• Kultur
  • Bücher
  • Poesiefestival Berlin: Das wichtigste Lyrikfest der Stadt

Dichtung

Poesiefestival Berlin: Das wichtigste Lyrikfest der Stadt

Das 24. Poesiefestival Berlin findet vom 9. bis 16. Juni statt. Unter neuer Leitung von Katharina Schultens wurde das Programm etwas gestrafft. Aber vertraute Highlights wie „Weltklang – Nacht der Poesie“ und die „Berliner Rede zur Poesie“ sind wieder dabei. Und viele internationale Entdeckungen.

Poesiefestival Berlin: Arooj Aftab präsentiert ihre Lyrik beim Auftaktabend „Weltklang“. Foto: Blythe Thomas

Poesiefestival Berlin: Berlins wichtigstes Dichter:innen-Fest

Katharina Schultens fing nicht bei null an, als sie vor einem Dreivierteljahr die Leitung des Poesiefestivals übernahm. Im Frühjahr 2020, als das Corona-Virus Berlins Live-Kultur stilllegte und das Organisationsteam binnen zwei Wochen das Dichtfest in den virtuellen Digitalzustand katapultierte, war die Lyrikerin selbst als Performerin dabei. Per Video zugeschaltet.

In der 24. Auflage vom Poesiefestival Berlin sind nun alle Veranstaltungen wieder live, mit Publikum. Mit allem Saus und Braus.

Was bedeutet der Generationswechsel an der Spite für Berlins wichtigstes Dichter:innen-Fest?

Zum September vergangenen Jahres übernahm Katharina Schultens, geboren 1980 in Rheinland-Pfalz, den Chefposten beim Haus für Poesie von Thomas Wohlfahrt, dem 67-jährigen Gründer der mehr als drei Jahrzehnte alten Berliner Lyrik-Institution (die als Literaturwerkstatt das Licht der Poesiewelt erblickte und mittlerweile in der Kulturbraurei residiert) – und damit auch vom Poesiefestival. Vorher hatte die Kreuzbergerin in der Geschäftsführung einer Graduiertenschule und in einer naturwissenschaftlichen Fakultät der Humboldt-Universität gearbeitet.

– Wann ging Ihr Puls vor Ihrem ersten Poesiefestival so richtig steil, Frau Schultens?

„Ich habe schon große Konferenzen organisiert, das heißt, ich habe keine Angst vor Großveranstaltungen“, antwortet sie am Telefon. „Was mich etwas nervös gemacht hat, war, dass ich die Prozesse noch nicht kannte.“

Poesiefestival-Gast Arooj Aftab: Von Obamas Playlist zum „Weltklang“

In der 24. Auflage des Poesiefestivals vom 9. bis 16. Juni sind einige Formate dafür vertraut. Die dem Festival vorgeschaltete Poets‘ Corner in der Auftaktwoche zum Beispiel, wo insgesamt 60 Dichter:innen Verse in den Berliner Bezirke vortragen, von Prenzlauer Berg bis Neukölln. Oder auch der „Weltklang – Nacht der Poesie“, der Eröffnungsabend in der Akademie der Künste am 9. Juni, 19. Uhr mit acht internationalen Lyriker:innen. Ein Abend, der einige hochinteressante Entdeckungen, zumindest hierzulande, verspricht. Und viele grandiose Performances.

Zum „Weltklang“ reist unter anderem Arooj Aftab an, die erste pakistanische Grammy-Gewinnerin, die ihre Texte auf Urdu vorträgt, nicht übersetzt werden will und deren Song „Mohabbat“ im Sommer 2021 auf Barack Obamas Playlist groß rauskam. Mit dabei ist auch Radna Fabias, geboren 1983 in Curaçao, eine junge und politische Stimme der  niederländischen und flämischen Autor:innen, die für ihren Lyrikband „Habitus“ eine ganze Reihe von Preisen abräumte.

