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Platten im Test

Alben der Woche: Vergessene Disco-Schätze, Erinnerungen an Dylan – und Beyoncé mit mehr Elektronik

Soko singt uns eine neue Gay-Hymne, dunklen, Jehnny Beth widmet sich auch solo den dunklen, hallenden Spielarten der Musik, wenngleich mit neuem Einschlag. Und die radikalste Liedermacherin dieses Landes findet zu einer neuen Üppigkeit. Wir haben für euch neue Alben der Woche gehört – damit ihr wisst, welcher Soundtrack der Woche euer werden kann.


Soko: „Feel Feelings“ (Because Music/Caroline)

Feel Feelings

Shoega Dass die französische New Yorkerin den Soundmischer Chris Coady (Slowdive, Beach House) engagiert hat, spricht für sich: Die-
se Platte soll schlurfig- verträumt, aber dabei nicht lo-fi klingen, sondern nach großem Klangküstentrip. Und sie tut es auch ganz wunderbar. Mit der Gay-Hymne „Oh To Be A Rainbow“ lässt es sich in der Queer-Pride-Season zu fruchtigen Cocktails chillen. Soko intoniert soulig-lasziv und sie ist ganz klar eine der Großen der Gegenwart. (Stefan Hochgesand)


Jehnny Beth: „To Love Is To Live“ (Caroline/Universal)

Pop Noir Gemeinsam mit ihrer Band Savages hatte Jehnny Beth die Superkraft, Postpunk-Stücke dringlich und wuchtig klingen zu lassen – und so vage, als hingen sie wie Fragezeichen in der Luft. Auf ihrem ersten Soloalbum widmet sie sich weiterhin den dunklen, hallenden Spielarten, nun allerdings Darkwave-Einflüssen. Beths Sound und Performance sind so körperlich, dass es einem manchmal fast ein wenig zu viel der Intimität wird. Aber nur fast, und nur ein wenig. (Julia Lorenz)


Maike Rosa Vogel: „Eine Wirklichkeit“ (www.maikerosavogel.com)

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Songwriterin Maike Rosa Vogel ist immer noch die radikalste Liedermacherin dieses Landes, sie scheißt immer noch auf den Reim, aber singt dafür so grundsätzlich von Gefühlen wie es sonst niemand wagt, sie erzählt von ihren Kindern, vom Glück und von Depressionen, von Moral, Umweltschutz und von Philosophen, die auch nicht alles wissen. Was neu ist: Die Berlinerin findet neben der Gitarre zu einer Üppigkeit: Trompete, Schifferklavier und sogar elek­tronische Beats. Groß. (Thomas Winkler)


Various Artists: „The Ladies of Too Slow To Disco, Vol. 2“ (How Do You Are?/Rough Trade)

Yachtrock-Disco Wer kennt Franne Golde? Sie hat Songs für Whitney Houston und für Cher geschrieben, hat mit Björk an Texten gearbeitet. Ihre ­eigenen drei Alben Ende der 1970er gingen aber völlig unter. Solche Super-Geheimtipp-Schätze birgt der Berliner DJ Supermarkt auf seiner fantastischen Disco-Compilation-Serie aus dem Ozean des Vergessens. So auch die Gosple-nahe schwarze Sängerin Linda Tillery, die auf einem lesbisch-feministischen Label erschien. (Stefan Hochgesand)


Adrian Younge & Ali Shaheed Muhammad: „Roy Ayvers JID 002“ ((Jazz Is Dead/Groove Attack)

Soul-Jazz In welchem Zeitalter befinden wir uns? In den 70ern, der goldenen Ära des Soul? In den 90ern, als der HipHop seine Jazz-Wurzeln entdeckte? In der Zukunft, aus der futuristische Geräusche quer durch die Musik fahren? Roy Ayers ist 79 Jahre alt, aber die Vibraphon-­Legende ist fit genug, auch bei der zweiten Kooperation mit DJ Ali Shaheed Muhammad (Ex-A Tribe Called Quest) und Adrian Younge auf der Höhe der Zeit und trotzdem zeitlos zu klingen. (Thomas Winkler)


Run The Jewels: „RTJ4“ (BMG/Warner)

