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Türkiyemspor, Union, Viktoria: Wie Berliner Frauenteams den Fußball erneuern

Lange Zeit war die männliche Vormachtstellung im Fußball unverwüstlich. Nun bringen Frauen die patriarchalische Festung ins Wanken. Die Fußball-EM in England war berauschend. Und in Berlin starten ambitionierte Projekte durch. Viktoria Berlin, ein von Managerinnen geführter Investorenklub, der an die nationale Spitze strebt, ist nur ein Beispiel von vielen.

Fußball, Frauen und große Faszinationskraft: Erika Szuh, 32, spielt im Mittelfeld von Türkiyemspor; Stephanie Gerken, 30, ist Mittelfeld-Akteurin bei Viktoria Berlin, und Lisa Heiseler, 24, stürmt für Union (v.l.). Die drei sind in ihren Teams die Kapitäninnen. Foto: F. Anthea Schaap

Klub Viktoria: Frauenfußball inspiriert von Hollywood

Das spannendste Experiment, das in Fußballdeutschland erprobt wird, ist eigentlich ein Import aus Los Angeles. Das Labor dafür: ein Vereinsgelände in Lichterfelde, einem gutbürgerlichen Stadtteil im Süden Berlins.

Wer diesen Ideenverkehr verstehen will, spricht am besten mit einer Frau, die ein sonst sehr konservatives Milieu umwälzt. Sie heißt Felicia Mutterer, wohnt in Friedrichshain, hat mal im SWR die Sendung „Sport im Dritten“ moderiert, später den feministischen Podcast „Sportsidols“ gestartet – und sich 2019 von einem seismischen Ereignis an der amerikanischen West Coast mitreißen lassen.

In Los Angeles hatten Visionärinnen aus Showbiz, Sport und Geschäftswelt den „Angel City FC“ gegründet, darunter die Schauspielerinnen Natalie Portman („Thor“, „Black Swan“) und Eva Longoria („Desperate Housewives“) sowie Tennisgöttin Serena Williams. Die bahnbrechende Idee: ein Frauenfußballklub, betrieben von einem weiblichen Netzwerk.

So anziehend war das, dass Felicia Mutterer, Anfang 40, ein solches Team auch im Land von Beckenbauer, Bierblume und Bratwurst etablieren wollte.

Dessen Domizil ist nun im echt unspektakulären Teil der deutschen Hauptstadt angesiedelt – in Lichterfelde. Sechs Vorkämpferinnen mit Management-Erfahrung, darunter Felicia Mutterer, haben sich dafür vor Kurzem in einen Hort der Tradition eingekauft: den lokalen Klub Viktoria Berlin, gegründet 1889, deren Männer in der Vierten Liga aktiv sind.

Diese Frauen machten sich zu Gesellschafterinnen einer GmbH, die Anteile an einem neuen, weiblichen Ableger der Truppe aus Suburbia hält. Eine Unerhörtheit in einer Disziplin, deren Treibstoffe sonst Blut, Schweiß und Tränen sind, vergossen von Kerlen: ein Women’s-Only-Projekt mit Kapital und Einfluss. „Der Fußball mit Frauen hat eine unerzählte Geschichte, auf und neben dem Platz“, sagt Felicia Mutterer, die Mitschöpferin.

Frauen und Fußball: Geschichte, die jetzt begonnen hat

An einem Sonntagnachmittag im August hat die Historiografie begonnen: Da lieferte sich das im Sommer neu gegründete Fußballteam sein erstes Ligaspiel. Ein Derby gegen die „Eisernen Ladies“ von Union Berlin. Regionalliga Nordost, erster Spieltag, der Wettbewerb unterhalb der 1. und 2. Liga. Der Ort des Geschehens: das Stadion Lichterfelde, ein nostalgischer Bau aus den 1920er-Jahren unter Denkmalschutz.

Die Premiere ereignet sich zu einer Zeit, in der die männliche Alleinherrschaft im populärsten Ballsport der Welt rissig wird, zumindest ein bisschen. Die Fußball-EM der Frauen im Sommer zog ein Massenpublikum in den Bann. Knapp 18 Millionen Zuschauer schauten allein hierzulande das Finale im Wembley-Stadion zwischen England und den deutschen Adlerinnen – ein neuer Spitzenwert.

