Debatte

#metoo in der Berliner Popmusik

„Wir werden immer stärker“ – Sexismus und Diskriminierung gibt es natürlich auch in der Musik. Es wird Zeit, dass die #metoo-Diskussion ­endlich auch im Popgeschäft ankommt, finden Berliner Musikerinnen. Ein Roundtable mit Balbina, Cäthe, Naima Hussein und Maike Rosa Vogel – und einer gehörigen Portion Wut. Moderation Jens Uthoff & Thomas Winkler

Maike Rosa Vogel, Cäthe, Naima Husseini und Balbina (v.l.n.r.)

tip Wann zuletzt haben Sie sich als Musikerinnen und Künstlerinnen konkret diskriminiert gefühlt?
Naima Husseini Mir fällt als erstes eine Situation ein, in der ich mich als Produzentin vorgestellt habe. Es ging um eine Auftragsarbeit, wir hatten ein Kennenlerntreffen. Zwei Männer und ich. Im Laufe des Gesprächs stellte sich heraus, dass sie mich gar nicht als Produzentin vorgesehen hatten: „Es ist cool, dass Du dabei bist“, sagte einer von ihnen, „du kannst ja auch singen, und du kennst viele Leute.“ Dieser Satz hat es für mich auf den Punkt gebracht – man wird als Netzwerkerin und Sängerin wahrgenommen, aber Frauen und Produzieren, das passt nicht. Das geht noch weniger zusammen als Frauen und Musikmachen. In dieser Rolle sieht man nur Männer.
Cäthe Ich saß mal gemeinsam mit einem neuen Produzenten im Studio und habe ihm meine Sachen vorgespielt. Erst sagte er: „Ich bin ein großer Fan von dir, toll, dass wir zusammenarbeiten.“ Nach und nach begann er dann aber, mich und meine Songs auseinanderzunehmen. Er verstehe meine Texte nicht, er wüsste gar nicht, wo ich musikalisch eigentlich hin will. Das widersprach total dem, was er zuerst gesagt hatte. Ich glaube, wenn es ein Typ gewesen wäre, hätte er das nicht so ­gemacht.

tip Woran merkt man denn, dass eine solche Kritik geschlechtsspezifisch ist?
Cäthe Es ist die Art und Weise, wie kommuniziert wird. Ich kann eigentlich gut mit ­Kritik umgehen, wenn sie auf Augenhöhe stattfindet.
Balbina Vor allem, wenn es ums Business geht, wird es oft sehr schnell belehrend. Also wenn man zum Beispiel erklärt, wie man sich einen Song oder eine Inszenierung vorstellt und darüber diskutiert. Dann wird das oft von oben herab kritisiert.

Cäthe, 35 Catharina Sieland ist in Staßfurt in Sachsen-Anhalt geboren und aufgewachsen, lebte in Baden-Württemberg, Hamburg und nun Berlin. Sie lernte Gitarre mit zwölf und stand schon als 14-Jährige auf der Bühne. Ihr Debüt „Ich muss gar nichts“ (2011) machte sie bekannt, 2012 bekam sie den deutschen Musikautorenpreis. Es folgten die Alben „Verschollenes Tier“ (2013) und „Vagabund“ (2015). Foto: Sony Music

tip Balbina, Sie machen ja vom Produzieren bis zum Videoclip fast alles selbst. Wurde Ihnen das auch schon mal abgesprochen?

Balbina Ja, klar. Eigentlich müsste ich jedes Interview mit den Worten beginnen: „Guten Tag, mein Name ist Balbina, ich habe meine Lieder selbst geschrieben, habe sie koproduziert, die Drehbücher für meine Videos geschrieben, meine Videos selbst produziert und bin auch für die Live-Inszenierung verantwortlich.“ Wenn ich das mache, wirke ich wie eine Verrückte mit einem Ego-Problem. Dass ich überhaupt darauf komme, liegt an meinen Erfahrungen. Zum Beispiel habe ich meine beiden letzten Alben geschrieben und koproduziert, und beide waren zum Glück sehr erfolgreich, was die Kritik in den Feuilletons betrifft. Das Witzige ist: Aufgrund dieses ­Erfolges wurden Männer, mit denen ich ­ge­arbeitet habe, für andere Produktionen angefragt. Ich bin bis heute kein einziges Mal gefragt worden.

