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Scheiße, wir sind an der Spitze der Liga: Was ist denn mit Union Berlin los?

Eisern Union! Vor ein paar Jahren schien es noch fast unmöglich, aber FC Union Berlin ist an der Spitze der Bundesliga. Eine Geschichte, die ausgerechnet einen englischen Autoren so fasziniert hat, dass er ein Buch darüber schrieb. Kit Holden ist ein britischer Sportjournalist, der in Berlin arbeitet. Wir haben mit ihm über sein Buch „Scheiße! We’re going up“ und über Berlins Kultverein gesprochen.

Union Berlin wurde ein Buch gewidmet vom britischen Autoren Kit Holden: „Scheiße! We’re going up“. Foto: Kit Holden

„Man findet kaum einen Verein, der so gut geführt wird, wie Union in den vergangenen zehn Jahren“

tipBerlin Union Berlin steht an der Spitze der Bundesliga. Was ist denn da los?

Kit Holden Schon komisch! Seit Jahren gilt im Fußball: man kann nur gewinnen, in die Champions League kommen oder an der Spitze stehen, wenn man eine große Menge an Geld besitzt. Dank Union scheint es derzeit fast so, als ob diese Regeln des modernen Fußballs nicht mehr gelten würde.

Klar, wir sind erst beim siebten Spiel der Ersten Bundesliga. Vielleicht ist es etwas überstürzt, den Verein in den Himmel zu loben. Aber: Es waren ein paar verrückte Jahre und endlich erreichen wir den Punkt, an dem sich niemand über den Erfolg mehr wundert. Die Erwartungen wurden rechts, links und in der Mitte übertroffen.

tipBerlin In Ihrem Buch sagen Sie, dass Union den Großteil der Geschichte den Ruf hatte, ein Verein der Opponenten zu sein. Sie waren der Verein der Bürger und nicht ein Verein des Staates. Sie waren sogar bekannt als die „die Unförderbaren“. Wann hat sich das verändert?

Kit Holden Man kann sagen, dass es drei Phasen in der Geschichte der Union gab.

In der ersten Phase, die während der DDR-Zeit, war die Union als der „Bürgerverein“ bekannt, während der Rivale BFC der Stasi-Verein war. Im Laufe der Jahre wurde dies ein bisschen zur Legende. Sie waren der Verein der Unförderbaren oder auch der Rebellenverein, was ein bisschen romantisiert ist – aber das macht man nun eben im Fußball so. Und es stimmt auch, sie waren in den 70ern der beliebteste Verein in Berlin, obwohl sie nicht wirklich gut waren. Sie waren eben sympathische Underdogs.

Nach der Wiedervereinigung hatten viele ostdeutsche Vereine Probleme den Übergang zu schaffen, weswegen sie im Ranking abstiegen. Es gibt viele strukturelle Probleme, die weder ihnen noch allen anderen ostdeutschen Vereinen geholfen haben – weswegen die Union auch fast 15 Jahre dafür gekämpft hat am Leben zu bleiben. Da kommt auch die zweite Hälfte der Legende des Familienvereins her: die Fans sind zusammengekommen und haben ihr eigenes Blut gespendet um den Verein vor dem Bankrott zu retten und um es ihnen zu ermöglichen, ihr eigenes Stadium zu bauen. Und diese Phase hat ungefähr noch 20 Jahre nach der Wende angehalten.

Und so wurde der Grundstein für diese ganze Romanze gelegt. Und dann sind da noch die vergangenen zehn Jahre, seitdem die Renovierung des Stadions fertig ist und sie in die Zweite Liga aufgestiegen sind. In dieser letzten Phase sind sie ein sehr gesunder und erfolgreicher Fußballverein, der immer besser und besser über die Jahre geworden ist. Man findet kaum einen Verein, der so gut geführt wird, wie Union in den vergangenen zehn Jahren.

tipBerlin Sie haben sich vorgenommen, ein Buch auf Englisch über den zweitgrößten Verein Berlins zu schreiben. Man HAT das Gefühl, dass die Union eine besondere Anziehung auf Außenseiter, Newcomer und Englischsprachige hat. Wie denken Sie, kommt es dazu?

Kit Holden Ich denke, dass es da zwei Dinge gibt. Die Geschichten der Union sind einzigartig – das alljährliche Weihnachtsliedersingen, die Blutspenden, der Bau des eigenen Stadions. Diese Geschichten ziehen die Menschen an, ganz gleich, ob sie sich für Fußball interessieren. Aber ich glaube auch, dass sie mehr Subkultur als der breite Mainstream sind, was eben auch viele Auswanderer und Neuankömmlinge in Berlin suchen.

Es ist wie die Geschichte eines Nachtclubs oder Bar, die du nur betreten kannst, wenn du den geheimen Eingang kennst, weil es darüber keinen Eintrag auf Google Maps gibt. Das ist halt typisch Berlin – und die Union hat auch etwas davon.