Der Hype ist Ausdruck einer gesellschaftspolitischen Entwicklung. In Berlin gab es weitere, kleine Beben: So kandidierte zum Beispiel bei den Wahlen zum Präsidentschafts-Amt beim mächtigen Berliner Fußball-Verband (BFV) im Jahr 2021 eine Frau, nämlich Gaby Papenburg, frühere Moderatorin der Sat.1-Fußballsendung „ran“. Die Systemsprengerin verlor gegen Amtsinhaber Bernd Schultz; ein Ausrufezeichen war das Duell dennoch.

Ein Fußballfest für Groundhopper: Im Stadion Lichterfelde treffen die Frauen von Viktoria Berlin und dem 1. FC Union aufeinander. Foto: F. Anthea Schaap

Wie robust ist der Trend – und mit welchen Hürden kämpfen die Protagonistinnen, ob in bekannten Teams oder an der Basis?

Die Gesellschafterinnen, die sich um Felicia Mutterer gruppieren, sind Verena Pausder, Unternehmerin; Tanja Wielgoß, ehemalige Vorstandsvorsitzende von Vattenfall Wärme Berlin; Katharina Kurz, Geschäftsführerin der Biermarke BRLO; die Marketingexpertin Lisa Währer. Sowie Ariane Hingst, eine Tochter der Stadt, in 174 Spielen für Deutschland aufgelaufen, heute Co-Trainerin der U19- und U20-Nationalmannschaft.

Die deutsch-amerikanische Achse beim Fußball der Frauen

Das Feminat will Viktoria Berlin, das zuletzt in der Regionalliga stagnierte, mittelfristig in die Beletage befördern. Nämlich die Bundesliga, wo Weltklasse-Teams wie der VfL Wolfsburg oder der FC Bayern München vertreten sind. Das US-Vorbild, der Angel City FC, jagt übrigens zurzeit in der National Women̓ʼs Soccer League nach Triumphen.

Zur ersten Liga-Partie sind 700 Leute ins Stadion gepilgert, darunter Prominenz wie die „Tatort“-Kommissarin Ulrike Folkerts, „heute“-Anchorman Mitri Sirin und Dunja Hayali, bekannt unter anderem als Moderatorin des „Aktuellen Sportstudios“ im ZDF.

Die Kulisse ist neuartig. Zu sehen sind eine Craftbeer-Theke und ein Stand mit schicker Merch-Ware, darunter Fan-Schals mit dem Schriftzug „Gamechanger“, die von Balenciaga hätten entworfen sein können. Das Publikum ist mit einem Männer- und Frauenverhältnis von rund fifty-fifty hinlänglich beschrieben; darunter mischen sich Regenbogenfamilien. Das Spiel selbst ist puristischer Fußball. Geraunt wird über Elfmeter, Rote Karte und heißblütige Szenen im Strafraum. Etwas unglücklich verliert Viktoria mit 1:2 gegen Union, den Lokalrivalen.

Die Mission von Viktoria Berlin ist eine Ansage: Schon lange fehlt in der Weltstadt Berlin eine Frauen-Equipe, die im Spitzenbereich auftrumpft. Um den Plan zu stemmen, wollen die Viktoria-Chefinnen im Zuge einer Fundraising-Kampagne eine Million Euro sammeln. Unter den Geldgeberinnen ist jetzt schon eine Berühmtheit. Franziska van Almsick, zweifache Schwimm-Weltmeisterin im Ruhestand, hat in das Top-Down-Projekt investiert. Die Chancen stehen gut, dass die Viktoria-Clique ihr Soll erreicht.

Bei den Vorreiterinnen wird auch ein wenig vergütet: Jede Viktoria-Kickerin kassiert monatlich ein Salär von 251 Euro. Das grenzt an eine Sensation im Mittelbau des weiblichen Fußballs. Der Kaderplaner ist ein Netzwerker namens Henner Jenzen, der seit Jahren namhafte Spielerinnen berät. So ganz ohne Männer geht es anscheinend nicht.