Junge Stimme der niederländischen und flämischen Autor:innen: Radna Fabias. Foto: Elizar Veerman

Die Leiterin und ihr, ebenfalls neuer, Mit-Koordinator Matthias Kniep haben, auch aus Kostengründen, das Programm gestrafft. „Letztes Jahr gab es Tanzprojekte, ein szenisches Langgedicht, Konzerte, eine große Ausstellung“, sagt Katharina Schultens. „Dieses Jahr haben wir gesagt: Okay, klarer Fokus auf Lesungen, Performances von Lyriker:innen, Spoken Word. Und nachmittags Poesiegespräche.“

Poesiegespräche am Nachmittag: Interessante Konstellationen

Dabei wird man manche Künstler:innen mehrfach, in diversen Konstellationen, sehen. Ist auch nachhaltiger, als jemanden für 15 Minuten Reim-Rezitation einzufliegen. Die südkoreanische Poetin Kim Hyesoon beispielsweise hält am 11. Juni, 19.30 Uhr die traditionelle „Rede zur Poesie“, bleibt dann aber zum Poesiegespräch mit Don Mee Choi und Uljana Wolf am Nachmittag darauf, 15.30 Uhr.

Überhaupt versprechen die nachmittäglichen Poesiegespräche interessante Konstellationen. Es gibt ein klassenübergreifendes Treffen der legendären New York School mit Eileen Myles und Alice Notley unter dem Titel „Offering The Healing Of Words“ (12. Juni, 19.30 Uhr). Da reden die im Iran geborene und in Schweden aufgewachsene Dichterin und Dramatikerin Athena Farrokhzad und der vor den Taliban aus Afghanistan geflohene Dichter und Journalist Ramin Mazhar über Gewalterfahrungen: „Wenn du das Alphabet vergisst“ (13. Juni, 15 Uhr). Und da treffen die beiden russischen Schriftstellerinnen Polina Barskova und Maria Stepanova aufeinander, um darüber zu reden, „Wo sich die Toten unter die Lebenden mischen“ (13. Juni, 17.30 Uhr).

Poesiefestival Berlin: Wer ist eine Insel?

Und zum Ende hin, am 15. und 16. Juni, kommen zehn internationale Performer:innen zu zwei „Spoken Word Poetry“-Abenden zusammen. Es geht um Ausgrenzungserfahrungen und den Kampf um sexuelle Freiheit, um die drohende Klimakatastrophe oder einfach auch um Liebe. Kurzum: Um die wilde, weite, heutige Welt, das Hier, das Jetzt.

Über das Festivalmotto, „No One Is An Island“, habe man viel gegrübelt, sagt Leiterin Katharina Schultens, im Grunde bereits im vergangenen Herbst. Es ist eine Referenz an ein fast 400 Jahre altes Poem des britischen Dichters John Donne. An Verbindung, Gespräche. Gute Idee, fand man damals.

Neue Chefin des Hauses für Poesie und des Poesiefestivals: Katharina Schultens. Foto: Gezett

Doch dann kam beim Feedback zum Motto von Teilnehmenden auch „valide Kritik“, wie Katharina Schultens erzählt. „Weil gerade Inselgruppen, Archipele, nicht nur unterhalb des Wassers verbunden sind, sondern mit den Wasserstraßen dazwischen auch als Einheiten funktionieren. Dass also die Idee von einer Insel als einem isolierten Element eigentlich eine sehr eurozentrische Art und Weise ist, eine Insel zu denken.“

Und schon wieder was gelernt. Katharina Schultens nächste Festival-Motto-Suche ist ja auch nicht mehr so lange hin. Geht gleich los.

  • 24. Poesiefestival Berlin Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, Tiergarten (Hauptort), 9.–16.6., u.a. mit Poets’ Corner 4.–8.6.; Weltklang 9.6., Lesungen im Buchengarten 10.+11.6., Writing Identities 13.6.; Writing Motherhood 14.6., Spoken Word Poetry I & II – 10 internationale Artists auf der Bühne 15.+16.6.; online

Mehr Literatur in und aus Berlin:

Der Berliner Kultfilmer Jörg Buttgereit hat ein Buch mit seinen West-Berlin-Erinnerungen geschrieben. Wir präsentieren eine exklusive Leseprobe aus „Nicht jugendfrei!“. Ein Trennungsbuch, das ans Herz geht: Judith Pozan über ihren zweiten Roman „Aufrappeln“. Wichtiges Buch zur Debatte über den deutschen Osten: Anne Rabes Roman „Eine Möglichkeit von Glück“. Was sich Liebende so zu sagen haben (könnten): Illustrierte „Paargespräche“ von Line Hoven und Jochen Schmidt. Die Berliner Schriftstellerin Ulrike Draesner erzählt im Roman „Die Verwandelten“ grandios von Krieg, Flucht und Vertreibung. Und im tip-Interview. Und: Lesungen in Berlin und Texte über Literatur im tipBerlin-Überblick.

Tip Berlin - Support your local Stadtmagazin