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Öffnung der Kitas in Berlin: Neue Auflagen, alte Probleme

In großen Schritten zur Normalität: Ab dem 22. Juni soll in Berliner Kitas wieder Normalbetrieb herrschen. Die Öffnung der Kitas in Berlin bedeutet für tausende Kinder und Eltern eine Erleichterung ihres Alltags. Für Kita-Leitungen und Erzieher*innen hingegen werden alte Probleme sichtbarer denn je: Überforderung und Personalmangel belasten eine Branche, die systemrelevanter kaum sein könnte.


Die Kitas in Berlin stehen vor der Öffnung. Dies stellt viele Einrichtungen vor neue Herausforderungen.
Jedes Jahr für mehr Lohn streiken: Kita-Demonstration 2018 vor dem Brandenburger Tor. Foto: imago images/Wagner

Wenn sich Elisabeth Wennige zurzeit morgens auf den Weg zur Arbeit macht, freut sie sich. Das ist nicht selbstverständlich. Zwar liebt sie ihren Job. Als Kita-Leitung der Teilzeit-Kita Niemöllerhaus in Dahlem ist sie es aber gewohnt, unter Stress zu arbeiten, die Personalfrage zu stellen. Und ihre Zeit einteilen zu müssen, um jedem Kind gerecht zu werden. Was am Ende trotzdem nur selten klappt.

Die Corona-Krise hat Entschleunigung in die kleine, gemütliche Kita in Berlins Südwesten gebracht. Zusammen mit einer anderen jungen Erzieherin betreut Wennige zurzeit eine gute Handvoll Kinder. Die beiden haben mehr Zeit und merken wieder, was sie an ihrem Job so lieben. Die Ruhe überträgt sich auch auf die Kinder. Es herrscht mehr Harmonie als sonst. Und beim Spielen ergeben sich ganz neue Konstellationen.

Das Problem des Personalmangels wird durch Corona verschärft

Mit 60 Jahren gehört Wennige selbst zur Risikogruppe. Aber würde sie selbst nicht arbeiten kommen, gäbe es kein Team mehr. Zwei weitere Mitarbeiterinnen der Kita sind Risikopatientinnen und fallen wegen Corona auf unbestimmte Zeit aus. Und bei Regelbetrieb müssten rund 20 Kinder täglich zwischen acht Uhr und halb drei betreut werden. Für eine einzelne Erzieherin ist das nicht schaffbar.

Zurzeit sprechen sich die Eltern noch ab und schicken die Kinder gestaffelt in die Kita Niemöllerhaus. Doch je näher der 22. Juni rückt, desto mehr Sorgen macht sich Wennige: „Der Senat sagt zwar, wir sollen jetzt alle Kinder wieder aufnehmen. Aber wir haben nur die Hälfte der Personalkraft. Zudem wollte der Senat, dass wir jetzt nach der Krise unsere Schließzeit im Sommer verkürzen. Hier arbeiten Menschen mit Urlaubsanspruch. Wenn sie ihren Urlaub nicht jetzt im Sommer nehmen können, wann dann?“

Wenige Eltern schickten ihre Kinder während der Corona-Krise in die Notbetreuung in die Dahlemer Kita. Hätte Wennige jedoch während dieser Zeit personelle Unterstützung gebraucht, es wäre ihr seitens des Senats gestattet gewesen, Quereinsteiger ohne Vorlage ihres polizeilichen Führungszeugnisses zu beschäftigen. „Das war purer Irrsinn! Ich hätte hier nie einfach irgendjemanden reingeholt. Und ich kenne auch keine*n Kolleg*in, die das gemacht hätte.“

Wennige hatte noch Glück im Unglück: Bald kommt wahrscheinlich eine neue gelernte Erzieherin zur Unterstützung ins Team. Bis dahin heißt es abwarten, jeden Tag nehmen, wie er kommt, und die Hygiene-Auflagen einhalten. Die Erzieherinnen dokumentieren täglich, wer die Kita betritt und verlässt, wer die Kinder bringt und abholt. Zudem wird regelmäßig stoßgelüftet und desinfiziert. Die Eltern selbst kommen mit Maske und warten nur draußen, sie dürfen nicht in’s Kita-Gebäude. Auch das ist für Wennige und ihr Ein-Mann-Team zurzeit noch eine Erleichterung: „So können wir uns voll uns ganz auf die Kinder konzentrieren.“

Öffnung der Kitas in Berlin: Größere Einrichtungen stehen vor dem Chaos

Während der Personalmangel schon in kleineren Kitas zu Problemen führt, stehen größere Kitas wie die Kita Sonnenblume in Wedding mit der Wiederaufnahme des Regelbetriebs vor dem Chaos. Die multikulturelle Kita bietet bis zu 130 Kindern zwischen im Alter zwischen einem und sechs Jahren Platz. Zurzeit betreuen Kita-Leiterin Belgin Fidan und ihr 14-köpfiges Team gut 70 Kinder. Kommende Woche sollen 80 Kinder kommen. Vier Kolleginnen fallen wegen Corona aus.

