Band-Porträt

Make Rock great again: Black Midi spielen im Lido

Vielleicht ist diese Band nur ein großes Missverständnis: Die ehemalige Schülerband Black Midi interessiert sich für alles außer klassischem Rock, trotzdem sind die Londoner auserkoren worden, diesen Rock zu retten

Anthrox Studio

Gerade mal ein gutes halbes Jahr ist es her, da gastierte in einem der charmantesten Clubs der Stadt, dem Monarch am Kottbusser Tor, eine junge britische Band. Drei blasse Typen mit Gitarren und ein schwarzer Schlagzeuger quetschten sich seinerzeit nebeneinander auf die winzige, enge Bühne, unbeeindruckt rockten sie los und bearbeiteten mit einer Inbrunst ihre Instrumente, die begeisternd war. Es schepperte, krachte und lärmte, die Musik nahm ständig neue Abbiegungen und Kehrtwenden – und die meisten Besucher blickten gebannt Richtung Bühne.

Schon da spürte man: Black Midi sind eine außergewöhnliche Band. Nun, knapp sieben Monate später, ist das kein großes Geheimnis mehr. Im Juni veröffentlichte das Londoner Quartett sein Debütalbum, zu Recht wurden Black Midi mit „Schlagenheim“ gleich mal für den wichtigsten europäischen Musikpreis, den britischen Mercury Award, nominiert. Denn ihr Sound, mit dem sie Elemente aus Noise-, Math- und Progrock, aus Hardcore und Jazz zusammenrühren, klingt auch aus der Konserve hochenergetisch, rotzig und frisch. Und weil sie – ausgerechnet im Jahr 2019 – in klassischer Band-Besetzung Gitarrenmusik machen, wurden sie von der Fachpresse und den Feuilletons schon zu jener Gruppe auserkoren, die den Rock great again machen könnte. Kommt die Rettung der Rockmusik also – diesmal wirklich – aus England?

„Vergessen Sie das“, sagt Geordie Greep, als ich an einem Herbstmorgen mit ihm telefoniere, „das war nie unser Anliegen. Es geht überhaupt nicht darum, welche Art von Musik wir machen, sondern einzig darum, dass sie gut ist. An Genres sind wir nicht wirklich interessiert.“ Greep, vor wenigen Tagen 20 Jahre alt geworden, erklärt, es könne genauso gut sein, dass Black Midi in ein paar Jahren schon für völlig andere Musik stünden. „Wir wollen nichts ausschließen. Es geht ja nicht darum, dass wir bei einem Sound stehenbleiben – wir wollen uns weiterentwickeln.“

Angefangen haben Black Midi 2016 als Schülerband – allerdings war die Schule, die sie besuchten, eine besondere. Denn Gitarrist und Sänger Greep, Bassist Cameron Picton, Drummer Morgan Simpson und der zweite Gitarrist Matt Kwasniewski-Kelvin lernten sich an der Brit School kennen – einer Schule für darstellende Künste, die vor ihnen schon Adele oder Amy Winehouse besuchten. „Wir haben in den Mittagspausen zusammen gejammt“, erzählt Greep, „zunächst nur Matt und ich, dann kamen die anderen dazu. Als Band war das zunächst gar nicht gedacht, es war einfach nur Spaß.“ Mit der Zeit aber fingen sie an, Songs zu komponieren, und sie stellten fest, dass die Stücke gar nicht schlecht waren. So probierten sie sich auf der Bühne aus. Schnell sprach sich herum, dass da eine spannende Band in den Startlöchern steht.

Alles drin: Japan, Krautrock, Experiment

Mit klassischer Rockmusik aber hatten sie eigentlich zu Beginn an wenig zu schaffen. „Als wir anfingen, war japanisches Zeug wie die Boredoms oder Melt-Banana sehr wichtig für uns“, erklärt Greep. Abgesehen davon kommen einem auch Rock-Dekonstrukteure wie zum Beispiel Fugazi oder andere Bands des Washingtoner Dischord-Labels in den Sinn, wenn man „Schlagenheim“ hört (im Übrigen ist der Name des Albums ein fiktionales Wort für eine fiktionale Stadt). Auch andere Einflüsse – Greep nennt etwa Minimal Music  von La Monte Young, die Math-Rock-Band Battles sowie Krautrock von Can und Neu! – sind recht weit von gängigen Rock-Gepflogenheiten entfernt.

Mit einem der Krautrock-Urgesteine – Damo Suzuki von Can – haben Black Midi vergangenes Jahr im Club The Windmill in Brixton ein improvisiertes Live-Set gespielt. Creep sagt: „Die Energie, die Damo Suzuki immer noch hat, ist unglaublich. Er hat nicht viel geredet – er hat einfach gesagt: ‚Wenn das Konzert beginnt, springe ich in die Luft, und wenn ich lande, macht ihr jede Menge Noise.‘ Das haben wir getan. Der Rest war improvisiert.“ Das Ergebnis kann man sich auf Bandcamp anhören.

Dass Improvisation und Avantgarde-Techniken großen Einfluss auf Black Midi haben, kann man auch am Gesang hören. Geordie Greep singt selten konventionell. Oft spricht er den Text, manchmal kreischt er, dann singt er affektiert, dann wieder wispert er leise vor sich hin. Dabei sind die Texte zum Teil assoziativ und experimentell wie in „BmBmBm“, wo die Zeile „It’s such a magnificent purpose“ häufig wiederholt wird und so die repetitive musikalische Struktur stützt. Zum Teil aber erzählt Greep auch kleine Alltagsszenen nach wie in „Of Schlagenheim“.

Vordergründig politisch aber sind die Texte fast nie – und das hat einen guten Grund: „Ich denke viel über politische Lyrics nach. Ich finde, es ist gar nicht so einfach, politische Texte zu schreiben, ohne dabei stumpf oder kitschig zu klingen.“ Viele Musiker glaubten gerade aktuell, sich auch in Songs politisch äußern zu müssen, meint Greep, dabei sei das Ergebnis oft wenig zufriedenstellend. „Die Textidee muss schon neu und eigen sein, und es muss in den Flow des Songs passen. Sonst schreibt man einen politischen Song um des politischen Songs willen, und es geht nur um die Message. Das wäre nicht mein Ding.“

Und wenn man sich einer Sache bei Black Midi sicher sein kann, dann der, dass sie wirklich ihr ureigenes Ding machen.

Lido Cuvrystr. 7, Kreuzberg, Mo 7.10., 20 Uhr, VVK 16 € zzgl. Gebühren

Berlin am besten erleben
Dein wöchentlicher Newsletter für Kultur, Genuss und Stadtleben
Newsletter preview on iPad