In Berlin hat sich ein neuer Trend etabliert – der Hot-Girl-Walk. Die gemeinschaftlichen Spaziergänge sollen Frauen die Möglichkeit bieten, offline neue Freundschaften zu schließen. Inspiriert von ähnlichen Treffen in New York, wuchs die Offline Girls-Community in Berlin nach viralen TikTok-Videos schnell von fünf auf knapp hundert Teilnehmerinnen. Am 1. September stand der erste „Birthday-Walk“ an und wir sprachen dort mit der Gründerin Bianka Gawron über das Projekt.
Hot Girl Walk: Von New York nach Berlin
Es ist ein sonniger Sonntagmittag, perfekte Bedingungen für einen Spaziergang durch den Schlossgarten Charlottenburg. Etwa 75 Frauen, die meisten von ihnen sind in ihren Zwanzigern, haben sich am Mittag vor dem prächtigen Barockbau versammelt. Sie sind alle hier, um gemeinsam spazieren zu gehen – und um neue Freundschaften zu knüpfen. Anlass ist der „Birthday-Walk“ der Offline Girls, einer Bewegung, die in nur einem Jahr das soziale Leben vieler Berlinerinnen und besonders Neuberlinerinnen verändert hat – von Studentinnen über Berufstätige bis hin zu Expats. Inmitten der Gruppe steht Bianka Gawron, die Gründerin der Offline Girls, und begrüßt die Teilnehmerinnen mit einem strahlenden Lächeln.
Während noch kurz auf mögliche Nachzüglerinnen gewartet wird, unterhalten sich die Teilnehmerinnen in Kleingruppen untereinander und Bianka Gawron erzählt uns von den Anfängen ihrer Initiative. „Ich habe 2022 ein Jahr als Au pair in New York gewohnt und wollte neue Freundinnen und Locals kennenlernen“, beginnt sie. „Und dann habe ich auf Instagram einen Spaziergang der ‚City Girls Who Walk‘ gesehen, bin mit Freundinnen hingegangen und was ich gesehen habe, war eine riesige Gruppe. Wir sind durch den Central Park gelaufen und es hat super viel Spaß gemacht.“
Bianka Gawron: „Warum gibt es eigentlich keine Spaziergänge für Frauen in Deutschland?“
In den USA hatten sich viele ähnliche Initiativen begründet, nachdem Mia Lind, damalige Studentin der University of Southern California, während der Corona-Pandemie im Jahr 2020 mit Spaziergängen, sogenannten Hot-Girl-Walks, als Mittel zum Stressabbau begann. Das Konzept veröffentlichte sie im Januar 2021 auf TikTok. Doch erst nach Bianka Gawrons Rückkehr in die Stadt entstand die Idee für die Offline Girls. Denn trotz ihrer Berliner Wurzeln fühlte sich Gawron etwas verloren, sowohl beruflich als auch privat. „Ich komme ursprünglich aus Berlin und irgendwie hatte ich total Lust auch neue Freundinnen kennenzulernen. Und dann dachte ich mir, aber wie? Ich bin ja nicht mehr im Office oder an der Uni und auch nicht mehr in meiner Clubphase.“ Diese Erkenntnis führte zu der Idee: „Warum gibt es eigentlich keine Spaziergänge für Frauen in Deutschland?“
Nach erfolglosen Recherchen zu vergleichbaren Konzepten, wie Bianka Gawron sie in New York kennengelernt hatte, entschied sie sich, selbst aktiv zu werden. „Ich habe schon eine kleine Plattform und dachte mir: Ich poste einfach ein TikTok. Und so hab ich mich vor die Kamera gesetzt und gesagt: Mädels, habt ihr Lust? Es ist total schwer, Freunde zu finden. Wollen wir uns einfach treffen?“ Bianka Gawron erinnert sich, wie nervös sie vor dem ersten Treffen war. Was wird passieren? Wird überhaupt jemand auftauchen? Doch zu ihrer Überraschung und Erleichterung kamen beim ersten Walk tatsächlich fünf junge Frauen. So nahm die Initiative ihren Lauf.
