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Türkiyemspors starkes Frauenteam: Kreuzbergs neuer Kick

Früher einmal war Türkiyemspor der große Kultverein Berlins: ein Fußballklub aus Kreuzberg, der einst Hertha BSC Paroli bot. Die Männer wären einst fast in die Zweite Liga aufgestiegen. Dann folgte der Absturz. Jetzt plant der Verein ein Comeback: mit Fußballerinnen, die an die Spitze  wollen – ein deutschlandweit einmaliges Projekt in einem Sport, der andernorts immer noch patriarchalisch geprägt ist.

Auf dem Weg an die Spitze: die Frauen von Türkiyemspor. Foto: Nike
Auf dem Weg an die Spitze: die Frauen von Türkiyemspor. Foto: Nike

Das Herzland in diesem Fußball-Sommer ist ein kleines Vereinsgelände in 10961 Berlin. An diesem Ort im urigsten Kreuzberg servieren Ehrenamtler am Kabinentrakt schwarzen Tee in Pappbechern, dösen gegenüber Familien unter einem Schirm des Deutschen Gewerkschaftsbunds. Auf dem Kunstboden nebenan, dem Grundstein des jüngsten Triumphs, sprinten und schießen ehrgeizige Lokalmatadorinnen. Sie heißen Karla Krüger, Erika Szuh oder Aylin Yaren, ein Kader mit Namen, so vielfältig wie die Klingelschilder an den Häusern des Stadtteils. 

114:8 Tore, 18 Siege, ein Remis, keine Niederlage, so lauten die Parameter ihres Erfolgs. Meisterinnen der Berlin-Liga, ein Sprung, der Türkiyemspor, ihren Verein, wieder auf die große Bühne katapultieren soll. Jenen Kultklub der späten 80er und frühen 90er, der damals wie kaum ein anderes Projekt eine Projektionsfläche für umwälzende Träume bot.

Türkiyemspor war in dieser Ära ein vielbeachteter Gegenentwurf zum deutschen Fußball-Mainstream, zur schwarz-rot-goldenen Dreifaltigkeit aus Bitburger-Pils, Wimpel und Gerd Rubenbauer – über die Grenzen der Stadt hinaus. Ein Verein, der 1978 aus einer Clique von Straßenfußballern hervorgegangen war und fortan die Amateurligen aufmischte. Die Nummer zwei in Berlin wollten die Revoluzzer schon bald werden, hinter der Hertha, mindestens. Die Landes- und Oberliga hinter sich lassen, im Profi-Geschäft auftrumpfen. Zeitweise war die einflussreiche türkische Tageszeitung „Hürriyet“ der Trikotsponsor.

Doch der Plan scheiterte – just am 1. Mai 1991, jenem Tag, der sonst im Event-Kalender ein Freudenfest ist, mit der üblichen Protestfolklore der linken Szene auf den Straßen Kreuzbergs.

Das Desaster im Schicksalsspiel von Türkiyemspor

Ein desaströses 0:5 setzte es seinerzeit gegen TeBe Berlin, auf dem Plateau des Viktoriaparks, wo das trutzige Katzbachstadion steht. Im wegweisenden Saisonspiel hatte Türkiyemspor den Aufstieg in die Zweite Liga vermasselt, vor 8.000 Zuschauern. Die epochale Niederlage nennen Altvordere heute „Schicksalsspiel“. In den folgenden Jahren mäanderte der Klub in der dritten, vierten, fünften Liga. 2010 wurde die Insolvenz abgewendet.

Heute erneuern diejenigen das Versprechen von großen Meriten, die früher Spalier standen, als Spielerfrauen und Soccer-Moms: fußballaffine Frauen.

Kick it like Kreuzberg

Zum Beispiel Lara-Meltem Wagner, Rückennummer 5. Sie spielt für das so überaus erfolgreiche Frauenteam auf der linken Abwehrseite. „Wir wollen in die Bundesliga“, sagt die 24-Jährige, deren Sozialisation ein Käfig auf dem Lausitzer Platz war.