Frauenfußball als Brennglas politischer Debatten

Eine kleinen Roadtrip vom südwestlichen Berlin entfernt, im widerspenstigen Köpenick, herrscht mittlerweile auch Perestroika: Union Berlin, das Anti-Establishment-Projekt, buttert ins Frauenteam. Eine dreiköpfige Trainerriege und ein Manager peilen den Aufstieg in höhere Spielklassen an. Ebenso im Betreuungsstab: eine Psychologin, eine Ernährungsberaterin, eine Yogalehrerin.

Als „Gegenentwurf“ haben Union-Offizielle die Antagonistinnen von Viktoria abgekanzelt. Fußballromantiker wissen, wie die Sottise gemeint sein soll: Das Frauenteam aus Lichterfelde ist bloß ein Investorenprojekt für ein Opernpublikum. Und die weibliche Vereinsführung die neueste Mimikry des Diversity-Kapitalismus.

Fankultur beim Frauenfußball: Die Crowd aus Köpenick sorgt beim Derby zwischen Viktoria und Union für ein rotes Farbenmeer. Foto: F. Anthea Schaap

Nun ist Viktoria Berlin, die Pionierstätte, in der Tat nicht unbedingt ein klassischer Arbeiterverein. Doch genauso wenig verkörpern die Viktoria-Frauen ein Mäzenatenprojekt, das von einem Scheich, Oligarchen oder sonstigen Patriarchen gelenkt wird. Unangetastet ist zum Beispiel die 50+1-Regel, die große Reliquie des Vereinsrechts. Die Investorinnen halten also keine Mehrheit am Klub. So kommentiert Felicia Mutterer die weibliche Offensive in Köpenick: „Wir haben Union unter Zugzwang gesetzt.“ Der Aufstiegskampf in der Regionalliga Nordost könnte in dieser Saison um einen weiteren Kontrahenten erweitert werden: Türkiyemspor, die Multikulti-Institution aus Kreuzberg, hegt ehrgeizige Pläne.

Der Fußball der Frauen wird von der Werbung entdeckt

Der Underdog, von Einwanderern aus der Türkei 1978 gegründet, hat eine starke Frauenabteilung aufgebaut. Und steht für urbane Coolness. 2020 hat Nike, der Moderiese, die Kickerinnen zu Gesichtern einer globalen Werbekampagne hochgepimpt.

Ob Türkiyemspor, Union, Viktoria: Deren Frauenteams sind Glanzlichter, mit gutem Equipment und okayen Trainingsbedingungen.

Den Türkiyemspor-Rebellinnen hat Viktoria übrigens eine Identifikationsfigur abgeworben: Aylin Yaren, 33, Offensivspielerin mit street credibility und mehr als 20.000 Instagram-Followern. Großes Kino, wie sie 2007 einmal Franck Ribéry, den damaligen Edelfuß vom FC Bayern, an der Torwand im ZDF-Sportstudio besiegte.

Das Potenzial im Frauenfußball ist gigantisch – und von vielen Sponsoren noch nicht gehoben worden. Eine Kostprobe auf europäischer Bühne gab die berauschende Zahl von 91.648 Zuschauerinnen und Zuschauern während des Champions-League-Halbfinales zwischen dem FC Barcelona und VfL Wolfsburg im katalonischen Camp-Nou-Stadion. Das war im April, vor der so ansteckenden Fußball-EM in Großbritannien.

Die aufkeimende Folklore in der Klublandschaft Berlins – samt identitätspolitischer Debatte – ist derweil vielleicht auch eine gute Nachricht. Der Fußball lebt von Mythen, Rivalitäten und Projektionsflächen.

Wenn Frauen den Fußball revolutionieren, brauchen die Zuschauer ein bisschen Stärkung: Pommes mit Currywurst beim Spiel zwischen Viktoria und Union. Foto: F. Anthea Schaap

„Storytelling“ nennt Kirstin Hallmann, Wissenschaftlerin an der Kölner Sporthochschule, die Tüftelei am öffentlichen Erscheinungsbild. Am dortigen Institut für Sportökonomie und Sportmanagement forscht die Expertin.

