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Reportage

Corona-Krise: Obdachlose, unsichtbar und besonders betroffen

Obdachlose sind von der Corona-Krise besonders betroffen. Die meisten müssen sich den ganzen Tag draußen aufhalten und schwächen damit ihre Immunsystem. Kaum eine*r kann sich Desinfektionsmittel leisten. Außerdem sind sie jetzt nahezu unsichtbar. Deswegen hat Sozialsenatorin Elke Breitenbach nun Maßnahmen ergriffen. Und auch in der Bevölkerung regt sich Solidarität mit den Menschen am Rande der Gesellschaft. Aber was, wenn Obdachlose positiv auf das Virus getestet werden?

Wie gehen Obdachlose mit der Corona-Krise um und was tut die Stadt? Foto: Xenia Balzereit
Die Mitarbeiter*innen der Stadtmission geben Lebensmittel nur noch durchs Fenster heraus. Foto: Xenia Balzereit

Etwa 30 obdachlose Menschen stehen in Grüppchen in der Jebensstraße. Sie unterhalten sich, helfen sich mit Zigarettenblättchen aus, nur wenige haben eine Bierflasche in der Hand. Etwas abseits steht Jan (36). Er hat die Kapuze tief ins Gesicht gezogen und trägt eine Sonnenbrille, wegen seiner Migräne. Vor einiger Zeit ist er aus Hamburg nach Berlin gekommen. Gleich will er sich bei der Bahnhofsmission ein Essenspaket mit Brötchen, Obst und Riegeln holen. 

Die Türen der Stadtmission am Bahnhof Zoo sind dieser Tage geschlossen, um den Haupteingang hat die Polizei eine rote, gestrichelte Linie gesprüht: Diesen Bereich darf niemand betreten. Dafür sind zwei Fenster neben dem Haupteingang geöffnet, aus dem einen reicht eine Mitarbeiterin Tee, aus dem anderen werden Essenspakete ausgegeben. “Gibt’s noch eins mit Salami?” fragt ein Mann mit Bart und blauer Jacke. 

Die Stadtmission versucht, auch zur Corona-Krise obdachlose und arme Menschen bestmöglich zu versorgen. Obdachlose gehören zur Gruppe der am meisten Gefährdeten: Sie können sich nicht in die eigene Wohnung zurückziehen und haben kaum Möglichkeiten, sich die Hände zu waschen. In den Notunterkünften kommen sie mit zahlreichen anderen Menschen in Kontakt, auch wenn die Träger versuchen, die Situation zu entzerren, indem sie zum Beispiel Seminarräume in Übernachtungszimmer verwandeln. Außerdem leiden Menschen, die auf der Straße leben, oft unter Vorerkrankungen. 

Corona-Krise: Noch kein Fall unter Obdachlosen

Außerdem müssen sie jetzt noch mehr Zeit draußen verbringen als, zuvor: Die Aufenthaltsräume der Stadtmission sind geschlossen, weil dort die Auflagen der Landes- und Bundesregierung nicht eingehalten werden können. Doch der Senat hat schnell gehandelt. Mitarbeiter*innen der Stadt und der sozialen Träger bereiten eine Jugendherberge in der Kluckstraße in Mitte so vor, dass 200 Menschen dort schlafen und auch tagsüber unterkommen können. Die Unterkunft soll Sozialsenatorin Elke Breitenbach zu Folge rund um die Uhr geöffnet sein und zu jeder Zeit von einem Sicherheitsdienst überwacht werden.

In der Storkower Straße in Pankow bietet die Stadt obdachlosen Menschen ein ähnliches Angebot. Auch hier können die Bedürftigen den ganzen Tag lang bleiben. Senatorin Breitenbach sagt zum Beschluss: „Wir brauchen auch für die Obdachlosen in dieser Stadt einen sozialen Rettungsschirm, das heißt konkret: dauerhafte Plätze in Zimmern, hauptamtliche Sozialarbeitende, medizinische und psychologische Beratung. Die schon prekäre Lebenssituation obdachloser Menschen hat sich in den vergangenen Wochen weiter zugespitzt. Wir können die Obdachlosen in dieser Situation nicht einfach auf der Straße lassen.“ Noch ist kein Corona-Fall unter Obdachlosen bekannt.  