Die jungen Himmelsstürmerinnen wollen erreichen, was die Vereinsväter vergeigt haben. Kick it like Kreuzberg. Der jüngste Titelgewinn hat zumindest den Aufstieg in die Regionalliga eingebracht, die dritthöchste Klasse. Selbst die Corona-Pandemie konnte die Senkrechtstarterinnen nicht stoppen. Die Fußball-Funktionäre haben den Tabellenstand, der zum Zeitpunkt des Lockdowns aktuell war, Ende Mai zum endgültigen Tableau erklärt – mit jener Pole-Position, die eine Ansage ist.

Türkiyemspors Gegner: Union Berlin und Rostocker FC

In der kommenden Saison warten Union Berlin und der Rostocker FC auf die erste Garde der Türkiyemspor-Frauen. Statt Staaken und Friedrichshagen. Die aufstrebende Equipe ist Sinnbild für einen Wandel. Ein Verein, der lange Zeit eine Männerwirtschaft war, wird von Frauen erobert.

Mittlerweile spielen 250 Mädchen und Frauen für Türkiyemspor, in knapp 30 Teams. Fast die Hälfte des kickenden Personals mit rund 500 Aktiven. Eine märchenhafte Quote in einem Metier, das noch immer patriarchalisch geprägt ist.

Die Frauen-Bundesliga etwa, ein Ereignis auf Weltniveau, wird in der „Sportschau“ mit Kurzbeiträgen versendet. Auch der Gender Pay Gap verläuft tief. Die Spielerinnen verdienen im Schnitt 39.000 Euro – ein Bruchteil der sechs- und siebenstelligen Saläre im Männerfußball. Eine Schote aus dem Jahr 1989 ist bis heute Running Gag in deutschen Vereinsheimen: Damals überreichte der DFB den Nationalspielerinnen, soeben Europameisterinnen geworden, Kaffee-Services als Prämien.

In der Türkiyemspor-Historie ist das Jahr 2004 der Beginn der neuen Zeitrechnung. Damals sei ein türkischer Opa in die Geschäftsstelle gekommen, erzählt Murat Dogan, Gründer und Co-Chef der Frauenabteilung, zudem Trainer der in die Regionalliga aufgestiegen Türkiyemspor-Frauen. Er habe eine Enkeltochter, die ihm die Wände kaputt haue, sagte der Besucher. Ob Türkiyemspor nicht ein Angebot für sie habe?

„Ich find’s schwierig, wenn Menschen keinen Traum haben“, sagt Murat Dogan von Türkiyemspor

So entstand die Idee einer Frauenabteilung. Um „Nachhaltigkeit und Diversität“ sei es gegangen, der sportliche Erfolg sei erst einmal nachrangig gewesen, sagt Dogan. Gesundes Wachstum, würden Sportmanager sagen. Nebenher ließen sich Spielerinnen zu Trainerinnen ausbilden, viele von ihnen machten eine C-Lizenz.

„Ich find’s schwierig, wenn Menschen keinen Traum haben“, sagt Murat Dogan, 43, ein Freibeuter mit Zopf und schepperndem Lachen. Früher, in den 90ern, war Dogan mal Libero, mal Sechser im defensiven Mittelfeld der Türkiyemspor-Männer. Jemand, der „die Übersicht hatte“.

Feierstimmung beim Frauenteam von Türkiyemspor. Foto: Nike
Feierstimmung beim Frauenteam von Türkiyemspor. Foto: Nike

Türkiyemspors Frauenabteilung ist auch soziales Projekt. Dafür sorgt ein Programm, das „Abla“ heißt, türkisch für „große Schwester“. Arrivierte Spielerinnen kümmern sich um Novizinnen. Small Talk und Nachhilfe, Geburtstagsbesuche und gemeinsame Urlaubsreisen. „Es geht um greifbare Vorbilder, mit denen sich die jüngeren Mädchen identifizieren können“, sagt Lara-Meltem Wagner.

