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Interview

Other Nature: Wie der alternative Sexshop mit Klischees bricht

Other Nature in Kreuzberg ist ein Sexshop, der so gar nicht mit dem Bild vom stickigen Schmuddelladen im Dämmerlicht in Einklang steht. Das Geschäft ist hell, die Luft frisch, die Produkte stehen säuberlich in Regalen aufgereiht, frei von Kartons mit realitätsfernen Pornobildern. Ein wenig erinnert das an einem Schuhladen, nur mit Dildos, Vibratoren und Büchern zur Aufklärung. tipBerlin traf Geza Gothe, Teil des Kollektivs, das Other Nature gemeinsam führt. Ein Gespräch über Klischees, Grenzen und die Frage, warum man beim Sex nicht alles ausprobieren muss.

Geza Gothe vom Sexshop Other Nature gibt unter anderem auch Workshops zur sexuellen Aufklärung. Foto: tipBerlin

„Darauf achten, dass die Typen nicht in die DVDs onanieren“

tipBerlin Sexshops haben noch immer einen Schmuddelruf, obwohl der längst aus der Zeit fällt. Woran liegt das?

Geza Gothe Ich glaube, das liegt daran, dass wir noch dieses Bild von den früher Erotikvideotheken und Sexshops im Kopf haben. Gelegen in dubiosen Stadtteilen und innerlich eher staubig und klebrig. Vor zehn Jahren habe ich in einer Erotikvideothek gearbeitet und meine Aufgabe war dort, darauf zu achten, dass die Typen nicht in die DVDs onanieren. So viel dazu. Viele dieser Sexshops existieren noch heute.

tipBerlin Die gibt es auch in Berlin noch zuhauf. Einige ähneln mehr einem Tatort denn einem Ladenlokal.

Geza Gothe Genau, dadurch haben wir Assoziationen zu unrealistischen Pornodarstellungen. Beziehungen und selbst alltägliche Dinge wie Gleitgel rücken dadurch in den Hintergrund. Ein normaler Laden, der ausgeleuchtet ist, wo nichts abgesperrt ist, der nicht von Rotlicht geflutet wird, bricht mit diesem Klischee, ist aber relativ neu. Zum Beispiel sind die ersten feministischen Sexshops in den 70ern, 80ern aufgetaucht.

tipBerlin Was müssten Sexshops heute anders machen?

„Die interessantesten Sachen sind die, auf die man selbst kommt“

Geza Gothe Was andere Sexshops machen sollten, kann ich nicht sagen. Wir selbst sind ein veganer, sexpositiver, queerfeministischer und ökofreundlicher Sexladen. Wir versuchen alle genormten Images abzulegen. Hier sind die Spielsachen, die wir anbieten, ein gutes Beispiel. Wir nehmen sie aus den Packungen, um keine klischeehaften und stereotypen Darstellungen zu zeigen. Die Beschreibungen der Produkte sind meist sehr auf bestimmte Körperregionen und Tätigkeiten zugeschnitten. Das wollen wir öffnen.

Die interessantesten Sachen, die man mit den Produkten machen kann, sind die, auf die man selbst kommt. Außerdem ist unser Laden hell, die Spielzeuge sind nicht nach Geschlecht aufgeteilt und wir verfolgen einen beratenden Ansatz.

tipBerlin Das bedeutet?

Geza Gothe Wir wollen niemanden von Sextoys überzeugen. Merken wir, dass jemand nicht wirklich Lust hat, ein Sextoy in sein Liebesleben einzubringen, raten wir auch davon ab. Für beratende Gespräche nehmen wir uns viel Zeit. Es ist wichtig, dass sich die Menschen zu nichts gezwungen fühlen. Wer Fragen hat oder neugierig ist, kann gerne vorbeischauen. Und wer nichts mit Spielzeug anfangen kann, muss sich auch nicht dazu zwingen. Das Sexleben kann ohne genauso erfüllt sein wie mit. Zu einem erfüllten Sexualleben gibt es viele Wege.

Wo Sexshops wie Other Nature helfen können

tipBerlin Häufig haben Menschen beim Sex das Gefühl, abliefern zu müssen. Sie machen sich Gedanken, glauben, nicht aufregend genug zu sein. Könnte Sexspielzeug diesen Gedanken nicht sogar fördern?

Geza Gothe Ich würde sagen, es geht nicht um das, was ich mache, sondern in welchem Modus ich mich befinde. Wenn ich das Gefühl habe, performen zu müssen, ist es egal, ob ich Sexspielzeug benutze oder nicht. Spielzeug soll keinen Druck erzeugen, sondern lädt zum Spielen ein. Wir können damit schauen, was uns gefällt.

tipBerlin Trotzdem gibt es auch Vorwürfe, man sei langweilig, weil man beim Sex bestimmte Dinge nicht mag oder ausprobieren will.