tip Weil automatisch angenommen wird, der Mann hat es gemacht.
Balbina Genau. Ich gönne es denen total, darum geht es ja nicht. Die haben das toll gemacht! Aber es ist nicht angekommen, dass mindestens der gleiche Anteil von mir kam.

tip Maike Rosa Vogel, Sie haben Alben mit Sven Regener produziert, also mit einem ­berühmten Musiker – war das bei Ihnen ähnlich?
Maike Rosa Vogel Nein, im Fall von Sven Regener war es nicht so. Er hat klugerweise in der Presseinfo ausdrücklich erwähnt, dass er eigentlich nicht viel machen musste. Aber bei allen anderen Männern, mit denen ich zusammengearbeitet habe, war es ähnlich: Egal, wie kurz oder wie wenig die dabei waren, in der Außenwahrnehmung waren die immer verantwortlich für die Aufnahmen.
Balbina Es wird auch immer davon ausgegangen, dass man seine Songs nicht selbst schreibt. Sogar Judith Holofernes wird andauernd gefragt, ob sie ihre Lieder selbst schreibe, hat sie mir neulich vor einem gemeinsamen Auftritt erzählt. Wie kann das sein? Eine der tollsten Songwriterinnen überhaupt!
Naima Husseini Als Frau muss man erst mal beweisen, dass man überhaupt Kompetenzen hat, dann kann man anfangen zu arbeiten. Diese Extrastrecke muss man immer ein­kalkulieren.

tip Gibt es denn noch den Klassiker, dass ­einem als Frau gesagt wird, in welchen Eingang am Verstärker das Kabel kommt?
Maike Rosa Vogel Das ist so normal, das nimmt man gar nicht wahr. Man wird immer so behandelt…
Naima Husseini … als hätte man keinen Schimmer von Technik.
Cäthe Ich finde es schlimm, dass ich das als normal empfinde. Ich habe mich einfach so sehr daran gewöhnt. Und ich glaube, manchmal tue ich auch ein bisschen so, als wäre es nicht so.

tip Ist es denn gefährlich, sich aufzuregen, weil man dann schnell als zickig und schwierig gilt?
Cäthe Es ist ganz einfach: Wenn eine Frau ihre Meinung sagt, ist sie kompliziert und zickig. Wenn ein Mann seine Meinung sagt, hat er Eier.
Balbina Da muss ich dir Recht geben. Natürlich sind wir vier Menschen mit subjektiven Erfahrungen, wir können nicht sagen: „So ist es – und so ist es nicht“. Aber unsere subjektiven Erfahrungen summieren sich. Wenn man im Musikbusiness in eine Gruppe von ­Männern gerät, was aufgrund des prozentualen Geschlechterverhältnisses nicht selten vorkommt, und seine Position durchsetzen will, wird schnell gesagt: Sei doch nicht so ­anstrengend, find’ dich doch mal in die Diskussion ein. Wenn nur ich das erlebt hätte, könnte es daran liegen, dass ich eben anstrengend bin. Aber wir alle haben das erlebt. Der Plural dieser Sache ist entscheidend.

tip Auffällig ist ja, dass die größten internationalen Popstars überwiegend Frauen sind. Auf der Business-Seite scheint das aber noch nicht angekommen zu sein.
Balbina International ist es ausgeglichener als in Deutschland, was die Pop-Protagonisten angeht, in England und Amerika zum Beispiel. Wie es hinter den Kulissen aussieht, wissen wir nicht, aber vordergründig sieht man: Wir haben eine Rihanna, wir haben Katy Perry, Lady Gaga, Beyoncé und Madonna. Die stehen an der vordersten Front und haben starke ­feministische Positionen. In diesem Land ist das noch nicht angekommen, obwohl wir an der Spitze der Politik eine Frau haben. Aber in der Musikindustrie ist das eben nicht so.

