Am 26. Juli beginnen in Paris die Olympischen Spiele. Dabei kämpfen zwei junge Berliner um die Qualifikation in Disziplinen, die dort der neue Chic sein werden. Über die Ambitionen des Skaters Justin Sommer und der Breakdancerin Jilou
Der Skater Justin Sommer, 25, und die Breakerin Jilou, beide aus Berlin, wollen in Paris antreten
Wissen Sie, was ein Heelflip ist? Oder haben Sie schon mal etwas von einem Headspin gehört? Dabei handelt es sich jeweils um typische Bewegungen aus Skateboarding und Breaking. Wenn Ende Juli in Paris die Olympischen Spiele 2024 starten, wird Skateboarding zum zweiten Mal als Sportart vertreten sein – und erstmals auch Breaking, das viele unter Breakdancing kennen. Hier kurz die Bedeutungen des Szene-Vokabulars: Der Heelflip ist beim Skaten eine Rotation des Boards um die Längsachse; der Headspin bezeichnet beim Breaking das Rotieren auf dem Kopf.
In Berlin bereiten sich Sportler:innen aus diesen Disziplinen auf Olympia vor. Der Skater Justin Sommer, 25, und die 31-jährige Breakerin Jilou – bürgerlich: Sanja Jilwan Rasul – wollen in Paris antreten und würden dabei bei Weitem nicht nur um einen Platz auf dem Treppchen kämpfen. Es geht auch um einen kulturellen Wandel: zwei Außenseiter:innen aus Straßensportarten mit Ländertrikots samt Adler beim arriviertesten Sportereignis der Welt.
Wie fühlt es sich für diese Underdogs an, bei einem Wettbewerb zu starten, der sonst wegen 100-Meter-Lauf, Fechtkämpfen oder Rudern die Fans in den Bann zieht? Bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe waren die Qualifikationsturniere für die Spiele in Paris noch nicht abgeschlossen, doch beiden Anwärter:innen werden gute Chancen attestiert. Es könnten sich dabei auch weitere deutsche Teilnehmer:innen qualifizieren.
Jilous Geschwindigkeit und Ausdrucksstärke sind enorm
Wenn Jilou ihre Moves in Battles bringt, kommt das Auge teils kaum mit. In Windeseile wechselt sie zwischen Top Rock (im Stehen) und Down Rock (am Boden) ab. Dazu ein wenig Poplocking, Freezes oder andere Posen. Jilous Geschwindigkeit und Ausdrucksstärke sind enorm. Die Wahlberlinerin gehört seit Jahren zur Weltspitze. 2021 und 2019 holte sie Bronze bei den Breaking-Weltmeisterschaften, 2021 und 2023 zusätzlich die Deutsche Meisterschaft.
Bei den Olympischen Spielen in Paris treten 16 Frauen und 16 Männer im Battle- und K.O.-System gegeneinander an – jeweils im Einzel. Sie werden anhand von fünf Kategorien bewertet: Technik, Vokabular, Ausführung, Musikalität und Originalität. Ausgetragen werden die Wettkämpfe auf der Place de la Concorde, auf einem eigens aufgebauten Gelände, mitten in der französischen Hauptstadt.
Der kompetitive Charakter ist für die Breaker:innen nicht neu, die Strukturen sind aber trotzdem etwas ungewohnt. Seit Jahrzehnten treffen sich unter anderem beim Battle of the Year, einem internationalen Turnier, die besten Tänzer:innen und kämpfen um die Krone des Sports.
Mit der riesigen Aufmerksamkeit dank Olympia wird Breaking dennoch auf ein neues Level katapultiert – auch wenn bei den Qualifikationen in Shanghai und Budapest die Veranstalter anfangs mit der solidarischen Mentalität der Szene fremdelten. Erst nach Interventionen der Teilnehmenden durften die Breaker:innen – wie der Szene üblich – direkt vor der Bühne ihre Mitstreiter:innen und Widersacher:innen anfeuern.