Der Stadions- und Vereinssprecher Christian Arbeit brachte es auf den Punkt: „Wir waren ein bisschen wie Dornröschen. Du musstest erst tief in die Köpenicker Wälder eindringen und uns finden, um uns wachzuküssen.“ Das hat sich nun geändert, aber lange waren sie ein unentdecktes Juwel.

Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere ist, dass es zumindest in der angelsächsischen Welt eine Art Faszination für Ost-Berlin und die DDR gibt – und diese Dinge greifen recht gut ineinander, um eine Atmosphäre zu schaffen, die sich wirklich von vielen anderen Fußballstadien unterscheidet. Das macht die Leute süchtig.

tipBerlin Es ist schon bemerkenswert, dass Union Berlin derzeit – neben RB Leipzig, welcher eine Ausnahme ist, weil er von Red Bull unterstützt wird – der einzige Verein aus dem ehemaligen Osten in der Bundesliga ist. Könnten Sie kurz etwas zu den strukturellen Problemen sagen, mit denen diese Vereine zu kämpfen hatten, und wie die Union diese überwinden konnte?

Kit Holden Naja, für eine lange Zeit war dies nicht der Fall. Sie haben genauso gelitten wie alle anderen auch. Manche behaupten, dass es ein bisschen ein abgekartetes Spiel war: Es gab nicht genügend Plätze in der wiedervereinigten Ligastruktur für die ostdeutschen Vereine, und sie wurden bei der Zusammenlegung der Ligen ein bisschen benachteiligt. Es gibt Argumente für beide Seiten, aber es ist sicherlich etwas Wahres dran.

Aber teilweise ist es genauso wie in der Wirtschaft nach der Wende. Man brauchte im ostdeutschen Sozialismus einfach ganz andere Dinge, um etwas zu schaffen. Da brauchte man Parteiverbindungen und so weiter, während man im Kapitalismus eine andere Art von Geschäftssinn brauchte. Und dann ging alles so schnell, dass man vor der Wahl steht: Behält man die gleichen Leute, die den Verein, die Region und den ganzen Rest kennen, auch wenn sie nicht unbedingt über den nötigen Scharfsinn verfügen, um sich in dem neuen Wirtschaftssystem zurechtzufinden? Oder holt man völlig neue Leute aus dem Westen, die den Verein nicht kennen und keine besondere Verbindung zu ihm haben?

Viele Vereine haben es auf die eine oder andere Weise versucht, und viele von ihnen wurden am Ende ein wenig über den Tisch gezogen.

Und dann gibt es noch die Geschichten von den Scouts und Sportdirektoren aus Westdeutschland, die direkt nach der Wende in die Trainingsgelände all dieser ostdeutschen Vereine gingen und anfingen, all diese Spieler wie Matthias Sammer und – später – Michael Ballack abzuwerben.

Es ist eine Art Legende für sich – diese Geschichten sind schon oft erzählt worden – aber es ist etwas dran. Dieser Übergang war hart und die Fans erinnern sich daran. Es gibt eine lustige Geschichte mit Leipzig: Nachdem Union in die Bundesliga aufgestiegen war, hielten die Fans ein Schild hoch: Nach zehn Jahren wieder, ein Ostverein in dieser Liga.

Die Unionfans sagten also zu Leipzig: Ihr seit nicht wirklich aus dem Osten. Es hat immer noch mit der Frage nach dem Stolz zu tun.

Scheiße, we’re going up! Das Buch von Kit Holden ist ein unbezahlbarer Ratgeber über die Unionsgeschichte. Foto: Duckworth books

tipBerlin Ich habe lange Zeit nicht verstanden, dass Hertha und Union während der meisten Zeit ihrer Geschichte keine Rivalen waren. Die Fans haben sich sogar solidarisch gezeigt und sie als „Brüder hinter dem Stacheldraht“ bezeichnet. Wie steht es denn heute um diese Freundschaft bzw. Rivalität?

Kit Holden Nun, es ist paradox. Die Sache ist die, dass es einfacher war, eine Freundschaft zu pflegen, wenn man in einem anderen Land ist. Einige Hertha-Fans hielten im Olympiastadion eine Unionsflagge hoch oder kamen zu einem Spiel in die Försterei, aber es war nicht so, dass das Tausende von Leuten taten. Vielen ging es wahrscheinlich eher darum, die Behörden zu ärgern, indem sie einen Aufkleber eines westlichen Vereins trugen, daher ist es schwer es in Zahlen auszudrücken.

Ich erinnere mich nur zu gut daran, als ich zu dem Ersten Bundesliga Derby 2019 ging als Union aufgestiegen war. Die Leute sagten, dass es den Ton für die Rivalität angeben. Wenn er freundlich ist, wird es vielleicht ein Freundschaftsderby. Wenn sie einander in die Pfanne hauen, wird es in die unfreundliche Richtung gehen.

