Nächste Runde im Lockdown-Rennen: Bis einschließlich 7. März wird sich in Deutschland in Sachen Öffnungen und Möglichkeiten kaum etwas ändern. Das nervt den Durchschnittsmenschen. Besonders gepaart mit dem heftigen Wintereinbruch ist die Situation für andere eine absolute Katastrophe. Doch anstatt ein Ohr für sie zu haben, hören wir nur das Geheule der Privilegierten, jener glückliche Mehrheit, die arbeiten und vernünftig leben kann. Gerade für die gilt: Klappe zu und durchhalten.
Gemecker über Lockdown: Bei anderen Leuten geht es um mehr als die Frisur
Natürlich fehlt es den allermeisten Menschen: das Leben, das Erleben, die Entdeckungen, die Gemeinschaft. Lockdown ist, das muss man einfach mal so sagen, ganz große Scheiße. Aber während sich manche von uns im Home-Office wahlweise aufreiben oder langweilen, geht es bei vielen noch viel heftiger an die Substanz: natürlich (!) jenen, die gerade nicht arbeiten können, aber wollen. Aber auch besonders empfindlichen und schützenswerten Gruppen.
Es sind die Obdachlosen, die mit ihrem Hausstand im Einkaufswagen durch Berlin ziehen, durch den Schnee, die sonst um Geld und Essen schnorren, aber kaum noch Menschen auf der Straße treffen. Keine Tourist*innen, weniger Angestellte – weniger Geld in der Tasche.
Es sind die Väter und Mütter in Rente, die Senior*innen, die ihre Kinder in anderen Teilen des Landes selten oder gar nicht mehr persönlich zu Gesicht bekommen – manchmal die einzigen Menschen, die sie noch in den Arm nehmen. Die vor allem, wenn sie alleinstehend sind, nach und nach vereinsamen. Die am Telefon manchmal ein bisschen lallen, weil in ihrem Gefängnis zwischen rutschigen Fußwegen und tödlicher Pandemie eigentlich gar nichts mehr Spaß macht, außer – vermeintlich – der Griff zur Flasche.
Es sind die Menschen, deren Psyche schlicht nicht stark genug ist, um mit der Einsamkeit zu leben, mit den Gedanken, mit der Angst.
Es sind die jungen und alten Menschen, die verprügelt werden, weil sie ihren Eltern oder Partner*innen vermeintlich auf die Nerven gehen und diese ihnen die Schuld an allem geben.
Für die Wohlstandsgesellschaft ist Lockdown ein zu bewältigendes Elend
Lockdown, das ist für viele Menschen in der Wohlstandsgesellschaft ein nerviges, aber zu bewältigendes Elend. Lieferdienste, Versandhändler, Netflix, iPad und ein paar Regelbrüche hier und da, weil die liebe Brigitte nun mal Geburtstag hat und ein Sektchen in ihrem Wohnzimmer schon nicht gefährlich ist: In der Masse ist für viele Menschen das größte Problem dann doch, dass die Haare gerade nicht geschnitten werden.
Wenn man seine*n Friseur*in ohnehin nicht einfach besticht, damit man den illegalen Zuhause-Service bekommt. Noch so ein Privileg, das wir ja immerhin ab 1. März auch schon wieder offiziell in Anspruch nehmen dürfen, das wurde ja auch entschieden. Friseursalons auf, na klar! Dass am Ku’damm mit dem Coiffeur dann doch noch ein Champagner getrunken wird und beim Barbershop bei Schneider und Beschnittenem die Maske unter der Nase hängt – diese Beobachtungen bilden wir uns sicher nur ein. Apropos: Museen bleiben wohl weiter brandgefährlich – da, wo derzeit in riesigen Hallen ein paar Dutzend Berliner*innen umherirren würden. Hauptsache, im Zoom-Call sitzt die Frise.
FC Bayern in Katar, Urlaubsbreisen, Lockerungen für Friseur*innen – aha
Wir können nicht allen helfen, aber wir könnten versuchen, das ganze Thema Lockdown mal vernünftig anzugehen: Einfach mal alles dicht. So richtig, und nicht wochenlang immer ein bisschen. Keine beknackten Reisen vom FC Bayern von Bayern nach Katar. Keine albernen Ausreden für irgendwelche Jobs, für die man nur einen Laptop braucht. Keine Lockerungen für Friseur*innen. Keine Urlaubsreisen. Dafür: Fürsorge – und sichere, funktionierende Hilfen für Menschen, denen gerade die Existenzgrundlage genommen wurde. Wir werden das schon verkraften.
Denn trotz allem Elend: Uns wird nicht das Zuhause unterm Hintern weggebombt. Wir müssen keine Angst haben, dass irgendwer unsere halbe Familie erschießt. Wir leiden keinen Hunger und es ist genug für alle da, in diesem Lockdown ja sogar Klopapier.
Deshalb: Durchhalten, aber als Politiker*innen auch mal den Menschen nachvollziehbare Entscheidungen vorlegen. Lieber zwei harte Wochen als sechs softe, die uns alle zermürben. Unterstützen, wo es geht. Darüber nachdenken, was wir für andere tun können, denen es schlechter geht, wenn uns Corona nicht auch alles genommen hat. Und statt irgendeinen Mist zu bestellen, mal ein paar Euro an Hilfsorganisationen geben, die in Krisen jenen helfen, die wirklich arm dran sind. Es kann klappen, wir können auch das alles überstehen.
Irgendwann ist der Mist vorbei. Worauf wir uns nach Corona freuen. Das Impfen hat begonnen – Infos zum Ablauf in Berlin. Ihr wollte anderen Menschen helfen? Diese Einrichtungen freuen sich über Sachspenden.