Hallmann spricht auch von „first movers“ und „early adopters“. Nötig ist also eine Vorhut, die Mauern einreißt, etwa vorpreschende Teams wie Viktoria oder Sponsoren wie der US-Konzern mit dem berühmten Swoosh als Markensymbol. Und Leuten, die diesen Beispielen folgen. So rückt der Frauenfußball immer weiter in die Mitte der Gesellschaft. Weil dieser Sport noch Avantgarde ist.

Frauen entwerfen in Gatow den Fußball der Zukunft

„Die Vereine sollten an die soziale Identität ihrer Fans appellieren und die Persönlichkeiten hinter den Spielerinnen zeigen“, empfiehlt Hallmann. „So etwas müssen Frauenteams auch aufbauen und kommunizieren.“ Die Außendarstellung sei oft noch nicht so pointiert wie bei den Männern.

Doch es geht auch darum, dass die Frauen dem Sport einen neuen Charakter verleihen. Jenseits von den Schattenseiten des Männerfußballs mit obszönen Gehältern, Vetternwirtschaft und Korruption.

Der Frauenfußball von morgen muss dabei vor allem an der Basis wachsen, wo die Amateurinnen bolzen. Wie ergeht es der dortigen Szene?

Auch der SC Gatow im Bezirk Spandau hat jetzt ein Team, in dem Frauen endlich Fußball spielen können. Foto: F. Anthea Schaap

Ein Hauch von Gründerzeit lässt sich auch in den unscheinbaren Randzonen beobachten.

Das dörfliche Gatow im Bezirk Spandau ist ein westlicher Außenposten Berlins. Hinter einem Vereinsheim mit Terrasse weitet sich das Trainings- und Spielgelände des SC Gatow. Ein Rasengrund, umrandet von sattgrünen Wäldern.

Das Frauenteam, das dort für Bezirksliga-Spiele trainiert, etwa mit Lauf- und Kombinationsübungen, ist erst in diesem Jahr vom Stapel gelassen worden. Es handelt sich um eine Bastelanleitung für Neugründungen. Die Bestandteile sind Sponsoren aus dem örtlichen Mittelstand, etwas Akquise über Social Media – und viel Leidenschaft. 

Frauen, die Fußball spielen, sind weniger theatralisch

Die Initiatorin heißt Lena Zabel, ist 23 und studiert Soziale Arbeit. Zuletzt hat sie für die Spandauer Kickers in der Berlin-Liga gespielt. „Zu leistungsbetont“ sei es ihr dort gewesen. Mittels eines eigenen Frauenteams zwei Etagen tiefer wollte sie sich emanzipieren. In jenem Feierabendmilieu, wo sich Sportfreundinnen und -freunde nach Pässen in die Tiefe des Raums auch mal eine Fluppe anzünden. Ihr Onkel, ein Vereinsmitglied beim Klub mit den idyllischen Liegenschaften, meinte eines Abends im Heim des SC Gatow zu ihr: „Hol deine Mädels nach Gatow!“

Für ihr Projekt warb sie auf Instagram, über eine Whatsapp-Gruppe vernetzte sie Anwärterinnen. Eine Influencerin, die Hobby-Spielerinnen aus dem Bezirk hinter sich versammeln wollte. Sie hat dafür auch Flyer im Einzelhandel ausgelegt. Jetzt spielen Berlinerinnen zwischen 17 und 40 für den SC Gatow, ob tiermedizinische Assistentin oder Erzieherin, ob Studentin oder Schülerin.

Lena Zabel, 23, ist dabei Spielertrainerin; sie coacht also das Team, räumt aber zugleich auch auf dem Platz auf, im defensiven Mittelfeld.

Im Umgang mit ihren Kumpaninnen wirkt sie authentisch. Ein bisschen Kneipenjargon, ein bisschen Wettbewerbsmodus.

Irgendwann röhrt sie: „Was ist das Wichtigste beim Fußball spielen?“

„Spaß haben.“

„Kopf aus.“

„Tore schießen.“

Die Antworten ihrer Mitspielerinnen klingen wie ewige Gesetze aus dem Ahnenbuch jenes Sports, dessen eloquenteste Figuren hierzulande einen Hang zu bodenständigen Weisheiten kultiviert haben – von Sepp Herberger bis Lukas Podolski.

