Kneipendiskussionen über Nachhaltigkeit können schnell mal eskalieren. Bei Bier und Brezeln feuern sich die Beteiligten Argumente um die Ohren, häufig mit dem Ziel, den Gegenüber vom imaginären Moralpodest zu schießen. „Ich will künftig auf Fleisch verzichten“, sagt der eine. „Ach ja, dir ist schon klar, dass Sojagedöhns schlimmer als Schnitzel ist“, sagt die andere. Und schon geht die große Wortschlacht los. Strohmänner werden aufgestellt, Whataboutism aus der rhetorischen Mottenkiste gekramt. Die Folge: Zerbrochene Freundschaften und abgestandenes Bier. Toll! Um den ganzen Stress vorwegzunehmen, klären wir hier über Nachhaltigkeitsmythen auf.
Für Sojaprodukte wird der Regenwald abgeholzt
Nicht ganz. Korrekt ist, dass 80 Prozent der Sojabohnen aus Argentinien, Brasilien und den USA stammen, zeigen Zahlen der US-Behörde für Landwirtschaft. Riesige Wald- und Savannenflächen mussten dafür als Acker herhalten, wertvolle Lebensräume für Pflanzen wie auch Tiere gingen so verloren. Auch fruchtbarer Boden wird so laut WWF zerstört und Wasser verseucht, etwa wurden von 2000 bis 2010 rund 24 Millionen Hektar Land in Südamerika zu Ackerflächen.
Der Großteil des Sojas, zwischen 75 und 85 Prozent, wird jedoch nicht für den menschlichen Verzehr, sondern zu Tierfutter verarbeitet. Geht es um Fleischersatzprodukte oder Sojamilch, stammen die Bohnen in der Regel aus Deutschland und Österreich. Der Vorwurf, für Sojaprodukte werde Regenwald abgeholzt, ist also eher ein Spruch fürs Glashaus. Der Futtermittelpunkt zählt jedoch nicht für regionale Weiderinder. In Sachen Nachhaltigkeit sind sie ein Tacken besser als ihre argentinischen Verwandten.
Fazit: Eher nicht
Milchalternativen schaden der Umwelt genauso wie Kuhmilch – ist das ein Mythos?
Hier ist es weniger einfach. Zunächst kommt es auf die Alternative an und inwiefern die Umwelt belastet wird. Geht es lediglich um den CO2-Ausstoß in der Produktion, sind pro produziertem Kilo Kuhmilch etwas mehr als zwei Kilo CO2. Soja-, Mandel-, Reis- und Haferdrinks rangieren bei rund einem Kilo pro produziertem Kilo. Beziehen wir uns hingegen auf den Wasserverbrauch, ist der Reisdrink mit weitem Abstand Nichtgewinner. Knapp 600 Liter werden pro Kilo verbraucht. Bei Milch sind es rund 250, beim Mandeldrink wiederum 350. Soja liegt etwa bei zehn Litern, was auch für Haferdrinks gilt. In puncto Gewässerbelastung und Landnutzung hängt die Milchproduktion alle Alternativen ab. Die Daten dazu findet ihr hier. Gesamtsieger ist übrigens Hafermilch.
Anprangern könnte man Mandeldrinks. Stammen die Mandeln dafür aus den USA, ist es hinsichtlich der Ökosysteme vor Ort problematisch. Sie schlucken viel Wasser und werden vorwiegend in Kalifornien angebaut, wo seit einiger Zeit Knappheit vorherrscht. Ein Blick auf die Herkunft lohnt sich. Im Übrigen lohnt sich der Wechsel von Milch zu Alternativen nur wenig, zumindest im Einzelfall. Der Einfluss auf den CO2-Fußabdruck wäre nur marginal, der Klimarettereffekt entsprechend gering. Ist trotzdem besser als nichts.
Fazit: Kommt drauf an
Mehrwegbecher retten die Umwelt –schöner Nachhaltigkeits-Mythos oder echt gut?
Machen wir uns nichts vor, Einwegbecher sind mittlerweile lediglich als Baustoff für Mülltürme nützlich. Jährlich werden in Deutschland 2,8 Milliarden verbraucht. Seit 3. Juli 2021 gilt zumindest hierzulande ein Gesetz, das ein paar Kunststoffprodukte verbietet und Hersteller von To-Go-Bechern verpflichtet, diese mit einem Warnhinweis zu kennzeichnen. Ein weiteres Feigenblatt für die Umweltpolitik. Verzicht hilft, aber sind Mehrwegalternativen (Recup, Faircup) von Cafés wirklich besser?
Laut Institut sind Mehrwegbecher erst nach der fünfzigsten Nutzung klimafreundlicher als ihre Einweggeschwister. Entsprechend stabil müssen sie sein, weshalb die Produktion deutlich energieaufwändiger ist, ähnlich verhält es sich mit dem Spülen. Zuletzt: Ein mitgebrachter Becher ist die sinnvollste Option. Da reicht pro Person allerdings einer aus. Wer sich ständig neue holt, etwa wegen ästhetischer Ansprüche, kann sich vielleicht hübsche Luftschlösser bauen, aber die werden von der Realität meist weggeblasen. Ein Überschuss bleibt ein Überschuss.
