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Jäger und Sammler

Pilze, Wildschwein, Reh. Einige Bemerkungen zu einer naturnahen Herbstküche

Der Herbst hat viele Farben: Pilz-Ernte in den Müggelbergen, nach der Wildschwein-Jagd im Fläming

Am nachhaltigsten sind noch immer Lebensmittel, die gar nicht erst angebaut oder aufgezogen werden müssen. Passend zur Jahreszeit und zur aktuellen gesellschaftlichen Debatte ist unsere Redaktion deshalb im Wald
verschwunden.

Foto: F. Anthea Schaap

Zugegeben, in diesen Tagen liegt eine solche Küche nahe.  Der Oktober  bringt verlässlich den Wald auf den Tisch. Pfifferlingssuppe allenthalben, die feinen Restaurants wagen ein Filet vom Reh. Und die rustikal-handwerkliche Küche ein Ragout vom Wildschwein. Wobei jenes im Goldenen Hahn in der Kreuzberger Pücklerstraße unser verlässlich liebstes ist. Warum wir unser Plädoyer für die Speisen aus dem Wald gerade jetzt formulieren?  Weil viel dafür spricht, seine Nahrung wie vor Jahrtausenden in der Natur zu finden. Dinge, die einfach (auf-)gewachsen sind. Und damit zum Beispiel: klimaneutral. Überhaupt sollten wir uns ja wieder intensiver mit unserem Essen beschäftigen.  Nun muss nicht jede*r gleich einen Jagdschein machen, aber in die Pilze schicken wollen wir Sie doch unbedingt.

Jäger …

Wildbret ist eine Saisonware. Damit fangen die Missverständnisse schon einmal an. Klar, es gibt Schonzeiten, die unbedingt einzuhalten sind.  Aber spätestens ab dem Frühsommer – früher war mal der Maibock in der bürgerlichen, noch notwendigerweise saisonalen Küche üblich – wäre für eine wilde Küche immer die richtige Zeit.  Ein Wildschweinrücken, in Olivenöl, Zitrone und Rosmarin mariniert, ist beinahe ein hochsommerliches Gericht.

Überhaupt das Wildschwein. „Eigentlich sollten wir da viel mehr mit machen“, sagt Stijn Remi vom Kreuzberger Restaurant Lode & Stijn, „es hat durch seinen Bewegungsdrang die viel aromatischere Fettstruktur und es ist  einfach in rauen Mengen vorhanden.“ Aber wie das lange so war in der gehobenen Küche, das Naheliegende war lange eben nicht exklusiv genug. Im Lode & Stijn jedenfalls wird nun  Wildschwein auf die Teller kommen.

Weitere Berliner Restaurant mit herausragenden Wildgerichten: das trocken gereifte  Reh im To the Bone auf der Torstraße oder das Restaurant Richard in der Köpenickerstraße, das –nein, nicht des Namens wegen – mit dem Brandenburger Jäger und Wildlieferanten Richard’s Wild zusammenarbeitet, der in Gransee auch einen Hofladen betreibt.

Foto: F. Anthea Schaap

Jörg Reuter verkauft Wildbret, in seinem handwerklichen Feinkostladen Vom Einfachen das Gute. Vor allem aber berät er Unternehmen aus der Lebensmittelbranche in Fragen der Nachhaltigkeit und der kulinarischen Trends. Das Wild spielt hier wie dort eine Rolle: „Wenn ich aber meinen Laden betrachte, dann kommen selbst im in Sachen Ernährung eher vorschnellen Mitteberlin noch kaum Kund*innen in den Laden und fragen gezielt nach einer Rehschulter. Andererseits liegt es auf der Hand, dass Wild in den kommenden Jahren zum Riesenthema werden wird. Wenn wir es nämlich ernst meinen mit einer klimaneutralen Ernährung, dann ist Reh, Damwild und Wildschwein das Fleisch der Wahl.“

Noch sieht die Realität anders aus. Mehr als 90 Prozent des gehandelten Wildfleischs landet deutschlandweit in der Gemeinschaftverpflegung, also in Kantinen oder Seniorenheimen.  Die Nachfrage ist gering, die Preise niedrig und die Verabeitung oft dementsprechend nachlässig. Zudem wird Wild noch immer eine strenger Geschmack nachgesagt,  eine Nachhall aus den Tagen, in denen noch jeder irgendwo einen Jäger kannte und man so oft an unsachgemäß verarbeitetes und gereiftes Fleisch kam, zäh in der  Faser, muffig im Geschmack. Das Bad in Buttermilch jedenfalls ist heute nicht mehr nötig.