Türkiyemspor kooperiert jetzt mit dem Global Player

Alles in allem eine Erfolgsstory, die mittlerweile dem Erscheinungsbild eines globalen Konzerns mehr Credibility verleihen soll. Der Sportausrüster Nike, eine US-Traumfabrik, die seit jeher Heldengeschichten aus unterschätzten Milieus produziert, einst zum Beispiel mit Michael Jordan als stilisierten Halbgott, ist seit 2018 ein Kooperationspartner von Türkiyemspor. Und spendiert Spielerinnen und Spielern die Jerseys.

„Just Do It“, das ist normalerweise der Claim, der auf den Hemden in den Schaufenstern der Flagship-Stores prangt, ein Aphorismus zwischen kapitalistischer Esoterik und Blaxploitation. „Du tust es nie nur für dich“, lautet der Slogan in der deutschen Version der Kampagne, die neben Türkiyemspor auch Leroy Sané, die Boxerin Zeina Nassar und andere Stars aufbietet. Ein Werbevertrag, der einem Global Player ökonomischen Nutzen bringen soll, klar. Aber für Türkiyemspor auch ein Vorstoß ins popkulturelle Zentrum des Sport-Entertainments.

In der Corona-Krise hat das Weltunternehmen den Philantropen gegeben. Nike habe den Kontakt zu einer Stiftung vermittelt, sagt Dogan. „Es wurde eine kleine Summe überwiesen, die Gold wert war. Sie hat unsere Liquidität aufrecht erhalten.“ Die Finanzspritze stopfte ein Loch in der Vereinskasse; es klaffte, nachdem die Geldströme von sponsernden Mittelständlern ins Stocken geraten waren.

Keine drei Streifen oder Raubkatze

Die Kooperation mit Nike erzählt vom Primat der Wirtschaft, der selbst an der Fußball-Basis herrscht. Und von einem transatlantischen Graben: Ein deutscher Konzern hat Türkiyemspor niemals einen ähnlichen Deal angeboten, selbst in der Sturm- und Drang-Phase der Männer nicht.

Dabei war Türkiyemspor selbst in der illustren Vergangenheit sowieso nie Hort einer einzelnen Community. Die Hintergründe der Spieler waren bunt wie die Geschäfte in der Oranienstraße. In die Fanblöcke mischten sich Bummler und Existenzialisten, Wiedergänger von Herrn Lehmann, Karl Schmidt und anderen Phänotypen.

Kieztraining mit Hertha BSC 2019 im Willy-Kressmann-Stadion (bis 2010: Katzbachstadion). Türkiyemspor hat hier den Heimvorteil. Foto: Imago Images/Matthias Koch
Kieztraining mit Hertha BSC 2019 im Willy-Kressmann-Stadion (bis 2010: Katzbachstadion). Türkiyemspor hat hier den Heimvorteil. Foto: Imago Images/Matthias Koch

Heute spielen die Türkiyemspor-Männer nur noch vor 100 Fans – wenn nicht gerade ein Virus grassiert. Das Katzbachstadion ist nach der Häutung infolge des wirtschaftlichen Tiefs vor ein paar Jahren eine Festung der Melancholie geworden. So wehmütig stimmt das Tal der Tränen, dass Imran Ayata, der Schriftsteller, Denker und „Kanak Attak“-Provokateur, und Neco Çelik, der Theatermacher, die Trauer in einem exemplarischen Bühnenstück verarbeiteten, „Liga der Verdammten“, uraufgeführt 2013 im Ballhaus Naunynstraße.

Für die Frauen begann die Saison am 6. September 2020. An ihrem ersten Spieltag trafen sie auf Viktoria Berlin (0:1).


Sport in Berlin

Auch der Amateurfußball startet in die Saison – unter Pandemie-Bedingungen. Türkiyemspor Berlin fliegen die Herzen zu, aber auch die Köpenicker haben Anhänger in der Redaktion: tipBerlin-Autor Thomas Winkler hat eine Liebeserklärung an den FC Union und dessen Fans geschrieben. Türkiyemspor Berlin ist einer der politisch aktivsten Clubs in Berlin. Und dann erinnern wir uns gern an diese sportlichen Höchstleistungen und Weltrekorde in Berlin.

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