Hot Girl Walk – Startschuss für neue Freundschaften
Mit einem Blick auf die Uhr ergreift Bianka Gawron ihr kleines Megafon und begrüßt die Gruppe offiziell zum „Birthday-Walk“. Sie erklärt, wie sehr es sie freue und wie dankbar sie sei, dass die Community, seit der Gründung vor einem Jahr, viele Frauen erreicht hat. Außerdem betont sie, dass alle Teilnehmerinnen aus dem gleichen Grund da seien – um neue Freundschaften zu schließen – und niemand Angst haben müsse sich anzusprechen. Am Ende ihrer Rede kündigt sie an, dass sie zur Feier des Tages vegane Donuts besorgt hat. Mit dieser süßen Überraschung im Gepäck beginnt der Spaziergang.
Während die Gruppe durch den malerischen Schlossgarten schlendert, erzählt die Gründerin, was der Begriff „Hot-Girl-Walk“ für sie bedeutet: „Am Anfang haben wir den Begriff ‚Hot-Girl-Walk‘ genutzt, weil er auf Social Media viral ging.“ In Mia Linds Konzept aus den USA ist ein wichtiger Aspekt des Hot-Girl-Walks, sich währenddessen darauf zu konzentrieren, wie „hot“ – also selbstbewusst und attraktiv – man/frau selbst ist, um ein positives Selbstbild zu fördern. Bianka Gawron fährt fort: „Aber nach ein paar Monaten haben wir unser Rebranding zu ‚Offline Girls‘ gemacht.“
Sie wollte eine eigene Initiative schaffen, die es ihr ermöglicht, von Grund auf neu zu beginnen und dem Projekt ihre persönliche Vision zu verleihen. Auch wenn der Hot-Aspekt nicht mehr explizit aufgegriffen wird, fällt auf, dass sich viele Teilnehmerinnen herausputzen und die Spaziergänge als Safe Space wahrnehmen. Es ist eine Community von Frauen für Frauen, in der sich alle frei ausdrücken können, ohne sich Gedanken über die Blicke oder unerwünschte Kommentare anderer machen zu müssen.
Offline Girls-Community – Mehr als nur ein Spaziergang
Die Resonanz auf die Initiative übertraf alle Erwartungen. „Die größte Überraschung war, wie viele Frauen wirklich aufgetaucht sind. Beim dritten Walk waren es schon 80 Mädels“, erinnert sich Bianka Gawron. Heute nehmen durchschnittlich 40 bis 50 Frauen an den halbstündigen Spaziergängen teil, die jeden Sonntag um 12:30 Uhr an wechselnden Orten stattfinden. Auf den Social-Media-Kanälen, der Website und in den zwei WhatsApp-Channels werden die Followerinnen mit den wichtigsten Infos zu den Spaziergängen versorgt.
Die Community wuchs seit der Gründung am 27. August 2023 über die Walks hinaus. „Relativ schnell, etwa ab Oktober, fing ich an, kleine Workshops zu organisieren“, berichtet Gawron. „Mittlerweile haben wir auch Dinner-Events und andere Aktivitäten.“ Das Ziel der Offline Girls besteht darin, eine Brücke zwischen der digitalen und der realen Welt zu schlagen. Die Initiative zielt darauf ab, Frauen zu ermutigen aktiv am Leben teilzunehmen und eigene Erfahrungen zu sammeln, anstatt nur passiv die Erlebnisse anderer in den sozialen Medien zu verfolgen.
An den Spaziergängen können Frauen ohne Anmeldung und kostenlos teilnehmen, während für die anderen Events, wie Workshops, Sport-Events und Dinner, Tickets über die Webseite erworben werden müssen. So zählt zur Bandbreite der Events auch das „Casual Cheers: Wine Offline“, das dieses Mal am 10. September im Boba Cuppa im Prenzlauer Berg stattfand. Rund 30 Teilnehmerinnen kamen zusammen, wurden von Bianka Gawron begrüßt und genossen zu einer girly Playlist in entspannter Atmosphäre Getränke sowie Charcuterie-Boards und anregende Gespräche.