Balbina, 34 bürgerlich Balbina Monika Jagielska, ist in Warschau geboren und lebt seit ihrem dritten Lebensjahr in Berlin. Ende der 90er-Jahre begann sie Musik zu machen und bewegte sich im Umfeld des HipHop-Labels Royal Bunker. 2011 veröffentlichte sie ihr Debütalbum „Bina“, einer größeren Öffentlichkeit wurde sie 2015 bekannt, als sie mit „Über das Grübeln“ in die Charts kam. Auch das Nachfolgewerk „Fragen über Fragen“ (2017) konnte sich in den Charts platzieren. Am 21. April spielt sie in Potsdam im Nikolaisaal. Foto: Nicolas Hoefer

tip Warum finden die Frauen im deutschen Mainstream so wenig statt?
Balbina Manchmal frage ich mich, ob die Musik vieler Frauen hierzulande einfach zu viel Charakter hat. Denn die Musik und ­Radiolandschaft hat in Deutschland, mit Verlaub, nicht so viele Ecken und Kanten. Sie richtet sich nach einer kurzfristigen Nachfrage und sinkt in dem Niveau immer weiter. Vielleicht sind die Frauen ja auf starke Inhalte fokussiert und haben gerade deshalb weniger Chancen. Die Radiolandschaft wird nun mal nicht von Kat Frankies, Cäthes, Balbinas und Judith Holofernesses dominiert, sondern die Stimmen der bekannten Herren erklingen, wenn man den Radioknopf drückt.

tip Aber der größte lebende Popstar dieses Landes ist mit Helene Fischer eine Frau.
Balbina Die Frauen, die Erfolg haben, bedienen die gleiche Musikrichtung wie die erfolgreichen Männer. Ich finde, diese Popularmusik, die bei den Männern kommerziell gut funktioniert, hat viel mit dem Schlager gemein, wie ihn auch eine Helene Fischer macht. Und dieses Genre hat durchaus seine Berechtigung. Aber wir bedienen dies in unserer Eigenart und Fokussiertheit nicht, dabei verdienen wir es genauso wie der Schlager, gehört zu werden. Vielleicht haben wir zu viel Aussage für den Markt.
Naima Husseini Die Majorlabels suchen gezielt nach einer weiblichen Philipp Poisel. Das ist ganz konkret deren Arbeit, und das sagen die auch so. Die wollen keine eigenständige Künstlerin aufbauen, sondern sie suchen Frauen, die in dieses Raster passen.
Cäthe Das ist immerhin ehrlich. Du kannst dich entscheiden und sagen: Nö, mach ich nicht.

tip Männliche Philipp-Poisel-Kopien werden aber genauso gesucht.
Balbina Aber als Frau habe ich nur eine Chance, wenn ich bereit bin, mich dem anzupassen. Wenn du als Musikerin nicht anpassungsfähig bist, hast du kaum eine Chance. Bei Männern dagegen wird Unangepasstheit als Stärke interpretiert.
Maike Rosa Vogel Ich glaube, dass unangepasste Frauen es in Deutschland viel schwerer haben als unangepasste Männer.
Cäthe Die sind halt dann die Freaks. Die Frauen werden belächelt. Aber die Frage ist doch auch: Warum interessieren sich die ­Männer nicht dafür, was die Frauen zu sagen haben?
Maike Rosa Vogel Die Frauen interessieren sich aber auch nicht dafür. Alle sind zum Beispiel auch so konditioniert, dass sie es interessanter finden, wenn Männer reden.
Cäthe Ist das auch ein deutsches Phänomen, dass sich niemand für die Musik der Frauen interessiert?
Maike Rosa Vogel Ich bin ja verbandelt mit der irischen Musikszene, dort werden Frauen ganz anders gefeatured. In Amerika erlebe ich das auch so, in Deutschland nicht.

tip Wir müssen natürlich auch über MeToo reden. Diese Diskussion hat die deutsche Musikbranche vergleichsweise spät erreicht und auch nicht in der Vehemenz wie andere Branchen und andere Länder. Haben sie jemals sexuelle Belästigung erlebt?
Balbina Nein, nie. Sexismus in Form von Benachteiligung dagegen sehr oft.
Maike Rosa Vogel Mir ist das auch nicht passiert. Was mir aber häufiger passiert ist: dass mir die Tür vor der Nase zugeschlagen wurde. Es gibt da diese Boys-Only-Clubs, wo man nicht dazugebeten wird und wo man anders wahrgenommen wird, weil man halt keinen Penis hat.