Wie gehen Obdachlose mit der Corona-Krise um und was tut die Stadt? Foto: Xenia Balzereit
Die Mitarbeiter*innen der Stadtmission geben Lebensmittel nur noch durchs Fenster heraus. Foto: Xenia Balzereit

Corona-Krise: Essen gibt es nur noch aus dem Fenster

Trotzdem erschüttert die Krise die sozialen Netzwerke und Träger in ihrer Arbeit. Ob die Maßnahmen von Sozialsenatorin reichen und ob sie wirklich so umgesetzt werden, wird sich zeigen. Die Arbeit der regulären Anlaufstellen für Bedürftige jedenfalls hat sich grundlegend geändert. “Reinlassen können wir hier seit letzter Woche niemanden mehr”, sagt Wilhelm Nadolny, der Leiter der Bahnhofsmission am Zoo. “Um uns selbst zu schützen, aber vor allem, um die Bedürftigen selbst zu schützen.”

Jeden Tag von sechs bis sieben, 14 bis 18 und 22 bis 0 Uhr sind die Mitarbeiter*innen an den Fenstern der Bahnhofsmission für obdachlose Menschen da. Im Hygiene-Center können sie sich waschen und auch die Duschen sind weiterhin offen – allerdings immer nur für eine Person, statt für vier gleichzeitig. Nach jeder Benutzung reinigt und desinfiziert das Personal den Duschraum. 

“Gerade jetzt, wo die Aufenthaltsräume geschlossen sind, ist die Dusche für viele die einzige Möglichkeit am Tag, um sich einmal richtig aufzuwärmen”, sagt Nadolny. “Wir können nur versuchen, die Leute irgendwie mit warmen Getränken durch den Tag zu bringen. Abends geben wir ihnen dann einen Schlafsack mit.” 

Denn nicht jede*r Obdachlose möchte die Nacht in einer Notunterkunft verbringen. Es ist eng und laut, Alkohol und Drogen sind in allen Unterkünften verboten, Hunde in vielen, und Menschen klauen ihren Leidensgenoss*innen den Tabak, die Schuhe, die Socken. Hinzu kommt: Nach dem Abendessen sollen sich alle zurückziehen, im Raucherraum Karten zu spielen ist zum Beispiel nicht mehr drin.  

Corona-Krise: Die Faust statt die Hand geben

Jan hält sich an diese Regeln. Trotzdem klappt es nicht immer mit den 1,5 Metern Abstand. “Wenn ich zum Beispiel am Aschenbecher stehe, stehen da ja auch andere Leute drumrum”, sagt er. Angst hat Jan nicht so sehr, vorsichtiger als sonst ist er trotzdem. “Wenn ich Leute begrüße, gebe ich denen nicht mehr die Hand. Nur einen Check mit der Faust”, sagt er. “Und wenn ich in den Ulrich gehe, mache ich mir vorher die Hände mit diesen Hygientüchern sauber und versuche, möglichst weit weg von den anderen Menschen zu stehen.” 

Wilhelm Nadolny hat gleich Feierabend. Gerade steht er draußen und unterhält sich mit einem Besucher der Stadtmission, den er schon länger kennt. “Hier gibt es Leute, die das alles auf die leichte Schulter nehmen und finden, dass das alles übertrieben ist. Genauso gibt es welche, die verunsichert sind und andere sind total verständnisvoll, wenn es um die Einschränkungen geht.” sagt er. “Wir haben hier das gesamte Spektrum, wie in der restlichen Gesellschaft auch.”  

