Stadtpolitik

Politisch aktiv trotz Corona: Wie kann man jetzt etwas bewegen?

Keine Clubs, keine Bars, physische Distanz einhalten: was kann man jetzt eigentlich überhaupt noch tun, außer Bananenbrot backen und Sauerteig züchten? Zum Beispiel politisch aktiv werden – trotz oder gerade wegen Corona!

Wer sich schon immer mal mehr einbringen wollte, aber nie so richtig die Muße dazu gefunden hat, für den ist es jetzt gerade vielleicht einfacher denn je. Wie das? Der globale Ausnahmezustand hat auch der Digitalisierung des politischen Diskurses Vorschub geleistet. Und wer sich lieber aktiv einbringen möchte, kann sich einer der vielen neuen und alten Initiativen anschließen. Keine Ausreden mehr!


Politische Bildung

Blick auf das Berliner Abgeordnetenhaus
Wer vertritt uns eigentlich im Berliner Abgeordnetenhaus? Jetzt wäre der perfekte Zeitpunkt, sich mit den politischen Strukturen auseinanderzusetzen und politisch aktiv zu werden. Foto: imago/Joko

Viele wissen ungefähr, wem sie bei der letzten Bundestagswahl ihre Erststimme gegeben haben – aber welche Vertreter*innen der anderen Parteien vertreten den eigenen Bezirk sonst noch im Bundestag, weil sie über die Landesliste eingezogen sind? Noch schwieriger wird’s bei den Vertreter*innen im Berliner Abgeordnetenhaus oder gar der Bezirksverordnetenversammlung. Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, sich so richtig damit auseinanderzusetzen, wie das politische System in der eigenen Umgebung strukturiert ist.

Das fängt damit an herauszufinden, wer die direkten Vertreter*innen sind, aber hört damit noch lange nicht auf: was sind eigentlich die verschiedenen Aufgaben von Senatsverwaltungen und Bezirksämtern? Welche Ausgaben haben Bezirksverordentenversammlungen?

Bei der Landes- und Bundeszentrale für politische Bildung gibt es dazu und zu vielen weiteren Themen Bildungsangebote, online wie offline. Bücher und andere Zeitschriften kann man sich nämlich kostenfrei oder allenfalls für eine geringe Bereitstellungspauschale bequem nach Hause bestellen. Schlägt Amazon um Längen, oder?


Webinare

Tastatur mit "Webinar" Button. Viele Institutionen bieten jetzt Webangebote an. Wie man jetzt politisch aktiv wird – trotz Corona
Diskutieren, weiterbilden, Welt verändern: geht auch alles online. Zahlreiche Anbieter bieten jetzt verstärkt Webinare an. Foto: imago/McPhoto

Das ist dir alles zu wenig? Du weißt sowieso schon alles und möchtest lieber mit anderen Menschen diskutieren? Dann lohnt es sich, sich mal das breite Angebot an Webinaren anzuschauen. Will man lieber über ein bestimmtes Thema diskutieren, lohnt es sich bei Politiker*innen oder Parteien und ihren einzelnen Kreisverbänden zu schauen: viele haben gerade mit Corona auf Onlineformate umgesattelt.

Lieber weiterbilden? Insbesondere parteinahe Stiftungen wie die Friedrich-Ebert-, Heinrich-Böll-, Rosa-Luxemburg- oder Friedrich-Naumann-Stiftung bieten zahlreiche Webinare an zu allen möglichen Themen an. Von der Zukunft der Landwirtschaft über die deutsche EU-Ratspräsidentschaft bis hin zur Bedeutung von Religion während Corona ist alles dabei. Man kann auch Onlinekurse zu Themen wie Hatespeech oder politische Organisation belegen.


