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Interview

Zeina Nassar spricht übers Boxen und übers Kopftuch: „Aufgeben ist keine Option“

Zeina Nassar ist Boxerin. 2018 gewann sie die deutsche Meisterschaft im Federgewicht. Aber erst, nachdem die Verantwortlichen die Wettkampfbestimmungen änderten: Bis dahin waren Kopftücher im Ring verboten. Am 21. September erschien ihr Buch „Dream Big“. Wir haben mit ihr übers Boxen, ihre Motivation und ihr Kopftuch gesprochen.


Zeina Nassar hat einen Großteil ihrer Kindheit um den Hohenstaufenplatz in Kreuzberg verbracht. Foto: imago images / tagesspiegel

tipBerlin Frau Nassar, Sie haben mit 13 Jahren angefangen zu boxen. Hätten Sie damals gedacht, dass Sie mal so erfolgreich werden?

Zeina Nassar Ich war schon immer sportbegeistert und habe auch sehr viele Sportarten ausprobiert: Fußball und Basketball zum Beispiel. Mit 13 habe ich mir dann mit einer Freundin bei Youtube Videos von boxenden Frauen angeguckt. Das hat mich total inspiriert. Ich dachte: „Wenn die das können, kann ich das auch.“ Aber da wollte ich erstmal nur trainieren und habe nicht daran gedacht, an Wettkämpfen teilzunehmen. Irgendwann kam meine Trainerin auf mich zu und meinte: „Du bist bereit.“– „Bereit wofür?“, habe ich dann gefragt. Um an Wettkämpfen teilzunehmen, meinte sie.

tipBerlin Aber am Anfang durften Sie ja gar nicht teilnehmen, oder? Weil die Wettkampfregeln Kopftücher und lange Kleidung verboten haben.

Zeina Nassar Ja, da war ich 14. Ich wollte einfach nur meine Leistung zeigen. Meine Trainerin hat sich dann für mich eingesetzt und mir nicht das Gefühl gegeben, dass ich nicht antreten werde. Also habe ich mich weiter vorbereitet. Für mich war nur klar: Ich werde boxen. Am Ende hat es meine Trainerin dann geschafft, dass die Wettkampfbestimmungen in Deutschland 2013 für mich geändert wurden. Aber als ich mit dem Boxen angefangen habe, da hatte ich nicht vor, etwas zu verändern oder sogar einen feministischen Beitrag zu leisten. Heute bin ich mir aber dieser Rolle als Vorbild für Frauen bewusst.

„Im Sport sollte es nur um die Leistung gehen“

tipBerlin Wie gehen Sie denn mit dieser Vorbildfunktion um?

Zeina Nassar Mir geht es darum, andere zu bestärken – Frauen mit und ohne Kopftuch und alle anderen Menschen auch. Im Sport sollte es nur um Leistung gehen, da sollte es egal sein, wie ich aussehe oder was ich auf dem Kopf trage. Ich bin nun mal eine der besten Boxerinnen in meiner Gewichtsklasse, deswegen sollte ich auch mitmachen dürfen. 2018 bin ich deutsche Meisterin geworden und wurde für die Europameisterschaften nominiert. Aber das wurde abgelehnt. Dabei ist es doch die logische Konsequenz, dass ich als beste Deutsche in meiner Gewichtsklasse international antrete. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich dann auch ein größeres Team und mein Ehrgeiz, das zu ändern, ist gewachsen. 2019 habe ich es dann geschafft.

Zeina Nassar boxt im Hijab und mit Langarmshirts. Foto: Felix Hoffmann

tipBerlin Das heißt, Sie haben lange Diskussionen mit Sportvorständen geführt?

Zeina Nassar Ich war ständig im Austausch mit dem deutschen Boxverband. Und mein Manager hat sich sehr für mich eingesetzt. Meine Sponsoren haben auch Druck ausgeübt. Aber ich musste auch Leistung bringen. Wenn ich keine Leistung erbracht hätte, wenn ich nicht deutsche Meisterin geworden wäre, hätten all diese Leute sich nicht für die Änderung der Regeln eingesetzt.

tipBerlin Hatten Sie schon Ihren ersten internationalen Kampf?

Zeina Nassar Ja, Ende 2019 hatte ich meinen ersten Kampf im Ausland, in London. Den habe ich auch gewonnen. Davor hatte ich auch schon internationale Kämpfe, aber die waren in Deutschland. Und weil hier ja die Regeln schon geändert worden waren, durfte ich da auch teilnehmen. Aber jetzt geht es für mich richtig los, dachte ich vor Corona.

tipBerlin Dann kam die Pandemie dazwischen.

Zeina Nassar Dieses Wochenende habe ich drei Boxkämpfe in Chemnitz – das erste Mal, dass ich nach langer Zeit wieder boxen darf.