Fazit: Kommt drauf an
Papiertüten sind gut für die Umwelt
Mit ihrer braunen Farbe sehen sie auch so aus, irgendwie öko, fast wie recyceltes Toilettenpapier. Nun müssen die Tüten etwas mehr verkraften. Reißfest sollen sie sein, deshalb braucht es lange Zellfasern, die wiederum mehr Material bedürfen. Zudem werden sie mit Chemikalien verstärkt, was wiederum Luft und Wasser belastet. Außerdem bestehen sie schlicht aus ungebleichten Frischfasern, was zum Öko-Trugschluss führt. Viermal müssten wir eine Tüte nutzen, um das auszugleichen. Regnen sollte es dann nicht. Feuchtigkeit oder ein kleiner Riss sind schließlich tödlich für Papier.
Fazit: Eher nicht
Mythos? E-Autos sind genauso schlimm wie Verbrenner?
Der Punkt ist dabei, dass E-Autos selbst vielleicht kein CO2 emittieren, sie aber mit Kohlestrom angetrieben werden. Das Problem entstehe also bereits in den Zapfsäulen. Nun stammen in Deutschland, laut Bundesministerium für Umwelt (BMU), 43 Prozent des erzeugten Stroms aus erneuerbaren Energien. Elektroautos fahren also mit einem Strommix. Doch auch die Teile, etwa Batterien, sind ressourcenaufwendig. Bleibt es also dabei, sind E-Autos genauso schlimm wie Verbrenner, eventuell sogar schlimmer?
Eine Auswertung des BMU zeigt anderes. Über den gesamten Lebenszyklus, von der Herstellung bis zur Entsorgung, erzeugt ein E-Auto 162 Gramm CO2 pro Kilometer, ein Verbrenner 233. Das Ministerium geht dabei von einer Herstellung in Europa und einer Lebensfahrleistung von 150.000 Kilometern aus. Zusätzlich gibt es noch einen Blick in die Zukunft. Wird der Umschwung zu erneuerbaren Energien weitergeführt, sinken die Emissionen, unter denselben Bedingungen, auf 123 Gramm CO2 pro Kilometer. Bei Verbrennern sind es 212. So gut das auch klingt, es ist nicht einfach, alle Autos und ihren spezifischen Verbrauch einzubeziehen. Tendenziell sind Elektroautos aber klimafreundlicher als Verbrenner.
Fazit: Eher nicht
Mülltrennung ist sinnlos, wird doch eh alles zusammengekippt
Ja, die Deutschen und ihr Misstrauen. Da trennen sie schon in nahezu bürokratischer Akribie den Müll und letztlich schütten die Deponien alles zusammen, so zumindest die Fantasie. Schwups greift die Spieltheorie des Lebens und alles wird durcheinander geworfen. Wenn’s eine:r falsch macht, können alle anderen mitmachen. Wäre aber falsch. Auch auf Deponien wird fleißig getrennt und je nach Müllart verarbeitet. Erde zu Erde, Glas zu Glas.
Fazit: Eher nicht
Solange Nachhaltig draufsteht, ist alles gut
So nobel guter Wille beim Einkauf auch ist, die Annahme ist falsch. Nachhaltig ist kein geschützter Begriff, lässt sich wahrscheinlich auch nur schwer eingrenzen. Unternehmen nutzen das aus und klatschen auf allerlei Produkte Nachhaltigkeitssticker. Bestenfalls sind diese grün designt. Nehmen wir etwa Verpackung. Schreibt ein Wursthersteller etwa, dass die Plastikhülle seiner Mortadella doch zu 30 Prozent recycelt und das Produkt entsprechend nachhaltig sei, ist das wie ein Badezimmer vollzupinkeln und dafür Lob zu verlangen, weil man ja auch das Waschbecken getroffen hat. Produktion lässt der Hersteller außen vor und eine etwas umweltfreundlichere Verpackung kann das kaum ausgleichen. Also immer Augen auf.
Fazit: Kommt drauf an
Fair Fashion und nachhaltige Mode sind dasselbe
Die Modebranche ist voll von Klimasünder:innen und zeichnet sich häufig durch häufig menschenverachtende Arbeitsbedingungen aus. Beides Punkte, die es anzugreifen gilt. Entsprechend gibt es Fair-Fashion-Kleidung, also solche, die unter fairen Arbeitsbedingungen entstand und eben nachhaltige Mode, die wiederum möglichst umweltfreundlich hergestellt wird. Dasselbe ist das nicht. Entweder/oder muss zwar nicht gelten, sofern Kleidung mit beiden Labels gekennzeichnet werden, doch der Standard ist eher eins von beidem. Fairfashion: In diesen 12 Läden findet ihr nachhaltige Mode in Berlin.
Fazit: Eher nicht
Ihr wollt euren Alltag umweltfreundlicher gestalten? Hier findet ihr Tipps für ein nachhaltiges Leben. Auch Unternehmen schreiben sich das Thema seit einiger Zeit auf die Fahne. Wir haben 12 grüne Start-ups genauer angeschaut. Und wollt ihr möglichst nachhaltig einkaufen, könnt ihr zu einem dieser Unverpackt-Läden gehen.