tip Also ist MeToo in der deutschen Musik­industrie nicht wirklich ein Thema?
Maike Rosa Vogel Vielleicht nicht in dem Bereich der Branche, in der wir uns bewegen. Der Sexismus, den ich in der Musikindustrie erlebe, ist subtiler. Es ist eine stillere Art, ­Frauen auszugrenzen. In Deutschland ist der Sexismus weniger sexuell aufgeladen, aber Männerseilschaften funktionieren gut.
Balbina Ich glaube, dass wir in Deutschland das MeToo-Thema nicht in der Vehemenz haben, weil diese Gesellschaft sich nach ’68 weit entwickelt hat und so fortgeschritten ist, dass es eine Sensibilisierung für körperliche Gewalt und sexuelle Übergriffe gibt. Damals wurden ja Rollenbilder und Geschlechterverhältnisse, wurde alles infrage gestellt. Aber obwohl oder weil wir vergleichsweise gleichberechtigt sind, ist da unterschwellig etwas, das nicht herausgewachsen ist. Oberflächlich betrachtet ist alles in Ordnung, aber eigentlich ist gar nichts in Ordnung.
Naima Husseini Zum Beispiel bekommt man einen Plattendeal, weil man gut aussieht. Daraus entwickelt sich eine Dynamik, dass man sich auf das Äußerliche konzentriert und vergisst, welche Potenziale man eigentlich hat. Das wollte ich auch selbstkritisch äußern: Bei mir hat es eine ganze Weile gedauert, bis ich mich auf das konzentriert habe, was ich kann. Bis ich mir selbst zugetraut habe, mir Kompetenzen anzueignen. Und nicht meine Kumpels gefragt habe, die ein Studio haben.
Cäthe Du hast gerade das Aussehen angesprochen. Ich habe folgende Erfahrung gemacht: Sobald man sich ein bisschen sexy gibt, wird man wahnsinnig schnell als oberflächlich eingestuft.

Naima Husseini, 36 ist in Hamburg geboren und groß geworden. Sie wuchs in einer ­musikalischen Familie auf und ­lernte Klavier, Gitarre und Schlagzeug. Husseini war Sängerin der Hamburger Band Silvester, die sich 2008 gründete, aber kurze Zeit später wieder auflöste. In Berlin startete sie ihre Solokarriere, als sie 2011 „Naima Husseini“ veröffentlichte. Ihr zweites Album ­„Immer alles“, auf dem eine ­Mischung aus TripHop, Pop, R&B und Soul zu hören ist, folgte 2016. Foto: Lisa Rrr

tip Wie in Ihrem Clip zu „Senorita“?
Cäthe Ja, da wurde sofort gesagt: sexy, sexy. Dabei muss man sich nur die Sandaletten angucken, die ich darin trage, um den Zirkus, den ich da spiele, zu verstehen.
Balbina Vor allem ist es dein Recht. Du kannst dich geben, wie du willst. Darüber habe ich mal mit der Musikerin Lary gesprochen, die sich auch gerne sexy gibt. Die meinte: „Warum muss ich mich jetzt verhüllen, mich zurücknehmen, nur, weil ihr mir sonst vorwerft, ich würde dieses und jenes bedienen wollen?“ Männer können sich doch auch geben, wie sie wollen. Als Mathias Schweighöfer ein Oben-ohne-Foto gepostet hat, wurde da etwa auch sofort gesagt: Das ist zu sexy, das geht gar nicht?
Müssen Frauen im Pop immer noch besser aussehen oder dürfen Männer inzwischen auch nicht mehr scheiße aussehen?
Maike Rosa Vogel Es gibt schon sehr schlonzige Männer, die unglaublich erfolgreich sind und bei denen ich immer denke: Eine Frau in dem Alter, mit den Klamotten – keine ­Chance. Das ist bitter, weil man sieht, wie ungleich es ist.
Balbina Für mich hat das auch etwas mit dem neuen Lieblingsbegriff der Öffentlichkeit zu tun: Authentizität. Der Begriff Authentizität ist belegt mit normalem Aussehen, das normale Aussehen ist aber genau definiert, wenn man nicht so aussieht, ist man schon nicht mehr authentisch, dann bist du raus aus der Nummer.