„Dass wir beim Sex alles mögen müssen, ist Quatsch“

Geza Gothe Bei Sex kommt schnell das Gefühl auf, alles mögen zu müssen. Mag jemand nicht alles, gilt er schnell als frigide. Bei anderen Bereichen gilt das nicht. Sag ich, dass ich keine Lakritze mag, wird das kaum jemand verurteilen. Dass wir beim Sex alles mögen müssen, ist Quatsch. Das festzustellen, gibt Raum, Sexualität zu genießen.

tipBerlin In dem Punkt ist Popkultur ebenfalls ein Problem. Sexszenen in Kinofilmen geben schnell das Gefühl, alles müsse ebenso perfekt ablaufen. Druck kann so quasi ständig neu entstehen. Wie kann ich ihn reduzieren?

Geza Gothe Wichtig ist, Ziele, wie gemeinsam zum Höhepunkt kommen zu müssen, abzulegen. Stattdessen ist es schöner, sich mehr auf den Genuss zu konzentrieren. Zusätzlich hilft es, über den Druck zu sprechen, sei es mit Freund:innen oder Partner:innen. Dadurch kann der Druck abnehmen. Bei Sexuellem heißt es immer, alles müsse perfekt funktionieren, Probleme werden ausgeblendet.

Menschliche Dinge, die einen beim Sex behindern können – etwa Schmerzen im Beckenboden oder auch Stress – werden selten thematisiert. Lustlosigkeit ebenso. Das zwingt viele aber dazu, völlig normale Probleme als unnormal zu empfinden.

Other Nature wird von einem Kollektiv geführt, das heißt: keine Hierarchien, alle sind gleichberechtigt. Foto: tipBerlin

tipBerlin Wenn ich Sexspielzeug austesten will, wie spreche ich das bei meinem/meiner Partner:in an?

Geza Gothe In der Partnerschaft bestenfalls zunächst in einem nichtsexuellen Setting. Dann kann es helfen, ein Gespräch über Sex anzukündigen. So hat der Partner die Chance, sich auf dieses einzustellen. Man selbst hat ja bereits diesen Prozess der Entscheidungsfindung durchlebt. Folgt auf einem Wunsch ein „Nein“ muss man es respektieren. Den Partner drängen macht niemandem Freude.

„Um Grenzen zu ziehen, muss ich erstmal wissen, wo meine überhaupt liegen“

tipBerlin Jetzt kann ich mich auch davor fürchten, neue Dinge beim Sex auszuprobieren, obwohl ich Interesse habe. Lassen sich diese Ängste nehmen?

Geza Gothe Generell würde ich vor neuen sexuellen Erfahrungen meine Motive checken. Möchte ich das, weil ich Druck habe? Möchte ich das, weil es alle anderen machen? Oder möchte ich das, weil ich neugierig bin? Hab ich mich damit beschäftigt und weiß, warum Ich Lust darauf habe, kann ich mich schlau machen – zum Beispiel indem ich Workshops besuche oder Bücher zum Thema lese. Auch mit dem Partner oder der Partnerin ist Absprache wichtig. Geht es dann los, rate ich: auskosten und vortasten. Es kann am Anfang nicht langsam genug sein. Geht es zu schnell, kann ich für mich selbst nur schwer feststellen, inwiefern ich Spaß habe.

tipBerlin Wenn mein:e Partner:in sich nun aber etwas wünscht, was mir überhaupt nicht gefällt, muss ich das aussprechen. Das ist jedoch nicht immer leicht. Gibt es da eine Möglichkeit, Grenzen zu ziehen, ohne zu verletzen?

Geza Gothe Um Grenzen zu ziehen, muss ich erstmal wissen, wo meine überhaupt liegen. Das einzuschätzen braucht Übung. Schließlich verändern sich unsere Grenzen ständig. An einem Tag, an dem wir gestresst sind, liegen sie woanders als an einem, an dem alles läuft. Das erfordert Achtsamkeit, ist aber erlernbar. Wichtig ist, in sich hineinzuhorchen, ehrlich zu sich selbst zu sein. Danach muss ich diese Grenzen kommunizieren. Dafür ist das Setting entscheidend.

tipBerlin Wie könnte das aussehen?

Geza Gothe Vor dem Sex in ruhiger Atmosphäre, etwa am Küchentisch, kann es gut funktionieren. Ist das Gespräch von Angesicht zu Angesicht unangenehm, ginge auch ein Spaziergang. Auch nach dem Sex ist es gut, Dinge anzusprechen. Viele sind solche Gespräche nicht gewohnt, dabei gehört Sex zu unserem Leben. Es fehlen aber die Vorgaben, auch durch die Popkultur. Wir sehen nach einer Sexszene so gut wie nie, wie die Geschlechtspartner:innen miteinander sprechen. Das ist schade.

  • Other Nature Mehringdamm 79, Kreuzberg, Mo-So 12-18 Uhr, Tel: 030/20 62 05 38, Website

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