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Lügenpresse – Der Literaturkommentar von Erik Heier

Einen Teil meiner Unfreizeit in den sozialen Netzwerken verbringe ich damit, den Ruf des Journalismus zu verteidigen. Das ist für einen Journalisten keine wahnsinnig originelle Beschäftigung, aber was soll man machen, manchmal sind die niedlichen Katzenbilder eben gerade alle (kleiner Scherz, natürlich gibt es viel mehr niedliche Katzenbilder als Argumente für den Journalismus). Ich bin nämlich ziemlich angefressen, wenn mir Leute mit „gleichgeschalteten Mainstream-Medien“ kommen, mit „Gesinnungs-“, mit „Lügenpresse“, mit „Schlimmer als in der DDR“ , eine Sichtweise, auf die sich lustigerweise auch ziemlich viele China-, Russland-, Trump- und AfD-Fans einigen können. Aber dann kam der Fall des „Spiegel“-Reporters Claas Relotius mit seinen zusammengelogenen, mit Preisen überhäuften Reportagen von amerikanischen Bürgerwehren gegen Flüchtlinge oder einem Jungen, der den Syrien-Bürgerkrieg durch ein Graffiti lostrat.

Und ich dachte bloß: Uff, na toll. Vielleicht sind Katzenbilder doch nicht so übel.

Jetzt ist das Buch „Tausend Zeilen Lüge. Das System Relotius und der deutsche Journalismus“ von Juan Moreno bei Rowohlt Berlin erschienen. Moreno ist der „Spiegel“-Reporter, der Relotius‘ unfassbare Hochstapelei im Alleingang enttarnte, immer mit dem Rücken zur Wand. Weil ihm niemand seine Beweise glaubte. Weil die so offensichtlich waren, dass sie nicht wahr sein konnten. Nicht beim „Spiegel“, gerade dort nicht. „Juan, das ist eine Hinrichtung, entweder deine oder die von Claas“, sagte ihm einer der Chefs, „und ich habe keinen Grund, an meinem Autor zu zweifeln.“ Das Buch liest sich wie ein Krimi, es stellt viele Fragen nach dem Selbstverständnis des Journalismus’.

Die „Lügenpresse“-Fraktion könnte auch ein weiteres Buch lesen, das am 10. Oktober erscheint und von der Bedeutung der freien Medien handelt: Es stammt von Deniz Yücel, dem zehn Monate lang in der Türkei inhaftierten „Welt“-Journalisten. Die Premiere von „Agentterrorist“ ist am 7. Oktober im Festsaal Kreuzberg.

Im Buch kommt auch eine Katze vor.

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