tip Sie beide sind ja zwei extreme Gegensätze. Maike, Ihnen wird Überauthentizität unterstellt, und bei Ihnen, Balbina, Überkünstlichkeit.
Balbina Zunächst einmal: Ich nehme an, dass wir beide aus einer starken inhaltlichen Einstellung heraus so sind, wie wir sind. Das ist Authentizität, und nichts anderes. Authentisch bist du aber in den Medien nur, wenn du der aktuellen Definition von Authentizität genügst. Aber das wird eben auch über Rollenbilder festgelegt. Wie hat der Mann auszusehen, wie die Frau? Als ich mit meinen Fotos bei meiner Plattenfirma ankam, sah ich in ihren Gesichtern, dass sie dachten: Oh mein Gott, was machen wir jetzt?
Maike Rosa Vogel Lustig ist ja: Ich habe genau das gleiche erlebt. Die fanden, meine Promofotos gehen gar nicht. Und meinten, wir investieren jetzt einmal richtig in gute Promofotos. Fotos sind wichtiger als alles andere, was man macht.

tip Wie sieht es denn in der Musikszene selbst aus? Wie selbstverständlich werden Sie da als Frauen angenommen?
Balbina Als ich anfing mit der Musik, habe ich mich viel in Jugendzentren aufgehalten, und da hat viel Rap stattgefunden. Ich habe nach Musikern gesucht, die autodidaktisch arbeiten. Dieses Rap-Umfeld hat es mir ermöglicht, Musik zu machen. Ich habe dort gelernt, wie man Musik macht, wie man sich durchsetzt und weiterkommt. Denen war es egal, wie ich aussah, was ich gemacht habe und ob ich eine Frau war oder nicht. Es ging nur darum, ob meine Reime gut sind und ob ich Wortspiele draufhabe, auf die andere noch nicht gekommen sind. Das war mein Aha-Erlebnis. Obwohl ich also davor in einer Szene war, von der alle sagen, sie sei total sexistisch, habe ich Sexismus in der Musik erst später in der Mainstream-Industrie erlebt. Da kamen Leute dazu, die mich in Schubladen eingeordnet, die gesagt haben, was ich machen kann und was nicht.
Cäthe Hat dich das verunsichert? Bei mir war es so, dass ich mich erst mal gefragt habe, ob ich irgendwie komisch bin oder schräg drauf.
Balbina Bei mir war es anders. Ich bin so hart auf Konfrontation gegangen, dass die eigentlich nach einer Woche schon keine Lust mehr hatten, mit mir zu arbeiten. Ich war zuvor schon zusammen mit Rappern getourt und habe vor vielen Leuten gespielt, die mich alle nicht sehen wollten. Ich hatte mir schon so ein Selbstverständnis erkämpft, dass ich mit Bomben schmeißen muss, um mich zu behaupten. Und ich dachte: Wenn ich jetzt mein erstes Mainstream-Album rausbringe, dann wird das mein Statement sein, zu dem ich stehe. Und wenn das einem nicht gefällt, muss er es droppen.
Cäthe Aber das klingt manchmal so, als ­seien es nur Arschlöcher, die sexistische Kommentare von sich geben. Dem ist ja nicht so.
Maike Rosa Vogel Das stimmt. Ich habe das Gefühl, der fieseste Sexismus kommt von den netten Leuten, von denen Du es nicht erwartest.

tip Zum Beispiel?
Maike Rosa Vogel Wenn man merkt, dass Menschen, denen man vertraut, in den gleichen Kategorien denken, ist das bitter.
Naima Husseini Aber was mir gerade etwas zu kurz kommt: Es passieren ja schon auch Sachen gerade, es ist doch was in Bewegung, oder bilde ich mir das nur ein? Es wird selbstverständlich, dass Frauen Kritik am Musikautorenpreis äußern, es entstehen Frauen­netzwerke. Ich bin seit einiger Zeit Teil des „V-Breakfast“, das steht für „Vagina Breakfast“ und hat sich gerade in Berlin gegründet. Da connecten sich viele Musikerinnen und Künstlerinnen, beraten und unterstützen sich. Ich finde diese Plattform toll. Dort habe ich gemerkt: Die kommen auf mich zu und wollen mit mir arbeiten, ohne dass ich erst so tun muss, als könnte mir niemand das Wasser ­reichen. Weil einfach nur geguckt wird, wie wir zusammen zu einem guten Ergebnis kommen. Es wird auf den Inhalt geschaut und auf gute Vibes.