Wie gehen Obdachlose mit der Corona-Krise um und was tut die Stadt? Foto: Xenia Balzereit
Man sieht Wilhelm Nadolny an, dass er seinen Job gern macht. Foto: Xenia Balzereit

Man sieht Nadolny an, dass er seinen Job gern macht. Und dass es ihm weh tut, zu sehen, was die Krise mit denen macht, die es eh schon sehr schwer haben. Auch, weil es nun viel weniger Menschen auf den Straßen sind, die Bedürftigen etwas spenden oder ihre Straßenzeitungen kaufen. “Wir versuchen, all unsere Angebote so lange wie möglich und so gut wie möglich aufrecht zu erhalten”, sagt er. “Aber es würde viel helfen, wenn die Menschen bereit wären, in diesen Tagen dem Obdachlosen, der vor’m Aldi bettelt, vielleicht 2 Euro statt 20 Cent zu geben.”

Corona-Krise: Weniger Menschen aber größere Spendensummen für Obdachlose

Laut Mario tun das bereits viele Menschen. Mario steht an einem Mülleimer in der Jebensstraße und sieht nach, ob Pfandflaschen darin sind. Auf dem Kopf trägt er eine grüne Wollmütze, er spricht mit breitem bayerischen Akzent und hat einen Einkaufswagen mit all seinen Habseligkeiten dabei. “Pfandflaschen finde ich im Moment noch genug”, sagt er. “Und manche Menschen sind echt großzügig. Es gibt welche, die geben jetzt fünf, zehn, zwanzig Euro.” 

Außerdem denken einige Berliner*innen auch an obdachlose Menschen, wenn sie ihnen nicht zufällig am Supermarkt begegnen. Bereits in mehreren Bezirken, unter anderem in Friedrichshain, Prenzlauer Berg und Neukölln haben Bürger*innen sogenannte Gabenzäune mit Nahrungsmitteln, Kleidung oder Desinfektionsmittel eingerichtet. Die Aktion richtet sich explizit an Obdachlose und andere Bedürftige.

Obdachlose trifft die Corona-Krise besonders hart. Aber die Berliner*innen zeigen Solidarität wie hier mit einem Gabenzaun in Friedrichshain. Foto: Anne Liedtke
Gabenzaun am Wismarplatz in Friedrichshain. Foto: Anne Liedtke

Corona-Krise: Unsichtbar im Alltag

Trotzdem: Meist sind obdachlose Menschen auf die zurückgelassenen Pfandflaschen und das Geld von Passant*innen angewiesen. Und davon sind immer weniger unterwegs – das ist gut für den Kampf gegen das Virus aber kurzfristig schlecht für die Bedürftigen. Außerdem ist es schwieriger, die Menschen seelisch zu unterstützen. “Normalerweise klopfen wir unseren Gästen mal auf die Schulter oder geben ihnen die Hand. Das geht jetzt natürlich nicht mehr.” sagt Nadolny. Genauso hätten die Menschen in den U-Bahnen und auf der Straße logischerweise noch mehr Berührungsängste als sonst. 

“Aus gesundheitlicher Sicht ist das selbstverständlich richtig. Aber für Menschen, die auch im normalen Alltag oft ignoriert oder schlicht nicht gesehen werden, ist es trotzdem schlimm, wenn sie jetzt verstärkt ignoriert werden”, sagt Nadolny. Jan, der Hamburger mit Sonnenbrille, ist im Moment noch guter Dinge. “Aber ich hoffe mal, dass das alles nicht noch Monate so weitergeht”, sagt er. 

Das aber ist nicht ausgeschlossen, es ist sogar wahrscheinlich. Und je weiter sich das Virus ausbreitet, desto wahrscheinlicher ist es, dass sich auch Obdachlose infizieren. Die Unterkünften für Menschen ohne Wohnung in Mitte und Pankow sind ein wichtiger Schritt, weil sie sich dort auch tagsüber zurückziehen können. Ob sie dort auch unterkommen können, wenn sie in Quarantäne müssen, ist eine andere Frage.


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