Vermieter des Grauens

Mein Horrorhaus – Mit dem neuen Investor begann der Verfall

Marode Heizung, Schimmel. Und dann zogen die Wanderarbeiter ein. Dass unsere Autorin diesen Text unter Pseudonym schreiben wollte, ist verständlich

Quelle: www.notesofberlin.com

Bloß nicht die Taschenlampe vergessen! So ähnlich lautete in den letzten drei Wochen das Mantra der Bewohner in „unserem“ Mietshaus, wollte man in den frühen Abendstunden beispielsweise einkaufen gehen. Denn kam man von dem Ausflug zurück und es war dunkel, bedeutete dies, dass man sich vorsichtig durch das Treppenhaus die Stufen hochtasten musste. An der Wohnungstür erst das Schlüsselloch und dazu den passenden Schlüssel am Bund zu finden, war ebenfalls eine Herausforderung: Im gesamten Treppenhaus war das Licht ausgefallen. Doch die Hausverwaltung reagierte weder auf von der einen oder anderen Mietpartei telefonisch noch auf per Mail durchgegebene Mängelmeldungen.

Leider hat das Ganze System. Seit das in Wilmersdorf nicht gerade lauschig an einer Autobahnab- und -auffahrt liegende Mietshaus um das Jahr 2010 an einen Investor verkauft wurde, begann ein seltsamer Verfall. Zwar unterzog man das mehrstöckige Treppenhaus des im zweiten Jahrzehnt des vergangenen Jahrhunderts erbauten Gebäudes zunächst einer sogenannten „Pinselsanierung“, einer optischen Aufhübschung, indem sowohl über die alte Wandfarbe als auch über die Wohnungstürlackierungen von Handwerkern neue Farbe aufgebracht wurde. Außerdem wurde eine – wohnwerterhöhende! – Gegensprechanlage installiert.

Zur Begrüßung eine Mieterhöhung

Die marode Zentralheizung, die jährlich zu Beginn der Heizperiode mühselig zusammengeflickt werden muss, blieb indessen genauso erhalten wie die altersschwachen Wasserrohre, die rostiges Nass mal von der höchst gelegenen Wohnung in die darunter träufeln ließ oder den Läufer im Treppenhaus dunkel einfärbte.

Trotzdem gab es für alle „zur Begrüßung“ erst einmal eine Mieterhöhung – die allerdings noch im Rahmen lag. Zog eine Mietpartei jedoch aus, schnellte der monatliche Abschlag für die Nachfolger in die Höhe. Was für eine zunehmende Fluktuation sorgte. Denn sobald die Neumieter realisierten, dass der Putz unter den Tapeten so bröselig ist, dass kaum ein Bild geschweige denn ein Regal lange hängen bleibt und Beanstandungen wegen Schimmelbildung an einigen Wänden bei den – etwa im Dreijahrestakt wechselnden – Hausverwaltungen kein Gehör fanden, suchten sie auch schon das Weite. Was in Zeiten von Wohnungsnot weitere Aufschläge bei Neuvermietungen ermöglichte. 

Umso erstaunter war die Hausgemeinschaft, als es mit den Neuvermietungen vor etwa drei Jahren erst einmal vorbei zu sein schien. Monatelang standen bis zu drei Wohnungen komplett leer. Wer Bekannte, die händeringend nach Wohnraum suchten, auf die Wohnungen und die aktuelle Hausverwaltung aufmerksam machte, bekam von denen zu hören: „Bei der Hausverwaltung waren die total unfreundlich. Die sagen, alle Wohnungen sind vermietet.“

Ratten und Krähen

Das Rätsel löste sich im Frühjahr 2018. Von einem zum anderen Tag zogen junge Männer gleich truppweise in die Wohnungen ein. Und auf dem Gehweg vor der Haustüre parkten Mannschaftswagen mit bulgarischen, polnischen oder rumänischen Kennzeichen. „Das sind Wanderarbeiter“, sagte ein Nachbar aus einem Nebenhaus, als man sich an der für jedermann zugänglichen Müllanlage „unseres“ Mietshauses traf.

Die Müllanlage ist in unserem Kiez berüchtigt. Mieter, die dort etwas in die Tonnen werfen wollen, müssen sich auf Schimpftiraden von Passanten gefasst machen. Die völlig vermüllte Anlage sei ein Schandmal, sagen die Anwohner. Ratten würden da abends rumlaufen und Krähen die Plastiktüten neben den Tonnen aufpicken.

Vor rund zwei Monaten hat die „Wohnwert erhöhende“ Gegensprechanlage ihren Geist aufgegeben. Auch die Klingeln funktionieren seitdem nicht mehr. Was vor allem für die im Haus beherbergten Monteure sehr unangenehm zu sein scheint. Wer abends noch mal schnell etwas besorgen muss, kommt ohne funktionierende Klingel offenbar nicht mehr ins Haus rein. Den Schlüssel zu den Wohnungen hat offenbar jeweils nur eine Person – die aber nicht mitkriegt, dass „unten“ jemand Einlass begehrt. Weil all dies für die Hausverwaltung kein Thema zu sein scheint, hat irgendjemand das Problem vor einigen Wochen auf die brachiale Tour gelöst: Die Haustür wurde aufgebrochen. Seitdem kann jeder, der es will, in unser Haus spazieren.

Sollten die Einbrecher dies abends tun, müssen sie sich mit Taschenlampen allerdings nicht mehr belasten: Seit gestern geht die Treppenhausbeleuchtung wieder. Womöglich hatte einer der Monteure einfach die Nase voll von der nächtlichen Stolperei – und die Beleuchtung kurzerhand selbst repariert.

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