Die Gemeinschaft steht in diesem Soziotop immer noch an erster Stelle
Die Gemeinschaft steht in diesem Soziotop immer noch an erster Stelle. Jilou beschreibt es so: „Wir sind in einem Sport aktiv, der sehr viel auf Freundschaften und Communitys aufbaut, und deswegen ist es uns auch wichtig, dass wir unsere Leute unterstützen können.“ Bei Szene-Turnieren entstehen im Breaking meist Kreise, die sich dicht um die Aktiven gruppieren, enthusiastisch mitfiebern und ihre Leute anspornen. Auch bei Olympia soll möglichst viel Gemeinsames bewahrt werden. „Wichtig ist, dass man Breaking kennenlernt und nicht denkt: Das ist nur Wettbewerb. Wir haben eine Community, wir haben Cyphers (dabei bilden B-Boys und B-Girls einen Kreis, während jemand in der Mitte tanzt, die Red.). Es geht um Austausch, man fährt in andere Länder und hat sofort Bezug zu den Kulturen. Ich bin sehr oft durch die Welt zu Turnieren gereist und habe auf den Couches der befreundeten Aktiven der Szene geschlafen.“
Der soziale und internationale Charakter der Breaking-Events ist in den Wurzeln der Kultur begründet. Als Teil der vier Elemente der HipHop-Kultur, die auch in Berlin eine lange Geschichte hat, neben DJing, Rappen und Graffiti war das Breaking zunächst die stilprägende Disziplin der von afroamerikanischen und puertoricanischen Akteur:innen begründeten HipHop-Kultur, die in den 70ern im New Yorker Stadtteil Bronx begann und sich auf Blockpartys entfaltete. Mit einigen Jahren Verspätung schwappte die HipHop-Welle über Stützpunkte der US Army nach Deutschland und traf hier in Jugendzentren auf Kids, die die neuen Kulturtechniken begierig aufgriffen. Auch wenn heute Rapper und DJs als Synonym der HipHop-Kultur gesehen werden, waren am Anfang die Breaker:innen die Stars der neu entstehenden Szene. Viele Protagonist:innen tanzten, rappten, legten auf und sprühten gleichzeitig. Auch Jilou hat alle vier Elemente der Hip-Hop-Kultur schon selbst ausgeübt. Beim Breaking ist sie hängengeblieben.
„Ich habe angefangen mit komplett kaputten Sneakern und ich hatte damals absolut keine finanziellen Mittel und es hat überhaupt nicht gestört.“
Jilou
Als Kind einer Deutschen und eines Irakers ist die Profi-Breakerin in Köln geboren und aufgewachsen. Sie startete ihre Karriere in einem Jugendclub. Ihr gefiel die Niedrigschwelligkeit: „Ich habe angefangen mit komplett kaputten Sneakern und ich hatte damals absolut keine finanziellen Mittel und es hat überhaupt nicht gestört.“
Für Jilou, die vor acht Jahren aus dem Rheinland nach Berlin zog, waren auch im Erwachsenenalter die Jugendclubs ihre Anlaufpunkte. Ob Naunynritze in Kreuzberg oder Haus der Jugend in Charlottenburg, JKW in der Grenzallee in Neukölln oder die KMA-Antenne: Dutzende Jugendclubs der Stadt bieten Jugendlichen und Kindern Räume als auch Kurse. Oft ist Breaking eines der beliebtesten Angebote. Jilou will, dass der soziale Charakter gewahrt bleibt: „Ich kämpfe dafür, dass Breaking nicht elitär wird. Jeder und jede, ob mit oder ohne große Mittel, soll teilnehmen können. “ Ihre stärksten Konkurrenten bei den Olympischen Spielen in Paris würden nun wohl Maniacs aus Japan, China, Italien, den USA und Frankreich sein.
Szenenwechsel zur anderen schillernden Randsportart in Paris: Seit Tokio 2021 ist bekanntlich auch Skateboarding olympisch. Ebenso als Wettbewerb im Einzel. Justin Sommer aus Pankow möchte für Deutschland antreten. Er gehört seit Jahren zur Weltspitze des Street-Skateboardings, also jener Unterdisziplin, die überwiegend auf der Straße ausgeübt wird und nicht in Halfpipes. Ins Skateboarding fließen Millionensummen: Seit Jahrzehnten unterstützen große Hersteller, Kleidungsmarken und andere Unternehmen Talente und erfahrene Skater:innen.