tip Sind Sie alle der Meinung, dass solche Female-only-Netzwerke oder -Festivals sinnvoll sind?
Naima Husseini Dieses Netzwerk ist total sinnvoll. Eine Idee, die wir jetzt hatten, ist es, Workshops für junge Musikerinnen anzubieten, in denen sie lernen, selbst zu produzieren und aufzunehmen. So können sie sofort selbstständiger arbeiten und sind nicht gleich wieder auf Männer angewiesen. Das schafft ­Unabhängigkeit.
Maike Rosa Vogel Bei Festivals wäre ich mir nicht so sicher. Man will nicht ausschließlich Frauen sehen, genau, wie man nicht nur Männer sehen will. Letzteres merkt nur im Moment noch keiner.
Cäthe Aber wenn Netzwerke Männer ausgrenzen, sind sie dann nicht auch sexistisch?
Maike Rosa Vogel Ich finde das okay, weil es eine ausgleichende Funktion hat. Im Businessbereich finde ich das schon gut, wenn Frauen sich zusammenschließen, weil man endlich mal das Gefühl von Rückenwind hat, sonst hat man ja immer nur Gegenwind. Ich habe sonst eigentlich immer das Gefühl, dass die Zusammenarbeit auf einer Annahme basiert, die lautet: Frauen sind so und Männer so. Bei Männern scheint es immer für sie zu arbeiten im Musikbusiness, Frauen wird immerhin das Singen zugetraut. Immer ist man die Sängerin. Aber auch da wird gleich gefragt: Kann die das überhaupt? Sollte die nicht Gesangsstunden nehmen?
Cäthe Bei Männern wird das fast nie gesagt.
Balbina Ich würde mal Katja Lucker vom Musicboard ins Spiel bringen. Bei der letzten Förderungsrunde hat sie gesagt, sie ist stolz darauf, dass mehr als 50 Prozent Frauen gefördert wurden. Dadurch, dass sie Frauen mehr unterstützt, will sie sie das allgemeine Ungleichgewicht ein bisschen ausgleichen. Das ist bei diesen Frauennetzwerken meines Erachtens der Punkt. Wenn man sich Festival-Line-ups anguckt, wissen wir alle, es gibt teilweise Veranstaltungen, bei denen keine einzige Frau auftritt. Deshalb müssen wir uns zusammenschließen, vernetzen und Aufmerksamkeit schaffen. Ich bin sehr gern mit Männern zusammen, ich arbeite gern mit Männern, und ich fände es total langweilig, wenn ich nur noch mit Frauen arbeiten könnte. Aber wir müssen proaktiv dafür eintreten, dass es im Pop überhaupt fair und gemischt zugeht. Und, das klingt vielleicht paradox, aber vielleicht sollte man Männer nicht ganz ausladen bei den Female-Only-Netzwerken: Ich kenne Männer, die sagen, sie seien Feministen, es gibt genug Typen, die einen unterstützen. Es gibt da wirklich ein Umdenken. Ich glaube, da kommt gerade Drive rein.
Cäthe Um noch mal einen anderen Blickwinkel auf die ganze Sache zu bekommen: Dieses Komm-wir-beschweren-uns-mal-Denken ist mir zu plump. Wir haben ’ne Menge auf dem Kasten, also lass uns nicht nur darüber reden und so unsere Energie vergeuden. Lass uns doch einfach unser Ding machen, wir brauchen die Musikindustrie dazu nicht.
Maike Rosa Vogel Aber man braucht halt schon Support aus der Musikindustrie. Vom Radio beispielsweise.
Balbina Ich habe kürzlich gehört, dass Radiomacher dazu angehalten werden, nicht zwei Songs hintereinander mit Frauengesang zu spielen. Diese Regel scheint es zu geben. Ich dachte so: Das kann nicht sein, das ist ein Skandal. Ich hoffe immer noch, dass das nicht stimmt.
Naima Husseini So etwas darf nicht länger sein. Das sind Sachen, die sich ändern müssen.
Maike Rosa Vogel Es ist ja auch in Filmen nachgewiesen, dass die Welt in den ­Fiktionen ungefähr so ist, als gäbe es nur 30 Prozent Frauen. Und wenn es 50:50 ist, haben viele das Gefühl, es seien zu viele Frauen.