Felicia Mutterer (in der Mitte) ist Gesellschafterin bei Viktoria Berlin. Hier lässt sie sich mitreißen vom Spielverlauf beim Derby zwischen Viktoria Berlin und dem 1. FC Union. Im Hintergrund sieht man Dunja Hayali, Moderatorin des „Aktuellen Sportstudios“ im ZDF. Foto: Imago/Matthias Koch

Was ist typisch für Frauen im Fußball? „Wenn es ein Foul gibt, wird weder geschauspielert noch lamentiert“, erzählt Lena.

Finanziers aus dem lokalen Gewerbe gibt es ebenfalls in Gatow. Eine Tankstelle und ein Malermeisterbetrieb, der die Handwerksfirma von Lenas Schwagers ist. Die Geldgeber haben Trainingsdresses und Trikots bezahlt.

„Viele Mädchen fühlen sich durch die EM im Sommer beflügelt“, sagt Lena, die Conquistadorin beim SC Gatow.

Die Entstehung eines weiblichen Kreisliga-Teams irgendwo im Bezirk Spandau mag wie eine Randnotiz erscheinen. Doch kleine Einheiten dieser Art sind elementar für die weitere Entwicklung.

Denn der Vereinsfußball ist, trotz aller Emanzipationsversuche, ja noch immer eine Männerdomäne, die ihre Reihen oft geschlossen hält. Sichtbar wird diese Tendenz in deren Dachorganisationen – wahre Fürstentümer eines traditionellen Funktionärstums. Im nationalen Sektor hält der allmächtige Deutsche Fußballbund (DFB) das Zepter in der Hand; in der Hauptstadt regiert der Berliner Fußball-Verband (BFV). Mehr als 170.000 Mitglieder aus 382 Vereinen tummeln sich in diesem Verband. An der Spitze steht Bernd Schultz. Ein Dauerregent, der nunmehr seit 18 Jahren amtiert.

Fußball, Frauen und der BFV

In der Saison 2022/23 gab es 270 Teams mit Fußballerinnen, von den Frauen bis in die Mädchenabteilungen samt B-,C-,D- und E-Jugend. Zum Vergleich: Bei den Männern ist die Zahl zehn mal so hoch. 2.785 männliche Teams sind beim BFV gemeldet. In den jüngeren Altersklassen spielen dabei teilweise auch Mädchen in Jungenteams mit.

Wer mehr über Macht und Ohnmacht in diesem ancién regime in Erfahrung bringen will, spricht am besten mit einer Ehrenamtlerin aus dem Ausschuss für Mädchen und Frauenfußball. Deren Vize-Vorsitzende ist Christine Lehmann, im Hauptberuf eine Mathematikerin in einem IT-Dienstleistungszentrum.

Sie berichtet: „Die Fußballfamilie ist offener geworden. Es bewegt sich etwas, das spüren wir.“ Um daraufhin die Hochgefühle nach der Fußball-EM zu erden. Einen Wandel gebe es „nicht von heute auf morgen“.

Die Frauen von Türkiyemspor jubeln über den Pokalsieg im Sektor des Berliner Fußballverbands – eine Momentaufnahme aus der Saison 2011/22. Im Finale haben sie Viktoria Berlin besiegt. Foto: Imago/Matthias Koch

Christine Lehmann interessiert sich für die Realität an der Basis, weitab von Medienspektakeln. Da ist die Infrastruktur oft bescheiden. Innerhalb des S-Bahnrings, wo der Mangel ja Teil des allgemeinen Lebensprinzips ist – ob es nun um knappen Wohnraum oder Terminstau im Bürgeramt geht – betrüben lange Wartelisten fußballaffine Mädchen. Dabei wollen sie einfach nur bolzen in den überstrapazierten Klubs. Und fast überall grassiert ein Mangel an Plätzen.