Politisch aktiv werden? Das geht auch trotz Corona


Vereine und Lobbygruppen

Neuer Pop-up Fahrradweg Kottbusser Damm. Wie man jetzt politisch aktiv wird – trotz Corona
Ihr fordert Fahrradwege in eurem Kiez? Oder vermisst Parkplätze? Für jedes Thema gibt es in Berlin die passende Initiative – oder ihr gründet einfach eure eigene! Foto: imago/Klaus Martin Höfer

Du ärgerst dich so richtig, dass es in deiner Straße keinen Fahrradstreifen gibt? Oder dass deinem Stammspäti der Mietvertrag gekündigt wurde? Ziemlich wahrscheinlich bist du nicht die erste Person, der es so geht – und vielleicht hat sich ja in deiner Umgebung schon eine Initiative gegründet, die bei Politiker*innen und dem zuständigen Bezirksamt Druck macht.

Vereine wie Changing Cities und lokale Initiativen organisieren die Stadtgesellschaft um Ziele wie die Verkehrswende oder Schutz für Gewerbemieter*innen durchzusetzen und freuen sich über motivierte Mitglieder. Ihr seht die Sache ganz anders? Dann seid ihr vielleicht bereit für das nächste Level des politischen Aktivismus: Sprecht eure Nachbar*innen oder andere Betroffene an und gründet eure eigene Bürgerinitiative. Über Social Media-Kanäle und Chatprogramme wie Whatsapp und Telegram kann man sich leichter organisieren denn je. Und über die Webinar-Angebote der Stiftungen könnt ihr sogar lernen, wie man das am besten macht. Nur tut uns einen Gefallen: lasst das mit den Fake-News, ja?


Abgeordneten-Onlinesprechstunden

Sitze im Bundestag, nur einer besetzt, viele mit Schild, dass sie freigehalten werden sollen, Pandemie-Schutz. Wie man jetzt politisch aktiv wird – trotz Corona
Der Politikbetrieb läuft auch trotz Corona weiter, wenn auch etwas anders als sonst. Viele Abgeordnete bieten Online- oder Telefonsprechstunden für ihren Wahlkreis an. Foto: imago/Bildgehege

Viele Abgeordnete bieten in der jetzigen Situation Online- und Telefonsprechstunden an. Euer Haus wird verkauft, oder ihr wollt euren Abgeordneten sagen, dass die Geflüchteten auf den griechischen Inseln in gefälligst menschenwürdig untergebracht werden sollen? Jetzt, wo ihr wisst, wer alles eure Abgeordneten sind, könnt ihr sie schriftlich kontaktieren oder sogar eine (digitale oder telefonische) Sprechstunde vereinbaren.


Mehr als nur „Klick-Aktivismus“: Gerade während Corona können Petitionen politischen Aktivismus unterstützen


Petitionen

Die Bedeutung von Petitionen wird ja oft überschätzt, aber ganz konkret eigenen sie sich auf jeden Fall dazu, Aufmerksamkeit für ein Problem herzustellen.

Petitionen, die über das offizielle Petitionsportal des Bundestags gestellt werden, müssen ab einer gewissen Anzahl von Unterschriften im Bundestag diskutiert werden. Mit einer Petition kann man also politisch aktiv werden und versuchen, einen Wandel herbeizuführen, ohne gegen Corona-Verordnungen zu verstoßen.

Das ist bei Anbietern wie Change.org oder Campact zwar nicht so, dafür ist Raum auch für kleinere, lokalere Themen. Wie zum Beispiel die Petition „Rettet den Mäusebunker!„, über die wir berichteten.


Onlinekampagnen und -demos

Balkon mit Plakat "Leave No One Behind", Beispiel für politischen Aktivismus trotz Corona.
Banner aus dem Balkon hängen, Plakate vor dem Bundestag verteilen: auch trotz Ausgangsbeschränkungen versuchen Aktivist*innen kreative Formen des Protests zu finden. Foto: imago/Emmanuele Contini

Jetzt, wo Demonstrationen nur eingeschränkt möglich sind und die meisten Leute auch gar keine Lust haben, eng mit dutzenden, hunderten, tausenden anderen Menschen zusammenzustehen, muss man sich andere Formen des Protests überlegen.