Maike Rosa Vogel, 36 ist in Frankfurt/Main geboren und aufgewachsen, ihre Eltern machten sie mit linken Liedermachern vertraut. Sie spielte als Jugendliche in einer Punkband und studierte zwischen 2004 und 2008 an der Mannheimer Popakademie, 2008 erschien auch ihr Debüt „Golden“. Die Singer-Songwriterin veröffentlichte seither vier weitere Alben, zuletzt „Alles was ich will“ (2017). Sie lebt seit zehn Jahren in Berlin. Foto: Joe Dilworth

tip Was glauben Sie: Fehlt es insgesamt an weiblichen Role Models im Pop?
Cäthe In meinem Leben waren es nicht so viele Frauen, die mich angezogen und beeindruckt haben, gerade in der Musik waren das eher Typen. Und es gibt immer noch zu wenige weibliche Leitfiguren, die es einem vormachen und die einem zeigen, dass es geht und wie es geht.

tip Prädestiniert für eine solche Rolle wäre Annette Humpe, die wohl erfolgreichste deutsche Produzentin und Songwriterin. Gerade die geht aber wegen ihrer Bühnenangst kaum noch an die Öffentlichkeit. Fehlen die Vorbilder gerade in Deutschland?
Maike Rosa Vogel Dass sie sich als Frau dem Business so entziehen und trotzdem erfolgreich sein kann, macht sie in gewisser Weise auch schon zum Vorbild.
Naima Husseini Wir müssen ja inzwischen eher selbst die Vorbilder sein.

tip Gibt es denn E-Mails von Fans, die sagen, ich möchte jetzt auch Musikerin werden, weil ich dich live gesehen habe?
Alle Ja.
Cäthe Andere zu motivieren, ist großartig.

tip Was ist das für ein Gefühl, wenn man sich zum Teil selbst noch nicht gar stark genug fühlt, und dann aber schon Vorbild für andere sein soll?
Maike Rosa Vogel Das erleben wahrscheinlich viele Menschen in Vorreiter-­Situationen, zum Beispiel auch Migrantinnen, die starke Kunst machen und sich hier behaupten.
Balbina Ich sehe mich nicht als Vorbild, aber ich sehe meine Verantwortung, in ­diesem Prozess aktiv zu sein und mich zu beteiligen. Ich kann nicht abwarten und rumsitzen und hoffen, dass die anderen Frauen das schon regeln werden. Es ist wichtig, sich zu positionieren.
Maike Rosa Vogel Die größte Verant­wortung, die ich in dem Zusammenhang spüre, ist es, nicht länger zu sagen, es ist alles okay. Darüber zu reden, was mich stört. Viele Frauen in der Musikindustrie haben viel zu lange kollaboriert und sich arrangiert. Jetzt ist die Zeit, etwas zu sagen.

tip Aber welche Dinge fordern Sie konkret? Wie halten Sie es etwa mit der Quote im Radio, bei Festivals, in der Musikindustrie allgemein?
Naima Husseini Es sollte überall eine Quote geben. In allen Bereichen der Musik. Völlig klar. Es gibt genauso viele gute Künstlerinnen wie Künstler.

tip 45 Festivals in Europa und den USA haben sich kürzlich eine Selbstverpflichtung ­auferlegt, dass sie bis 2022 ein Geschlechterverhältnis von 50:50 haben wollen. Aus Deutschland nur das Pop-Kultur-Festival. Aber das sind Selbstverpflichtungen. Wie will man so eine Quote durchsetzen?
Maike Rosa Vogel Es ist doch cool, dass es überhaupt diesen Move gibt! Ich bin mal von einem Festival ausgeladen worden, das mich erst gebucht hatte, und dann sagte die Bookerin, es tue ihr leid, der Headliner sei auch schon eine Frau und ich könne leider nicht spielen. (allgemeines Gelächter) Aber gerade wird es immer uncooler, Sexist zu sein. Das ist der größte Erfolg der MeToo-Debatte. Wenn vor zehn Jahren Frauen ­Kritik am Musikautorenpreis der Gema geäußert hätten, wären die Frauen die Bösen gewesen. Heute werden sie ernst genommen. Da hat sich etwas gedreht.
Balbina Eine Quote sollte aber nur dazu dienen, Gleichberechtigung herzustellen. Es sollte Ziel sein, sie irgendwann wieder abzuschaffen. Denn man sollte nur Musik herausheben, die auch wirklich sehr interessant ist und etwas Neues schafft und nicht danach gehen, ob sie von Männlein, Weiblein oder Transgender gemacht wird.