Fifty-Fifty-Verhältnis zwischen Frauen und Männern beim Fußball

Zu welchen Engpässen auf den Fußballplätzen die Gender-Moderne unterdessen führt, zeigt das Beispiel eines progressiven Klubs aus dem Wrangelkiez. Es geht um Hansa 07 Kreuzberg: ein Klub, der ein Männer-Frauen-Verhältnis von fifty-fifty im Verein anpeilt. Das Paritätsziel führt dazu, dass auch schon einmal ein männliches Freizeit-Team seinen eingespielten Trainingstermin der ersten und zweiten Frauenmannschaft überlassen muss. Und die Herren dann auf einen unattraktiven Termin ausweichen müssen, an dem wegen beruflicher Verpflichtungen kaum jemand Zeit hat. So berichtet es zumindest ein Vereins-Insider.

Christine Lehmann vom BFV beklagt  „Lippenbekenntnisse der Politik“ im Hinblick auf Infrastruktur-Probleme. Und fordert mehr Tatendrang in Parlamenten und Behörden. Warum nicht Brachen und ungewöhnliche Orte erschließen? So wie vor einigen Jahren das Dach eines Großmarkts in der Nähe des Ostbahnhofs: Dort trainieren nun die Himmelstürmer von Blau-Weiß Friedrichshain auf Kunstrasen, inklusive Frauenkompagnie.

Die Verbandsfrau bringt auch sensibles Terrain ins Spiel, nämlich das Tempelhofer Feld, jenes Nirwana, dessen Urzustand vielen Berlinern fast heilig ist. Gevierte an den Rändern könnten die Platznot zumindest ein bisschen lindern.

Schmal fällt auch die härteste Währung im Fußballgeschäft aus: das Geld. Christina Lehmann will ein Belohnungssystem für Vereine mit Frauenabteilungen. Deren Fortschrittsgeist soll mit Fördergeld vom Verband belohnt werden. Großen Nachholbedarf gibt es auch beim Sponsoring. Zwar gibt es einige Werbeträger im Frauenbereich des BFV. Doch insgesamt sind lukrative PR-Deals noch rar. 

Viel hängt ab von der Philosophie in den Führungsgremien. Deren Lobbyisten beeinflussen nicht nur die Vereinswelt, sondern auch Bezirksparlamente, Senat und regionale Wirtschaft. Der Berliner Fußball-Verband ist dabei nicht ganz passiv. So gibt es dort ein Papier namens „Future BFV“. Ein Ziel darin: eine Frauenquote von mindestens 30 Prozent in den Gremien. Doch zurzeit dominiert m Präsidium noch das Patriarchat. Zwei Frauen stehen zwölf Männern gegenüber.

Die Keimzeit in Lichterfelde, in Gatow oder woanders ist also nur ein Anfang.

Da stellt sich die Frage, wie agil der Finanzriese in Berlin ist. Hertha BSC ist ein Unternehmen mit fast groteskem Umsatz; allein der männliche Profi-Kader wird auf einen Marktwert von mehr als 100 Millionen Euro taxiert. Seit einigen Jahren kooperiert der Krösus mit Turbine Potsdam, dem sechsfachen Deutschen Meister aus der brandenburgischen Landeshauptstadt. Kritiker halten diese Wahlverwandtschaft für eine Fassade. Denn auf eine eigene Frauenabteilung verzichtet der Großtanker. Nun heißt es aus klubinternen Kreisen, dass man an einem Frauenteam arbeitet. Konkurrenz belebt das Geschäft.


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Am 20. November beginnt die Fußball-WM der Männer in Katar. Das Großturnier ist vor allem die Propaganda-Show eines autoritären Staats. Weshalb in Berlin darüber diskutiert wird, ob man das Medienereignis boykottieren sollte. Zurzeit steht aber noch die Hinrunde der Männer-Bundesliga auf dem Programm vieler Fußballfans – und da blicken Berlinerinnen und Berliner auf den 1. FC Union und Hertha BSC. Die Rivalität zwischen den Klubs zehrt auch von den Mentalitätsunterschieden zwischen dem Osten und Westen der Stadt. Was die Popularität des Frauenfußballs betrifft: Da hat Fatmire Bajramaj, die zwischen 2009 und 2011 für Turbine Potsdam gespielt hat, viel Vorarbeit geleistet. Wenn gerade Fußball-WM ist, dann ab zu diesen Public-Viewing-Orten in Berlin.

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