Wegen der Größe der Gruppe ist es für Fidan und ihre Kolleg*innen weitaus schwieriger zu dokumentieren, wer bringt und wer abholt, daneben noch die Hygiene-Auflagen zu beachten und ihren Job richtig zu machen.

„Wir haben nach Senatsauflagen ein System entwickelt, dass Eltern, die systemrelevante Berufe ausüben, ihre Kinder neun Stunden in die Betreuung geben können. Die restlichen Kinder können für vier Stunden kommen. Das hat diese Woche noch ganz gut funktioniert. Nächste Woche werden wir es wohl auch noch schaffen. Den Regelbetrieb mit den bestehenden Auflagen zu stemmen wird aber kaum funktionieren. Das Personal reicht einfach nicht aus, um täglich insgesamt elf Stunden zu öffnen.“ Zudem könne man die Kinder unterschiedlicher Altersgruppen im Haus nicht wie gewohnt mischen, um die Früh-/Spätdienste abzudecken, erzählt Fidan. Die Nachverfolgung von Infektionsketten sei dann nicht mehr möglich.

Durch die Corona-Krise verschärfen sich in allen Kitas Probleme, die schon vorher alles andere als unerheblich waren: Unter Fidans Kolleg*innen gibt es jetzt bereits sieben Quereinsteiger*innen. Zum Glück sind diese schon länger im Team und kennen die Abäufe. Die Angst, dass weitere Kolleg*innen ausfallen könnten, bereitet der Kita-Leiterin jedoch täglich Kopfschmerzen: „Wie soll ich Ersatz-Personal in diesem Chaos hier einarbeiten?“ Emotional belastend für das gesamte Personal sei auch, dass seitens Senat keine Schutzausrüstung für die Erzieher zur Verfügung gestellt worden sei.

Dankes-Prämie vom Berliner Senat: Der Wunsch nach mehr Anerkennung ist groß

Die Kitas in Berlin stehen nun wieder vor der Öffnung: Das bringt auch Probleme mit sich.
Hygiene-Auflagen und Personalmangel: Größere Berliner Kitas stehen vor der Wiederaufnahme des Regelbetriebs vor dem Chaos. Foto: imago images / Rolf Zöllner

Seit der Kita-Schließung Mitte März haben Berliner Kitas 16 Auflagen vom Senat erhalten, denen sie in ihrer täglichen Arbeit nachkommen mussten. Diese seien zum Teil so schwammig formuliert gewesen, dass sie zu hitzigen Diskussionen innerhalb des Teams geführt hätten, erzählt Fidan. Die sich ständig ändernden Auflagen hatten „das ganze Team verrückt gemacht“.

Die Kita-Leiterin hofft, dass die vom Senat festgelegte Dankes-Prämie von 1000 Euro für besonderen Einsatz während der Corona-Krise nicht nur an Mitarbeiter*innen der Eigenbetriebe des Berliner Senats gezahlt wird. Sie wünscht sich endlich mehr Anerkennung für sich und ihr Team, und dass die Kitas wie ihre, von Freien Trägern, gleich vergütet werden die jene vom Senat.

Berliner Senat: „Es gibt keine ‚Risikogruppe‘ als solche“

Fidans Befürchtung wird von der Pressesprecherin des Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie, Iris Brennberger, entkräftet: Die Dankes-Prämie sei nicht nur für die Fachkräfte der Eigenbetriebskitas vorgesehen, sondern für alle Fachkräfte, die in der Notbetreuung gearbeitet hätten.

Darüber hinaus sei „die große Systemrelevanz des Berufs offenkundig“, so Brennberger. Aus diesem Grund seien die Berliner Kitas auch während der gesamten Corona-Zeit weiter voll finanziert worden. Dies habe ermöglicht, dass Erzieher*innen nicht in Kurzarbeit gehen mussten, auch wenn sie nicht in der Notbetreuung eingesetzt wurden.  

Zum Problem des Personalmangels, der durch Erzieher*innen, die der Corona-Risikogruppe angehören, entsteht, schreibt die Pressesprecherin: Man müsse nun sehen, welche Personalengpässe bestehen und wie viele Personen längere Zeit nicht einsetzbar seien. Laut dem Robert-Koch-Institut gebe es keine „Risikogruppe“ als solche. Das Risiko müsse individuell festgestellt werden.

Zur Personal-Kompensation hätten Kitas aufgrund der Corona-Ausnahmezeit die Möglichkeit, Nicht-Fachkräfte, aber Personen mit pädagogischer Vorkenntnis einzusetzen. Ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis müsse vorgelegt werden.

Mit der Öffnung der Kitas in Berlin wird es für hiesige Erzieher*innen also erstmal wieder zurück gehen zur „Normalität“: mit neuen Auflagen und alten Problemen. Wie wichtig der Erzieherberuf ist, sei während der Corona-Krise jawohl deutlich geworden, sagt Kita-Leiterin Fidan. „Wir wollen nicht weiterhin jedes Jahr wegen einer Gehaltserhöhung streiken.“


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