Manchmal geht Zeina Nassar vor den Wettkämpfen spazieren. Foto: F. Anthea Schaap

tipBerlin Beeinflusst es Sie, wenn Menschen, die Sie kennen, im Publikum sitzen und Sie anfeuern?

Zeina Nassar Vor dem Wettkampf bin ich mittlerweile gar nicht mehr aufgeregt und freue mich – weil ich weiß, dass ich hart trainiert habe und bereit bin. Am Tag des Kampfes, nachdem ich auf der Waage war, bin ich eigentlich immer noch ziemlich locker und freue mich auf den Wettkampf. Ab einem bestimmten Zeitpunkt bin ich für mich in der Kabine und kann meine Musik hören, manchmal gehe ich auch draußen etwas spazieren. Erst wenn ich die Handschuhe anziehe und Tape rumgemacht wird, werde ich ein bisschen aufgeregter. Aber sobald ich im Ring bin, blende ich alles komplett aus. Dann sehe ich nur noch meine Gegnerin und höre nur den Trainer in der Ecke, egal, wer reinruft.

„Auf den Regenerationstag freue ich mich meistens“

tipBerlin Gibt es auch Tage, an denen Sie einfach mal im Bett bleiben wollen?

Zeina Nassar Es gibt schon Tage, an denen ich weniger Lust habe, weil ich zum Beispiel Muskelkater habe. Boxen ist eine der anspruchvollsten Kampfsportarten und erfordert sehr viel Disziplin. Ich trainiere jeden Tag zwei Mal, einen Tag in der Woche regeneriere ich. Auf diesen Tag freue ich mich meistens. Was man beim Boxen lernt, kann man sehr gut aufs Leben übertragen. Ich bin einfach in vielen Hinsichten, vielleicht auch durch den Sport, sehr zuverlässig, ehrgeizig und diszipliniert. Ich finde, ich habe auch eine Verantwortung übernommen: gegenüber mir selbst, meinem Verein, meinen Fans. Und ich habe mir Ziele gesetzt. Wenn ich mir Ziele gesetzt habe, dann tu ich alles dafür, um sie zu erreichen. Harte Arbeit zahlt sich aus. Deswegen kommt es für mich nicht in Frage, im Bett zu bleiben. 

Zeina Nassar trainiert zwei Mal täglich, sechs Tage die Woche. Foto: Henning Heide

tipBerlin Das heißt, Sie sind gern ein Vorbild?

Zeina Nassar Mir hat das Boxen auch unglaublich viel Selbstvertrauen gegeben, ich habe mich dadurch sehr stark weiterentwickelt. Und das versuche ich, weiterzugeben. Viele fragen auch, ob sie schon zu alt zum Boxen sind oder sie fragen nach Tipps zur Motivation. Oder Eltern, deren Kinder boxen wollen, fragen mich nach meiner Meinung. Da schreibe ich dann zurück. 

tipBerlin Konnten Sie während der Corona-Phase im Frühjahr überhaupt trainieren?

„ich war immer sicher, dass ich boxen werde“

Zeina Nassar Naja, offiziell beim Verein oder im Boxverband gab es kein Training. Anfangs habe ich alleine zuhause, oder mit meiner Community auf Instagram trainiert, dann später aber mit einem Trainingspartner zusammen im Park. Jetzt findet wieder Training statt, trotzdem trainiere ich weiter eigenständig zusätzlich individuell.

tipBerlin Im Buch beschreiben Sie Ihren ersten Kampf und erzählen, wie ein Mann zu Ihnen gesagt habe: „So willst du doch nicht boxen!“ Beeinflussen Sie solche Erfahrungen mit Diskriminierung in Ihren Kämpfen?

Zeina Nassar Ich erinnere mich noch daran, wie ich bei meinen ersten Kämpfen angeschaut und auf meine Kleidung angesprochen wurde. Ich weiß nicht mehr, was ich geantwortet habe. Aber ich weiß noch, dass ich sicher war, dass ich boxen werde. Irgendwas in die Richtung habe ich dann auch gesagt.

Vor einer gebrochenen Nase hat Nassar keine Angst. Foto: F. Anthea Schaap

tipBerlin Haben Sie Angst davor, mit einer gebrochenen Nase aus einem Kampf zu gehen?

Zeina Nassar Ich hoffe natürlich, dass das nicht passiert. Aber Sport ist immer ein Risiko, insbesondere Leistungssport. Irgendwann ist man aber auch abgehärtet. Und wenn ich die ganze Zeit über sowas nachdenke, passiert es erst recht. Außerdem fand ich Fußball und Basketball viel gefährlicher, da kam ich früher jede Woche mit irgendeiner Verletzung nach Hause.

„Ich hab mich dazu entschieden, das Kopftuch zu tragen, ich hab mich entschieden, zu boxen“

tipBerlin Sie sind ja eine Frau mit sehr starkem Willen, eine emanzipierte Frau, die das macht, was sie sich in den Kopf gesetzt hat. Viele Menschen sehen aber gerade Kopftücher nicht unbedingt als Symbol von Emanzipation. Was sagen Sie denen?