tip Vor 20 Jahren haben wir darüber gesprochen, dass es in der Musik noch viel zu wenige Frauen gibt. Es ist ja offensichtlich, dass es sehr viel mehr Frauen gibt, die inzwischen Musik machen. Was bewirkt das?
Maike Rosa Vogel Es gibt überhaupt ein Bewusstsein für den Sexismus in der Musik! Gerade herrscht wirklich Aufbruchsstimmung.
Balbina Ich glaube auch, der Musikindustrie müsste man mal sagen: Leute, passt mal auf, dass ihr auf den richtigen Zug aufspringt. Wir werden immer stärker. Und wenn ihr nicht umdenkt, dann habt ihr in zehn Jahren echt schlechte Karten.
Cäthe Das hört sich an wie eine Drohung.
Balbina Das ist es auch. Ich finde es total wichtig zu sagen, dass hier keiner die Hosen an hat, sondern dass wir alle die Hosen anhaben. Wer jetzt nicht umdenkt, der wird in zehn Jahren nicht mehr mit uns arbeiten.

tip Die großen Plattenfirmen, die sogenannten Majors, haben ein massives Problem mit der digitalen Transformation. Ist der digitale Wandel eine Chance?
Balbina Es ist die Chance. Endlich ist diese Struktur zusammengebrochen! Spätestens, wenn Saturn und Media Markt die CDs aus dem Sortiment nehmen und nur noch Waschmaschinen verkaufen werden, können wir sagen, wir haben uns ein Live-Publikum erspielt. Und die können schauen, wo sie bleiben mit den Werbeprospekten, in denen sich Frauen den Wind in die Haare wehen lassen und sexy aussehen. Das ist passé.
Naima Husseini Es ist wirklich ein guter Zeitpunkt, nicht mehr die Klappe zu halten, weil wir so wenig zu verlieren haben. Das Major-Business ist eh dabei, zu kollabieren – und damit die Illusion vom großen Durchbruch. Dadurch wird es immer unattraktiver, auch in finanzieller Hinsicht, sich dem Mainstream anzupassen. So wird der künstlerische Ausdruck stärker.

tip Haben Sie den Eindruck, dass Berlin für Frauen im Pop ein besserer Standort ist als andere Städte?
Maike Rosa Vogel Dass es das Musicboard gibt und dass es von einer Frau geführt wird, macht einen Unterschied. Und Berlin ist generell freier als der Rest der Republik.
Cäthe Zumindest gibt die Stadt einem das Gefühl, und das ist schon mal nicht verkehrt.
Maike Rosa Vogel Ich hatte nie Probleme aufzutreten und Leute zu finden, die Bock auf meine Musik haben. In anderen Städten ist das schwieriger, aber das ist für Männer genauso.
Nun ändert sich Berlin ja gerade vehement. Werden dadurch diese Freiräume weniger?
Naima Husseini Die Proberaum-Situation ist schwieriger geworden. Ich hatte einen Kellerraum, den ich gekündigt habe, weil ich einen Tagesproberaum haben wollte. Hätte ich das mal nicht gemacht! Das ist jetzt zweieinhalb Jahre her, und ich habe immer noch keinen neuen Raum.
Balbina Für Kunstschaffende und Leute mit nicht so hohem Einkommen wird es immer schwerer, hier zu wohnen. Auch ich bin von der Gentrifizierung betroffen. Ganz reiche Leute haben meine Wohnung gekauft und gesagt, jetzt kannst Du deine Sache packen und abhauen. Das sind gesamtpolitische Entwicklungen, die wir verfehlter Stadtentwicklungspolitik zu verdanken haben. Für die Kultur in der Stadt ist das kein gutes Zeichen.

tip Vielleicht blicken wir zum Abschluss noch voraus: Wo sehen Sie sich und das Thema Sexismus im Pop in fünf Jahren?
Maike Rosa Vogel Es wird besser sein, aber man wird ganz sicher noch darüber reden.
Naima Husseini Wie schon gesagt, es ist gerade etwas in Bewegung. Gerade erzählte mir ein Freund, er wolle einen Verlag gründen, für den er explizit nach Frauen sucht, die interessante Kunst machen. Von der Businessseite wird so etwas also auch stärker nachgefragt.
Maike Rosa Vogel Ich erlebe das auch öfter, dass Frauen in der Kunst wahrgenommen und gehört werden. Ich bin wirklich optimistisch.

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