock Singles haben möglicherweise jetzt mehr Zeit, jemand passendes zu suchen. Online-Plattformen bieten die Möglichkeit, bequem von Zuhause aus zu chatten, zu telefonieren und sich ggf. zu verabreden.

tipBerlin Glauben Sie, dass jetzt viele ihre Ex-Partner kontaktieren werden, weil sie sich einsam fühlen?

Martin Jurock Es ist naheliegend, dass in dieser Phase alte Kontakte wieder belebt werden, sei es rein freundschaftlich oder für mehr. Man sollte allerdings gut überlegen, weshalb man damals getrennte Wege gegangen ist und ob es aus dieser Perspektive klug ist, den „alten Kaffee“ neu aufzuwärmen. 

tipBerlin Was können wir als Gesellschaft, als Berliner, aus der Corona-Situation lernen?

Martin Jurock Bestimmt werden wir die wiedergewonnene Bewegungsfreiheit, nach der erfolgreichen Eindämmung des Virus, neu wertschätzen. Auf diese Zeit freue ich mich sehr. 

tipBerlin Geben Sie uns noch einen letzten Tipp, wie man harmonisch die kommende Zeit übersteht.

Martin Jurock Mein Tipp ist folgender: „You come home, make some tea, sit down in your armchair and all around there’s silence. Everyone decides for themselves, whether that’s loneliness or freedom.“ (Aus dem Buddhismus).


Martin Jurock hat Psychologie studiert und arbeitet als Paarberater in Berlin. Im Zuge der aktuellen Situation bietet er telefonische Beratung an. Mehr Informationen auf www.martin-jurock.de


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Raum geben, Abstand lernen, realistische Erwartungen haben: Das rät euch die Psychologin Hanna Liesenfeld, damit ihr nach der Corona-Krise noch zusammen seid. Gesellschaft kann aber auch ohne Liebe schwierig sein. Unsere Autorin wurde mit ihrer gesamten WG in Corona-Quarantäne geschickt. Für die geistige Gesundheit ist das nicht unbedingt förderlich. Das sind die neun Stufen des Wahnsinns in der Isolation. Damit es nicht so weit kommt, haben wir Tipps gegen Einsamkeit in Zeiten von Corona.

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