Jörg Reuter wünscht sich dennoch, „dass das Produkt mehr convenient wird, näher dran an den Bedürfnissen der Kunden.“  Lange hat er etwa suchen müssen nach einem Jäger, der Schulter und Keule bereits entbeint und verlässlich Größen liefert, die auch für die private Küche handhabbar sind. Sogar Hackfleisch vom Hirsch bekommt er nun geliefert, für die etwas wildere Bolognese.  Und obendrein noch die Gewissheit, dass sein Jäger bleifreie Munition nutzt, zumindest in den privaten Wäldern ist das in Brandenburg noch immer nicht verpflichtend vorgeschrieben.

… und Sammler

Jeden Herbst reise ich ein paar Hunderttausend Jahre zurück in die Menschheitsgeschichte. Dann stecke ich mir mein Klappmesser und einen Stoffbeutel ein, schlüpfe in eine regendichte Jacke und werde zum Sucher und Sammler. Die Sonne müht sich durch den Morgendunst, auf dem Moos liegt noch schwer der Tau, und hinter dem Haus, zwischen den Kiefern, wartet meine Beute.

Wenn sie denn wartet. Manchmal war jemand anders schneller. Manchmal gibt es gar keine Pilze. Diesen Herbst war zuerst gar nichts zu finden, der Sommer war viel zu trocken, das wird nichts mehr, dachte ich schon. Dann kamen zuerst die Parasole, dann die Butterpilze und schließlich: Steinpilze. Massen. Dafür streikten die Maronen und Braunkappen, sonst bevorzugtes Sammlerobjekt in unseren übersäuerten Nadelwäldern.

Mit der Expertise, mit dem Blick für die Braunschattierungen, die die guten Speisepilze vom Ausschuss unterwscheidet, mit den geheimen Stellen, die man zu kennen glaubt, aber dann doch immer wieder umsonst aufsucht, kommt auch die Sucht. Und man wird schnell süchtig. Jeder wohlgeformte Röhrling, jeder neue Erfolg treibt einen weiter hinein in den Wald. Ich habe von Menschen gehört, die essen selbst keine Pilze, aber können vom Suchen und Sammeln trotzdem nicht lassen.

Das Pilzesammeln befriedigt – wie Grillen, Holzhacken und Brotbacken – zielsicher jene Urinstinkte, die mehr oder weniger gut verschüttet in jedem von uns schlummern. Manchmal komme ich wie in Trance und schlage mich durchs Unterholz – bis ich die Orientierung verliere und aus meinem eigentlich recht übersichtlichen brandenburgischen Kulturwald nur mit Hilfe von Google Maps wieder heraus finde. Keine Ahnung, wie unsere jagenden und sammelnden Vorfahren das hingekriegt haben.

Text: Clemens Niedenthal (Jagen) und Thomas Winkler (Sammeln)

Vom Einfachen das Gute, Foto: Autumn Sonnichsen

Adressen

Vom Einfachen das Gute Invalidenstr. 155, Mitte,
www.vomeinfachendasgute.com

Richard’s Wild, 16775 Gransee, Fürstenberger Str. 2,

www.richards-wild.de

Filet & Co. (Online-Markthalle des Berliner Gastro-Lieferanten Havelandexpress, auch für Privatkunden),

www.filetundco.de

Für alljene, die nicht selbst zum Pilzesammeln kommen, sei die hervorragende Zuchtpilzauswahl am Stand von Von Beet & Baum auf den Wochenmarkt der Markthalle Neun empfohlen, Eisenbahnstr. 42/43, Kreuzberg,

www.markthalleneun.de

Jörg Reuter und Manuela Rehn in ihrem Laden

PIlzesammeln befriedigt zielsicher jene Urinstinkte, die in jedem von uns schlummern

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