Rein, frieren, als glücklicher Mensch wieder raus – extreme Kälte wird bei Reha-Maßnahmen und im Profisport schon lange genutzt. Sie soll die Gesundheit fördern und Stress lindern. Sie sei zudem ein veritables Mittel zur Steigerung des Wohlbefindens, erklären Experten – aber es gibt auch Kritik. Kryotherapie nennt es sich, wenn sich Menschen für wenige Minuten freiwillig zweistelligen Minusgraden aussetzen. Wir haben es ausprobiert.
Das Fitnessstudio „Formwandler“ am Prenzlauer Berg hat seit Mitte September neben einer Infrarot- auch eine Kältekammer. In einem kleinen Ladengeschäft an der Schliemannstraße 38 steht die erste Kabine dieser Art im Stadtteil – einige wenige andere gibt es bisher zum Beispiel am Ku’damm. „Das ist noch recht selten in Berlin, vor allem für Privatpersonen“, sagt “Formwandler“-Chef Peter Giese.
Giese kennt den Trend vor allem aus Japan, wo Kälte schon viel länger als in Deutschland für die verschiedensten Therapien eingesetzt wird. Er hat dort lange gelebt, ließ sich durch zum Beispiel zum Heilpraktiker ausbilden, beherrscht aber auch Physiotherapie, Akupunktur und andere Disziplinen.
Ab in die Kältekammer: Die Unterwäsche sollte eng anliegen
Giese erklärt mir beim Selbstversuch auch, welche Effekte die Kältekammer haben kann – abgesehen davon, dass ich mich danach sehr belebt fühlen soll. Die Rede, das vorab, ist von Temperaturen zwischen 80 und 97 Grad minus. „Es handelt sich um eine trockene Kälte, weshalb sie weniger aggressiv ist als zum Beispiel bei einem Sprung ins Eiswasser.“ Trotzdem soll ich eine eng anliegende Boxershorts tragen – damit der Eisnebel sich nicht an den Weichteilen vergeht. Auch eine Gesichtsmaske (das sind wir ja zum Glück inzwischen gewohnt), Handschuhe, trockene Socken und eine Mütze sind Pflicht. Finger, Ohren und Zehen leiden eben als erstes, das kennen wir aus frostigen Wintern.
Das Schockfrosten löst im Körper einen sehr hohen Stress aus. Das soll sämtliche Abwehrsysteme anregen, die durch regelmäßige Besuche entsprechend gestärkt werden. „Wenn ich häufiger einem derartigen Stress ausgesetzt bin, reagiere ich auf durchschnittlich stressige Situationen deutlich gelassener“, erklärt Giese. Der Vorgang rege den Stoffwechsel an, das Immunsystem wird stärker, die Haut besser durchblutet, was positive Effekte auf das Aussehen haben kann. Gleichzeitig aktiviere es braunes Fett, dass deutlich besser als weißes ist. Denn die Fettsäuren produzieren Wärme, Kalorien werden verbrannt.
Kälte verbrennt auch Kalorien – beim Abnehmen ist sie aber maximal Helfer
Dass ein regelmäßiger Besuch der Kältekammer mir nun die Pandemie-Pfunde von der Wampe schmilzt, das verneint Giese dann doch. Wie immer seien auch Sport und Ernährung wichtig. Theoretisch verbrennen bei einem Besuch unter optimalen Bedingungen mehrere Hundert Kalorien. Das hängt aber natürlich mit dem Körper zusammen. Und ist ohnehin eine deprimierende Rechnung: 100 Gramm Snickers haben rund 500 Kalorien. Nach einem Netflix-Abend mit Schokolade und Chips würde ich entsprechend wohl eher erfrieren, bevor das alles weg ist.
Eine tatsächlich Wirkung soll zum Beispiel eine dauerhaft mögliche Schmerzlinderung sein, eine beschleunigte Fettverbrennung (eben durch das braune Fett), eine Erhöhung der Leistungsfähigkeit, auch besser schlafen soll ich nach einer solchen körperlichen Hochleistung können. Rheumapatient*innen haben nach der Kältekammer weltweit teils für einen bestimmten Zeitraum weniger bis keine Schmerzen, wird mir erklärt. Auch depressive Menschen könnten durch die Aktivierung aller Zellen und positiven Stress bessere Phasen erleben. Giese erklärt das alles, Giese ist überzeugt. Diverse Fachliteratur gibt ihm da Recht.