Schließlich begannen die Hertha-Fans, Raketen auf das Spielfeld zu schießen, und einige Union-Fans versuchten, den Auswärtsblock zu stürmen. Das gab den Ton an. Es gab auf beiden Seiten Leute, die eine Schlägerei wollten. Es ist eine richtige Lokalrivalität geworden.

tipBerlin In dem Buch porträtieren Sie verschiedene Fans und entwerfen dieses kaleidoskopische Bild des Vereins, aber was ist mit Ihrer eigenen Beziehung zu Union? Wann haben Sie beschlossen: Das ist mein Verein?

Ich habe mich vor kurzem mit jemandem unterhalten, und er sagte, dass für ihn die Erfahrung, jemanden mitzubringen und selbst mitgebracht zu werden, ein wichtiger Aspekt des Clubs ist. Es ist dieses Gefühl von „Ich muss dir das zeigen“, was bis in die 70er Jahre zurückreicht. Es wird einem gezeigt und man will es direkt jemand anderem zeigen – so geht der Kreislauf weiter.

Und dann sind da noch die kleinen Dinge, die diesen Verein besonders machen: die Proteste, bei denen alle schwarz tragen und 15 Minuten lang schweigen. Oder auch im Tagesprogramm des Spieles. Ich erinnere mich an das Spiel gegen RB Leipzig, als sie statt eines normalen Artikels über den Gegner einen wirklich trockenen Wikipedia-Artikel über Stiere abgedruckt haben: wie sie gehalten, gezüchtet und domestiziert wurden. Das war ein Witz, und er war komisch und lustig. Ich weiß noch, dass ich dachte: Das ist einfach sehr, sehr sympathisch.

Wir sollten auch über das Stadium reden. Selbst in den berühmten Stadien wie Dortmund oder so, ist nur ein Ende des Stadions wirklich laut. Die anderen schauen leise zu. Aber bei Union sind es drei, oder sogar alle vier Seiten. Das ist etwas Besonderes. Das haut einen ziemlich schnell um.

tipBerlin Also, Union spielt am Sonntag gegen Wolfsburg, und mit einem Sieg bleiben sie natürlich an der Spitze der Liga. Sagen wir mal, es ist das erste Spiel, das ich mir anschaue. Welches sind die drei Spieler, auf die ich achten sollte? Wer macht die Mannschaft stark?

Also, da ist Christopher Trimmel, der rechte Verteidiger und der Kapitän. Er ist Österreicher, aber er ist im Moment der dienstälteste Spieler. Er ist seit acht, neun Jahren dabei und er ist einer der drei, die jetzt im Kader sind und die schon beim Aufstieg im Team waren.

Er ist ein großartiger Freistoßschütze, aber er ist auch die Art von Spieler, der einem immer noch Hoffnungen macht, auch wenn man selbst 35 ist, dass man es vielleicht eines Tages schaffen könnte. Dieser Mann mag Jazz, kauft Kunst und fährt eine Harley-Davidson. Offensichtlich ist er ein wirklich guter Heimwerker. Einfach ein freundlicher, netter und normaler Kerl. Er hat ein Tattoo-Studio, und wenn man ihn sieht, denkt man: Du bist toll, aber du bist nicht dazu bestimmt, Fußball zu spielen.

Nummer zwei? Sheraldo Becker ist der spannendste Spieler. Ein explosiver Flügelstürmer, der sich in den letzten Jahren entwickelt hat und ein klassisches Beispiel für das ist, worüber wir gesprochen haben, nämlich wie [Cheftrainer] Urs Fischer und [Sportdirektor] Oliver Ruhnert das Beste aus den Spielern herausholen.

Als er zu uns kam, war er sehr talentiert, sehr schnell, aber 70 Prozent seiner Flanken landeten in der Reihe Z. Er war nicht gut genug für die erste Mannschaft und hat sich ein bisschen geärgert. In den letzten zwei bis drei Jahren hat er sich dann zu einem absolut herausragenden Spieler entwickelt. Sie haben es geschafft, ihn für ein weiteres Jahr zu halten, was sehr, sehr gut ist.

Die dritte Person ist Torten Thorsby. Er ist neu und ein gutes Beispiel dafür, wie sie die Fluktuation im Kader in den Griff bekommen haben. Er spielt im zentralen Mittelfeld und ist ein großer, blonder Norweger, der eine Umwelt-NGO gegründet hat. Er ist ein großer Verfechter dafür, dass Fußballer sich mehr für die Umwelt einsetzen sollten. Die Union-Fans nennen ihn die Greta Thunberg des Fußballs.

  • Kit Holdens Buch „Scheisse, wir steigen auf!“ ist bei Duckworth Books erhältlich. Außerdem wird er am 4. Oktober im Rahmen der Exberliner-Lesereihe einen Vortrag im Dussmann English Bookshop halten.

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