HipHop Wäre das vierte Album des Duos Run The Jewels auch nur ein bisschen weniger als phänomenal, es würde unter der Last zusammenbrechen, die man ihm seit Veröffentlichung auf die Schultern schaufelt: Mit der Zeile „I Can’t Breathe“ qualifizieren Killer Mike und El-P „RTJ 4“ zum Soundtrack der Black-Lives-Matter-Proteste. Sie verbinden Oldschool-HipHop auf Höhe der Zeit mit Lyrics, die mit grimmigem Witz von Rassismus und dem täglichen Hustle erzählen. (Julia Lorenz)


Katie von Schleicher: „Consummation“ (Full Time Hobby/Rough Tradel)

Indie Katie von Schleicher macht große, kleine Alben für Menschen, die gewillt sind, in ihrem Sound nicht nur schlechtgelaunten Twee-Pop zu sehen – sondern auch das Dunkle, Verdrehte, Versehrte in ihren Lyrics über menschliche Abgründe. Diesmal klingt sie erneut wie eine Seelen­verwandte der ähnlich verschrobenen und einst ebenso schrammelverliebten Cate Le Bon, lässt ihre schöne Stimme aber auch in (dann doch!) oh-so-sonnigen Songs in lichtere Sphären abheben. (Julia Lorenz)


Denai Moore: „Modern Dread“ (Because Music/Caroline)

Future-R&B Dieses ­Album ist was für Leute, die Beyoncé lieben, aber es auch gern noch zwei Spuren elektronischer haben. Die jamaikanisch-britische Sängerin Denai Moore singt sommerfrisch-erbau­lich darüber, toxischen Beziehungen ein Ende zu setzen. Aber sie weiß auch, dass das gar nicht so leicht ist – und Abhängigkeiten einen so perfide hadern lassen. Stimmlich zeigt sie Verletzlichkeit, versteckt sich nicht hinter Effektgeballer. Und die Beats sind echt nix von der Stange. (Stefan Hochgesand)


Tré Burt: „Caught It From The Rye“ (Oh Boy/Membran)

Folk Man soll ja mit Vergleiche vorsichtig sein, aber Tré Burt, seine schartige Stimme, die ­klapprige Akustikgitarre und die zahnschmerzende Mundharmonika klingen mehr nach Dylan als der Meister selbst inzwischen. Das ­Debüt des Songwriters aus Sacramento ist zwei Jahre alt, wird jetzt aber unter größerem Label veröffentlicht – zu Recht: Burt ist kein profaner Dylan-Wiedergänger, seine Texte sind sicher noch nicht so brillant, aber die Dringlichkeit, die ist die alte. (Thomas Winkler)


Céu: „APKÁ“ (Six Degrees Records)

Brasilectro Nichts Gutes hört man derzeit aus Brasilien, Amazonien brennt, ­Corona tobt, Bolsonaro spottet drüber. Céu immerhin lässt mit ihrem neuen Werk was Gutes hören. „APKÁ“ macht mit seinem aufregenden Mix aus Bossa, Soul und Elektro nahtlos dort weiter, wo sie 2016 mit „Tropix“ aufgehört hat, klar, es ist dasselbe Team. Inhaltlich aber geht es um Mutterschaft, weibliche Stärken und Schwarze Homoliebe. Ein klares Contra zu Bolsonaros homophoben Macho-Rechtspopulismus. (Friedhelm Teicke)


Naeem: „Startisha“ (37d03d Records/Cargo)

Post-HipHop Kein Geringerer als Avant-Folk-­Superstar Bon Iver hat ihm einen Song gewidmet – nachdem sich die beiden in Berlin kennengelernt hatten. Wenn’s so weit kommt, hat man’s wohl gepackt. Naeem erzählt in seinen Klangwelten, die weit über Hip Hop bis zu Wave ­hinausreichen, über ­queere Erfahrungen, der viel mehr mit dem schwulen Drogen- Drama „Moonlight“ gemein haben als mit dem fabelhaften Pfirsichgarten aus „Call Me By Your Name“. Sehr hörenswert. (Stefan Hochgesand)


Bis wir Musik auch wieder so richtig live erleben können, wird es wohl noch eine Weile dauern. Auch deshalb haben nun Kulturschaffende eine neue Initiative gegründet – „One Berlin“. Auch in den Clubs der Stadt treten derzeit keine Musiker*innen auf – dafür gibt es neue Konzepte in Zeiten der Krise. Ganz die Hoffnung aufgeben wollen wir aber noch nicht. 2020 sind durchaus noch einige tolle Shows geplant. Und wenn es wider Erwarten doch so gar nicht mehr wird – diese Konzerte sollten uns 2021 Freude bereiten. Alle Alben der Woche zum Weghören auf Spotify:

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