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Peking ist das Berlin Ost­asiens

Der Schriftsteller Christian Y. Schmidt ist von Berlin nach Peking, China, ausgewandert – viel verändert hat sich für ihn nicht

Als ich 2005 von Singapur nach Peking zog, glaubte ich, ich sei zumindest wieder halb nach Berlin zurückgekehrt. Das lag erst einmal an den Pekingern: Sie sind nicht nur ähnlich schlagfertig und humorvoll wie die Berliner, sondern auch ebenso raubeinig und renitent, jedenfalls im Vergleich zu den gesitteteren Südchinesen. Manche behaupten sogar, die Pekinger seien die einzigen Chinesen, die Ironie verstünden, aber da fehlen mir noch ein paar Feldstudien in anderen chinesischen Regionen, um das zu bestätigen. 

Die letzte Currywurstbude in Peking musste 2016 schließen, die Szene-Nischen verschwinden. Foto: Christian Y. Schmidt

Zum Berlin-Gefühl trugen dann auch die Pekinger Clubs bei, in denen ich sehr bald verkehrte, und die sich kaum von ­denen unterschieden, in denen ich in Berlin zu Hause war – Maria am Ostbahnhof, Junction Bar oder Cookies zum Beispiel. Erstaunlich war das nicht, war doch zum Beispiel das Yugong Yishan von Lue Zhiqiang und seiner deutschen Frau Doro mit dem Vorsatz gegründet worden, einen Berliner Club nach Peking zu exportieren.

Überhaupt kam mir damals die Pekinger Szene sehr berlinerisch vor. Ein Grund ist sicherlich, dass auch in China die Maler, Rock- und Popmusiker, Filme- und Theatermacher vorzugsweise in die Hauptstadt ziehen. Zum anderen ist der Austausch zwischen der Berliner und der Pekinger Szene recht lebendig. Ich kenne eine ganze Reihe Berliner Künstler, Modedesignerinnen, Musiker, Malerinnen, DJs und Kuratoren, die sich entweder in Peking niedergelassen haben oder zwischen den beiden Städten hin- und herpendeln – in beiden gab es bis vor kurzem noch große günstige ­Ateliers. Umgekehrt leben inzwischen nicht wenige ­chinesische Künstler in der deutschen Hauptstadt. Auch Yugong-Yishan-Gründer Lue Zhiqiang hatte ein paar Jahre in Schöneberg gewohnt, in einer WG mit Kurt Krömer. Dass Ai Weiwei auf der Suche nach einem Zweitwohnsitz ausgerechnet Berlin wählte, ist also nicht so ungewöhnlich für einen Pekinger Künstler. Auch wegen dieser chinesischen Exilanten in Berlin kann man hier inzwischen vernünftig ­chinesisch essen. Umgekehrt geht das in Peking mit deutschem Essen auch. Currywurst wird in „Schindler’s Tankstelle“ serviert, die von Steffen Schindler (Ex-Ostberlin) betrieben wird, einst der letzte Militärattaché an der DDR-Botschaft in Peking. Selbst an der Etablierung echter Currywurst­buden hat man sich in Peking versucht. Das allerdings ging nie ­lange gut. Die letzte Bude verschwand im Barviertel Sanlitun ­irgendwann im Laufe des Jahres 2016.

Feiern nach Berliner Art im Club Yugong Yishan. Foto: Christian Y. Schmidt

Seit diesem Jahr, so zumindest mein Eindruck, geht der Austausch zwischen Berlin und Peking zurück. Ein wichtiger Grund: Die Lebenshaltungskosten in beiden Städten haben sich in den letzten Jahren dramatisch erhöht, in Peking noch extremer als in Berlin. Gleichzeitig verschwinden in beiden Städten die Szene-Nischen; das Yugong Yishan zum Beispiel gibt es seit dem Frühjahr 2018 nicht mehr. Dabei wird in ­Peking die Stadt von der Stadtregierung aufgeräumt; in Berlin fallen die Nischen der Spekulation zum Opfer. Interessanterweise führt diese Entwicklung nicht dazu, dass sich die beiden Städte wieder deutlicher unterscheiden. Sie gleichen sich vielmehr weiter an, indem sie sauberer, glatter werden – und deutlich langweiliger. 

Text: Christian Y. Schmidt

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