Mut zur Teilnahme
„Wir sind alle aus demselben Grund hier. 90% der Frauen kommen tatsächlich alleine.“
Gründerin Bianka Gawron über Beweggründe zur Teilnahme
Auf die Frage, ob die Offline Girls ihr Leben seit der Gründung verändert haben, antwortet Gawron: „Total. Ich habe mich letztes Jahr dazu entschieden, mich als Influencerin selbstständig zu machen. Es ist toll, dass ich meine Passion zum Beruf machen konnte.“ Außerdem berichtet sie von der beeindruckenden Hilfsbereitschaft innerhalb der Community: „Ein Mädchen sagte mir, dass ihr die Gruppe nach einer Trennung geholfen hat. Sie hatte das Gefühl, dass sie dadurch viel schneller heilen konnte.“ Die Frauen unterstützen sich in allen Lebensbereichen, auch bei der Wohnungssuche und Umzügen. In der WhatsApp-Gruppe tauschen sich die Mitglieder täglich aus und beantworten Fragen – von Tipps gegen Schimmelbefall über die besten Läden für Secondhand-Mode bis hin Empfehlungen für Deutschkurse. So haben die Spaziergänge und weiteren Events nicht nur Bianka Gawrons Leben verändert, sondern auch das vieler Teilnehmerinnen.
Für Frauen, die sich nicht trauen alleine teilzunehmen, hat Bianka Gawron ermutigende Worte: „Wir sind alle aus demselben Grund hier. Wir alle teilen die gleiche Angst, weil man natürlich aus seiner Komfortzone rauskommen muss. Aber ich kann garantieren, dass man sich hier sofort aufgenommen fühlt.“ Sie fügt hinzu: „90 Prozent der Frauen kommen tatsächlich alleine.“
Als der Spaziergang endet, bleiben viele Teilnehmerinnen noch in kleinen Gruppen stehen, tauschen Nummern aus, verabreden sich und treten der WhatsApp-Gruppe bei. Die Vernetzung ist nur der Anfang einer blühenden Community. Bianka Gawron erzählt: „Die Mädels unternehmen auch außerhalb von den Offline Girls-Events super viel. Wir haben um die 100 WhatsApp-Subchannels mit mehreren tausend Girls – von Swiftys zu Technobabes können sich Girls mit gleichen Interessen finden.“
Die Zukunft der Offline Girls
Mit Blick auf die Zukunft hat Bianka Gawron viele Pläne für die Offline Girls. „Wir möchten noch mehr Frauen erreichen und auch in andere deutsche Städte expandieren.“ Die Gründerin träumt von größeren Events, einem vielfältigeren Angebot, wie beispielsweise Nacht-Walks, und vielleicht sogar einer eigenen App, die das Vernetzen innerhalb der Offline Girls-Community noch einfacher macht. Außerdem hat uns Gawron verraten, dass sie eine Halloween-Party plant und auch bereits in Kontakt mit ähnlichen Communities in New York und Australien steht – Gemeinsam planen sie im kommenden Jahr, mit Hilfe von Events in den einzelnen Ländern, Brieffreundschaften zwischen den Teilnehmerinnen aufzubauen: „Ich fände es total schön Frauen auch in anderen Ländern miteinander zu verknüpfen und eine globale Gemeinschaft zu schaffen.“
Die Offline Girls-Community hat in nur einem Jahr gezeigt, dass ein einfacher Spaziergang der Beginn von etwas Großem sein kann – von Kontakten und Freundschaften, die das Leben in einer Großstadt wie Berlin bereichern und verändern können. In einer Zeit, in der digitale Verbindungen oft die Oberhand gewinnen, bieten die Offline Girls eine erfrischende Alternative: echte Begegnungen, echte Gespräche und Freundschaften, die Schritt für Schritt entstehen.
- Mehr Infos zu kommenden Spaziergängen und Events findet ihr auf der Offline Girls-Website.
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