Es gibt Einschränkungen – und die Studienlage ist teils unbefriedigend
Allerdings: Es gibt auch Fachpublikationen, die die Wirkung in Frage stellen. Studien zum Thema leiden unter anderem unter kleinen Testpersonenzahlen oder einem unpräzisen Versuchsaufbau. Der Mediziner Markus de Marées von der Deutschen Sporthochschule in Köln hatte der „Welt“ erklärt: „Wissenschaftlich direkt mit Fakten ist wenig belegt zu dieser Form von Kältetherapie, die Studienergebnisse sind sehr heterogen.“ Wiederum sahen andere Experten mindestens in der Schmerztherapie durchaus nachweisbare Erfolge.
Bei seriösen Anbieter*innen gibt es in diesem Sinne auch ein Einführungsgespräch. Denn: Die Kammer ist nicht für alle Menschen geeignet, bestimmte Krankheitsbilder verbieten den Besuch. Auch mit offenen Wunden dürfte ich nicht, ebenso alkoholisiert oder auf Drogen. Erfreulicherweise bin ich vormittags zuverlässig nüchtern. Vor dem Betreten der Kammer steht entsprechend ein Fragebogen, der Blutdruck wird gemessen, diverses abgefragt. Es ist eben doch eine heftige Aktion.
Frostköttel in der Nase, aber ausnahmsweise mal keine Hitzewallung
Nun also in die Kammer, ich trage die diversen notwendigen Stoffteile, von Handschuhen bis Socken. Sehe die Anzeige. Minus 97 Grad. Herrje. „Einige können das gut ab, andere frieren schnell.“ Ich bin optimistisch: Ich bin ein heißer Typ – im Sinne von: mir ist immer direkt warm, selbst im Winter. Meine innere Heizung steht gern auf Schweißausbruch. Kältekammer? Klingt nach Traum. Also reingehuscht.
Kälte. Kleine Frostköttel in der Nase. Ich denke, ich bin wirklich dankbar, dass meine Boxershorts eng anliegt. Und generell bin ich sicher, dass selbst Corona-Leugner hier gerne eine Maske tragen. Es ist verrückt. Giese hatte mich gewarnt: Keine schnellen Bewegungen – der Luftzug multipliziert die Kälteerfahrung auf der Haut. Drei Minuten im Eisschrank, ich dehne mich langsam (verspannter Nacken). Mir ist ausnahmsweise mal nicht warm. Und die Zeit scheint auch etwas angefroren zu sein. Dann ist sie endlich um.
Trend Kältekammer: Umsonst ist das Vergnügen nicht
Ich trete heraus. Und fühle mich kühl. Die Sonne scheint durch die Jalousien. Meine Haut ist kalt, aber ich merke: Der Körper hat die Heizung angeworfen. Und tatsächlich: Der angekündigte Effekt – ich fühle mich direkt wie nach ein paar Tassen Kaffee, aber ohne Herzrasen – setzt tatsächlich ein. Mich fröstelt’s auf dem Rad noch ein paar Minuten später, keine Frage. Aber ich bin erstaunlich konzentriert zurück am Schreibtisch. Und: Schlafe gut. Könnte man sich dran gewöhnen, auch wenn der einmalige Besuch kaum langfristige Entwicklungen erwarten lassen dürfte.
- Umsonst ist das Vergnügen nicht. Zum Start kosten das Angebot drei Anwendungen in der Woche mit Coaching bei Formwandler 79 Euro monatlich, die Zehnerkarte 199 Euro. Die Preise steigen demnächst. Vereinzelt können Krankenkassen bei bestimmten Krankheitsbildern Kosten übernehmen. Mehr Infos bei Formwandler.
Alternativen gibt es in Berlin nicht viele, aber ein paar, etwa Cyropoint an der Uhlandstraße, Cyrosizer am Kurfürstendamm, CTB am Kurfürstendamm, auch das Immanuel Krankenhaus macht eine Kältetherapie.
Lust auf Abkühlung? Kalte Orte gibt es in Berlin genug. Ganz kostenlos Fett verbrennen könnt ihr zum Beispiel auf diesen schönen Lauf-Strecken.