Fridays for Future planen für ihre Großdemo am 24. April zum Beispiel, mit tausenden von Plakaten vor dem Kanzleramt auf ihre Forderungen aufmerksam zu machen. Die Kampagne #LeaveNoOneBehind, die sich für die Räumung der Geflüchtetenlager auf den griechischen Inseln einsetzt, nutzt eine Petition auf der Plattform change.org als Organisationsmittel. Über die Petition und deren Informationsemails koordinieren sie die Aktionen von Beteiligten.


Aktiv helfen

Ihr habt ein Auto und sonst gerade nichts vor? Das trifft sich doch ausgezeichnet: Aktionen wie #KochenfürHelden oder auch Initiativen, die Essen an Bedürftige austeilen, benötigen Fahrer*innen. Das wäre ein ganz praktisches Beispiel für politischen Aktivismus in Corona-Zeiten.

Ihr könnt zum Beispiel bei der Berliner Tafel nachfragen, ob sie noch Unterstützung brauchen. Weil die Organisation derzeit keine Ausgabestellen betreiben kann, liefern sie fertig gepackte Lebensmitteltüten jetzt aus.


Geld- und Sachspenden

Gabenzaun in Berlin Schöneberg
In ganz Berlin sind spontan sogenannte Gabenzäune mit Spenden für Bedürftige entstanden. Hier zum Beispiel in Schöneberg. Foto: imago/Stefan Zeitz

Keine Zeit und trotzdem wütend? Wie immer helfen auch Geldspenden ganz konkret. Gerade jetzt brechen vielen Organisationen wegen Corona und der befürchteten Rezession Spenden weg. Wenn ihr also wollt und könnt, spendet an die Organisationen, die sich der Themen annehmen, die ihr wichtig findet.

Ob Berliner Tafel, Naturschutzorganisationen, Ärzte ohne Grenzen oder kleinere Vereine wie Sea-Watch oder lokale Organisationen und Interessensvertretungen wie die Berliner Obdachlosenhilfe – sie alle freuen sich über Zuwendungen.

Ihr wollt kein Geld spenden, aber habt Zugang zu Sachspenden? Toll! Die Tafeln und #KochenfürHelden benötigen zum Beispiel Lebensmittel. Die Stadtmission hat sogar online ausgeschrieben, welche Spenden sie zurzeit benötigen. Frauenhäusern brauchen oft Hygieneartikel oder Kinderspielzeug. Am besten informiert ihr euch online oder ruft an und klärt, woran es mangelt.

Was auch geht: in vielen Kiezen gibt es jetzt sogenannte Gabenzäune. Benutzt sie nicht als willkommene Ausrede, euren aussortierten Klamotten loszuwerden. Überlegt euch: was können Menschen brauchen? Empfohlen werden Essenspakete, Hygieneartikel, Hundefutter, saubere Zelte und Schlafsäcke, und praktische, saubere Kleidung.


Nicht vergessen und aufmerksam sein

Wenn Menschen vermehrt Zuhause bleiben und mit ihren eigenen Problem beschäftigt sind, fallen Missstände noch weniger auf als zuvor. Das wichtigste ist also: nicht vergessen und aufmerksam bleiben! Probleme wie Wohnungsnot, Rassismus, Klimawandel oder häusliche Gewalt verschwinden wegen Covid-19 nicht einfach. Oft wird es sogar schlimmer.

Daher ist die allerwichtigste Aufgabe: nicht vergessen und Augen aufhalten. Ja, auch das gehört zum Politisch-aktiv-sein während Corona. Gerade beim Thema häusliche Gewalt und insbesondere Gewalt gegen Kinder sind nämlich äußere Kontrollmechanismen wie Schule und Kita weggefallen. Da ist es umso wichtiger, solidarisch die Augen aufzuhalten. Aber ohne übergriffig zu werden. Schließlich wollen wir ja kein Comeback der Denunziation!


Corona hat die Stadt fest im Griff. Unser digitaler Veranstaltungskalender hält euch trotzdem auf dem Laufenden – mit Streams aus Clubs, Theatern und Wohnzimmern. Ihr habt noch keine Gesichtsmasken? Diese Masken sind schick, lokal und haben eine Message. Und bei Bewegungsdrang empfehlen wir 12 Spiele, die man draußen zu zweit spielen kann.

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