Zeina Nassar Was soll ich denen schon sagen? Ich hab mich dazu entschieden, das Kopftuch zu tragen, ich hab mich entschieden, zu boxen. Ich möchte den Menschen zeigen, dass alles möglich ist im Leben, wenn man hart dafür kämpft und dran bleibt. Mir ist bewusst, dass es Menschen gibt, die ihr Kopftuch nicht freiwillig tragen. Ich versuche einfach, das zu tun, was in meiner Macht steht: andere motivieren, das zu tun, worauf sie Lust haben. Außerdem ist mir aufgefallen, dass ich mit der Änderung der Wettkampfbestimmungen auch etwas für diejenigen getan habe, die ihr Kopftuch nicht freiwillig tragen. Die haben jetzt auch die Möglichkeit zu boxen, das war vorher nicht so. Das ist schon mal ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

tipBerlin Sie studieren Soziologie und Erziehungswissenschaften in Potsdam. Kommen sich Studium und Sport manchmal in die Quere?

Zeina Nassar Ich habe gemerkt, dass ich Prioritäten setzen muss. Am Anfang hatte ich ein Stipendium von der Studienstiftung des deutschen Volkes und da wollte ich auch in der Uni die nötige Leistung bringen. Aber das klappt nicht immer. Irgendwann haben mich Kommilitonen gefragt, wie ich das alles schaffe, manche haben ja schon Probleme mit dem Pensum in der Uni. Da habe ich gemerkt, dass ich aus dem Sport unglaublich viel Energie ziehe. Früher war Sport mein Ausgleich. Mittlerweile ist alles andere mein Ausgleich, weil ich ja die meiste Zeit beim Sport verbringe. Da freue ich mich, wenn mal etwas nicht mit Sport zu hat. Ich will einfach so viel wie möglich ausprobieren und gerade habe ich die Kraft dafür, im Moment macht mein Körper das mit. Ich merke auch, dass genau jetzt meine Zeit im Boxen ist, jetzt habe ich Kraft, jetzt bin ich mental auf der Höhe.

Durch den Sport habe sie sich weiterentwickelt, sagt Nassar. Foto: Arne Immanuel Bänsch/dpa

tipBerlin Wollen Sie also in die Profiliga aufsteigen?

Zeina Nassar Im Moment nicht, weil ich ja auch noch mein Studium habe. Außerdem kann man nicht zurück in die Amateurliga, wenn man einmal in der Profiliga war. Mein größter Traum ist es, einmal bei den Olympischen Spielen zu boxen. Und das kann ich auch als Amateurboxerin.

„Ich weiß, dass ich jetzt Leistung bringen und deswegen auf vieles verzichten muss“

tipBerlin Für viele ist ja gerade das Studium eine Zeit, in der sie viel Party machen. Haben Sie manchmal das Gefühl, was zu verpassen?

Zeina Nassar Sport ist meine Leidenschaft und ich habe mich dadurch sehr stark weiterentwickelt. Ich weiß, dass ich jetzt Leistung bringen und deswegen auf vieles verzichten muss. Aufgeben ist für mich keine Option. Und ich bin glücklich so, wie es gerade ist. Aber klar, ich freue mich, wenn ich an meinem Regenerationstag ausgehen kann. 

tipBerlin Sie sind auch Schauspielerin im Maxim Gorki Theater. Wie sind Sie dazu gekommen?

Zeina Nassar Ich habe schon in AGs in der Schule viel Theater gespielt, auch mit der Schule im Gorki Theater. Direkt nach der Schule kam dann eine Regisseurin auf mich zu und hat gefragt, ob ich Lust hätte, professionell zu spielen. Wir haben dann mit den anderen Schauspielern zusammen ein Stück entwickelt, „Stören“ heißt das. Da geht es um Sexismus im Alltag und darum, wie Frauen in der Gesellschaft wahrgenommen werden. Aufhänger waren die Vorfälle in der Silvesternacht 2015 in Köln.

tipBerlin Sie sind in Kreuzberg aufgewachsen. Wie wichtig ist Ihnen Berlin?

Zeina Nassar Sehr wichtig. Ich liebe diese Stadt. Hier bin ich aufgewachsen, hier habe ich mit dem Sport angefangen. Mein Umfeld ist interessant und bunt. Ich kann mir nicht vorstellen, in eine andere Stadt zu gehen.

tipBerlin Auch nicht für den Sport?

Zeina Nassar Für den Sport schon, irgendwann.

  • „Dream Big. Wie ich mich als Boxerin gegen alle Regeln durchsetzte“ von Zeina Nassar, Hanserblau, 208 S., 15 €
    • Signierstunde bei Hugendubel am Hermannplatz, 26.9., 14 Uhr

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