Wie Breaking ist Skateboarding viel mehr als nur eine weitere Sportart. Im Kalifornien der 70er-Jahre von Surfern erfunden, die Rollen an ihre Surfboards montierten, um schneller an den Strand zu gelangen, ist auch Skateboarding eine Mischung aus Sportart und Kulturtechnik mit eigenen Codes, popkulturellen Bezügen und einem großen Community-Gedanken. Der Ursprung vieler Athlet:innen liegt auf den Straßen, wo sie im besten Fall viel Platz vorfinden, um mit dem Skaten anzufangen.
Berlin ist die Stadt der Skate-Spots
Neben Skateparks, von denen es in Berlin sehr viele gibt, brauchen Streetskater wie Justin auch Treppen, so genannte Curbs, also steinerne oder eiserne Ecken, ebenso Handrails, womit Geländer gemeint sind, und weiteren Platz im öffentlichen Raum. Eine Stadt wie Berlin, die mit großen, teils asphaltierten Parkanlagen und Plätzen aufwartet, ist ein Nährboden für die Szene. Auch Justin fing an öffentlichen Orten an – zum Beispiel am Denkmal des polnischen Soldaten und deutschen Antifaschisten im Volkspark Friedrichshain oder am Kulturforum in Mitte.
Dass Berlin ein wichtiger Standort ist, half Justin, sich schon im frühen Jugendalter zu professionalisieren. Groß geworden ist er im Norden Pankows, weitab der bekannten Spots.
Mit der Kür zur olympischen Disziplin ist die ehemalige Funsportart Skateboarding 2021 auf der größtmöglichen Bühne angekommen. In Japan hat die erstmalige Teilnahme der Skater:innen einen Boom ausgelöst. Drei von vier Goldmedaillen gingen an japanische Starter:innen. In Tokio dominierten zudem viele Wunderkinder den Wettbewerb, die ihren älteren Mitstreiter:innen in punkto Athletik und Professionalität, aber auch im Marketing voraus sind. Perfektionist:innen, die sehr strebsam sind. Justin hat die Unterschiede wahrgenommen: „Ich bin damit aufgewachsen, auf der Straße meinen Homies abzuhängen und zum Spaß zu skaten. Ich glaube, dass die neue Generation heute mehr im Skatepark trainiert, als auf der Straße die Kultur zu leben. Das finde ich etwas schade.“
Mit dem Aufstieg zur olympischen Disziplin in Tokio wurde das Skateboarding mehr als je zuvor als Sportart wahr- und ernstgenommen. Justin Sommers Ziel geht über sportlichen Ehrgeiz hinaus: „Ich würde mich einfach freuen, meine Freunde und Familie stolz zu machen.“
Es stellt sich die Frage, wer mehr profitiert bei Olympia: die Spiele oder die Sportart?
Die olympischen Skater:innen präsentieren sich übrigens auf demselben Gelände wie die Breaker:innen dem Weltpublikum – eben auf der Place de la Concorde, unweit von Arc de Triomphe und Louvre. Starke Akteur:innen kommen neben Japan aus den USA, Brasilien und Australien. Zwei Durchläufe wird es geben; mittels eines Rankings werden die Sieger ermittelt.
Es stellt sich die Frage, wer mehr profitiert bei Olympia: die Spiele oder die Sportart. Athlet:innen wie Jilou sehen die Olympischen Spiele eher als Plattform, um bessere Strukturen aufzubauen. Hinzu kommt, dass die olympische Idee ein Update braucht. Mit den neuen Sportarten als basisdemokratische Jugendkulturen und kreative Ausdrucksformen bekommen die Spiele jede Menge Coolness und einen besseren Zugang zur Jugend. Die Zeichen für einen Kulturwandel bei Olympia stehen in Paris ganz gut.
Text: Julian Zwingel
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