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Proteste

Räumung der Kiezkneipe Syndikat: Heißer Demo-Sommer für Neukölln

Die Kiezkneipe Syndikat in der Neuköllner Weisestraße soll geräumt werden: am Freitag, 7.8., soll endgültig Schluss sein. Am Vorabend sind Proteste angekündigt. Doch die „Lange Nacht der Weisestraße“ darf nicht vor dem Syndikat stattfinden. Die linke Szene mobilisiert gegen die Zwangsräumung. Schon am Wochenende zuvor waren Proteste im Schillerkiez eskaliert. Neukölln steht vor einem heißen Demo-Sommer.


"Syndikat bleibt" – Graffiti auf einer Hauswand in Neukölln. Die linke Szenekneipe Syndikat steht kurz vor der Zwangsräumung. Foto: imago images / Jannis Große
„Syndikat bleibt“ – Graffiti auf einer Hauswand in Neukölln. Die linke Szenekneipe Syndikat steht kurz vor der Zwangsräumung. Foto: imago images / Jannis Große

Das Syndikat in der Weisestraße ist langjähriger Treffpunkt der linken Szene in Neukölln. Seit 1985 gibt es den kollektiv bewirtschafteten Laden bereits. Seit Januar 2019 wird die Kneipe ohne gültigen Mietvertrag betrieben. Der neue Eigentümer der Immobilie, ein Unternehmen der international tätigen britischen „Pears“-Gruppe, hatte den Kneipenbetreiber*innen gekündigt.

Die Räumung des Syndikats wurde immer wieder verschoben

Seit Januar 2019 wird das Syndikat ohne Mietvertrag betrieben. Immer wieder gibt es Proteste gegen die „Pears“-Gruppe und die geplante Räumung der Kneipe. Auch ansonsten herrscht Unmut im Kiez: Die international tätige Immobilienfirma hatte zuletzt ein Wohnhaus direkt am Tempelhofer Feld aufkaufen wollen. In dem Fall machte der Bezirk allerdings von seinem Vorkaufsrecht Gebrauch. Die Immobilie, in der das Syndikat untergebracht ist, bleibt hingegen im Besitz der Firma „Properties“, einem Subunternehmen der „Pears“-Gruppe.

Das Syndikat von außen. Die Kiezkneipe soll am 7.8. geräumt werden. Foto: imago images / Jannis Große
Das Syndikat von außen. Die Kiezkneipe soll am 7.8. geräumt werden. Foto: imago images / Jannis Große

Im Dezember 2019 unterlag das Syndikat vor Gericht. Die Räumung wurde allerdings immer wieder verschoben, zuletzt auch wegen der Coronavirus-Pandemie. Am Freitag, 7.8., soll nun endgültig Schluss sein. Doch mit einer reibungslosen Räumung rechnet niemand.

Proteste im Vorfeld der Syndikat-Räumung

Die „Lange Nacht der Weisestraße“, eine Protestveranstaltung am Vorabend der geplanten Räumung, findet in aufgeheizter Stimmung statt. Seit Mittag ist die Polizei damit beschäftigt, die Weisestraße abzusperren. Die für 20 Uhr angemeldete Veranstaltung darf nicht vor dem Syndikat selbst stattfinden, sondern ist verlegt. Gegen das Verbot der Kundgebung vor dem Syndikat liegt ein Eilantrag vor. Sollte dieser vor Gericht keinen Bestand haben, soll die Kundgebung auf den Kreuzungen Selchower/Weisestraße und Weisestraße/Herrfurthplatz stattfinden.

Neuköllns Bezirksbürgermeister Martin Hikel rief im Interview mit Radioeins zu Gewaltverzicht auf – doch das ist unwahrscheinlich. Schon am vergangenen Wochenende machte eine Demo unter dem Motto „Raus aus der Defensive“ Schlagzeilen. Am Samstagabend sollte der Demozug vom Herrfurthplatz über die Hermannstraße und Karl-Marx-Straße zum S-Bhf Neukölln führen. Die Polizei war mit einem Großaufgebot vor Ort – und die Veranstaltung eskalierte rasch.

Statt der geplanten Protestroute gab es Auseinandersetzungen schon am Startpunkt der Demo und ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen Aktivist*innen und Polizei auf der Hermannstraße.

Hundertschaften, brennende Mülleimer und ein Helikopter in der Luft: Die martialischen Bilder aus Neukölln überraschten – auch deshalb, weil zur selben Zeit eine Großdemonstration rund ums Brandenburger Tor die Polizei anscheinend überforderte. „Bitte nicht schon wieder eine Verschwörungsdemo!“, kommentierten wir im Vorfeld. Genutzt hat es nichts: Rund 20.000 Corona-Leugner*innen und andere diffuse Gruppen versammelten sich auf der rechtsoffenenen Demonstration. Bis in den Abend hinein gelang es der Polizei nicht, die seit Nachmittag für beendet erklärte Veranstaltung aufzulösen.

Gentrifizierung ist Dauerthema in Neukölln und Berlin

Verdrängung, Aufwertung, Wohnungsnot und Gentrifizierung sind in Neukölln seit Jahren Thema. Im vergangenen Jahr besuchte tipBerlin-Autor Philipp Wurm die Karl-Marx-Straße, Neuköllns soziale Schlagader. Er kam ins Gespräch mit Kristjan Knall, der eigentlich anders heißt: ein Häuserkämpfer, Syndikat-Anhänger, Buchautor und linker Aktivist. „Die Christian-Lindner-Kacke läuft hier nicht“, sagte Knall über Neukölln im Wandel. Dass der Umbau längst nicht abgeschlossen ist, zeigt sich auch am Hermannplatz: Die Pläne, aus der Karstadt-Filiale (auf Kreuzberger Seite) einen Art-Deco-Palast im Stil des ursprünglichen Kaufhausgebäudes zu machen, kann man als Upgrade sehen – oder als Aufwertung im Eiltempo.


Ein heißer Protestsommer für Berlin

Die Polizei ist im Dauereinsatz. Fast jedes Wochenende müssen Einsatzkräfte einschreiten, um illegale Raves in der Hasenheide aufzulösen. Dass die linke Szene mit dem Syndikat einen wichtigen Treffpunkt verliert, ist kein Einzelfall. Wir berichteten schon von der besetzten „Potse“ in Schöneberg und griffen dabei auch das Syndikat sowie das besetzte Friedrichshainer Haus „Liebig34“ auf.

Wessen Aufgabe es sein wird, für Entspannung auf dem Berliner Wohnungsmarkt zu sorgen, ist unklar. Mit dem Rücktritt von Kathrin Lompscher ist der Arschkarten-Job im Senat vakant, schreibt tipBerlin-Redakteur Erik Heier.

Klar ist, dass sich nicht nur beim Thema Wohnen die Wut staut. An einer weiteren Front bahnt sich ein Skandal an: Nach einer jahrelangen rechtsextremen Anschlagserie in Neukölln wurde der zuständige Staatsanwalt abgezogen – wegen Befangenheit.


Mehr zum Thema

Linke Aktivist*innen kämpfen um Räume, Kulturschaffende um ihre Arbeit. Die Angestellten im Kino Colosseum kämpfen weiterhin für ihr Traditionshaus. Wer mehr über besetzte Hausprojekte erfahren will: Hier haben wir 12 besetzte Häuser in Berlin, die eine linke Geschichte der Stadt erzählen. Bevor Gentrifizierung und Verdrängung ein Thema war sah Berlin Mitte in den 1980er-Jahren und Prenzlauer Berg in den 1980er-Jahren so aus. 

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