Festival

Risiken und Nebelwirkungen: Theatertreffen 2019


Das Schwein der Weisen, Liebespaare im Hotel Strindberg, Erniedrigte und Beleidigte und jede Menge Bodennebel beehren das Theatertreffen

„Hotel Strindberg“ Burgtheater Wien / Theater Basel Regie: Simon Stone Premiere am 26. Januar 2018 Burgtheater / Akademietheater, Foto: Sandra Then

So raumgreifend, wie beim Theatertreffen die zehn als besonders „bemerkenswert“ eingeladenen Inszenierungen von Diskussionen, Panels, Foren und einer dreitägigen Konferenz begleitet werden, könnte man fast glauben, das Theatertreffen traue seinem Kern, dem Theater, nur noch begrenzt Ausstrahlungskraft und öffentliches Interesse zu. Da kann zur Relevanzverstärkung erhöhtes Diskussionsaufkommen nicht schaden. Die zeitlos blumigen Themen der diversen Panels („Welche Politik braucht das Theater?“, „Was kommt nach dem Protest? Wann beginnt die Zukunft? – Gespräch über Kunst und Gesellschaft“) oder einige leicht esoterisch anmutende Behauptungen („Das Theater war noch nie menschlich“) lassen allerdings eine gewisse Allgemeinplatzdichte bei theaterbetriebsüblichem Hang zur ausgiebigen Selbstbespiegelung befürchten.

Wobei die Antwort auf die Frage, wann die Zukunft denn endlich beginnt, zumindest die Zukunft des Theaters, bei einem Festival, das sich schon aus Gründen der Traditionspflege als eine Art institutionalisierter Trendscout versteht (und das in den letzten Jahrzehnten auch immer wieder mal war), im Idealfall auf der Bühne zu finden wäre. Der Versuch, jedes Jahr, mit jeder 10er-Auswahl mindestens das kommende Großtalent, am besten aber gleich das kommende Theater als solches zu entdecken, auszurufen und ins Rampenlicht zu befördern, ist natürlich nicht ganz frei von Risiken und Nebenwirkungen – von Hype-Neigungen bis zur Anfälligkeit für wuchtige Überwältigungs-Großkunstbehauptungen oder dem Hang, das Skurril-Abseitige für bedeutend zu halten. Für einige dieser Gefährdungen liefert die diesjährige Auswahl zumindest interessante Beispiele.

Freunde des angewandten Wahnsinns

Mindestens so interessant wie die Frage, wer kommt, ist natürlich die Gegenfrage: Wer kommt nicht? Nun, diesmal kein Pollesch (auch nicht seine furiose „Cry Baby“-Müdigkeitsgesellschaft mit Sophie Rois am DT, was eine Schande ist), kein Robert Borgmann mit seiner Rainald Goetz-Neuentdeckung „Krieg“ am BE (was ziemlich ignorant ist), auch kein Thalheimer, kein Castorf, kein Ostermeier, kein Petras, kein Fritsch, kein Baumgarten (letztere sind vermutlich als weiße, alte und auch noch halbwegs erfolgreiche Männer sowieso quotentechnisch kaum noch tragbar), keine Karin Henkel (was man schade finden kann), keine Elfriede Jelinek und keine Karin Beier (endlich eine gute Nachricht). Auf die Inszenierung, auf die sich Freunde des angewandten Wahnsinns (ich zum Beispiel) am meisten gefreut hatten, muss das Theatertreffen leider verzichten: Ersan Mondtags „Das Internat“ (Schauspiel Dortmund) ist zwar eingeladen, völlig zu Recht vermutlich, kann aber aus technischen Gründen nicht gezeigt werden.

„Dionysos Stadt“ Münchner Kammerspiele Regie: Christopher Rüping Premiere am 6. Oktober 2018, Foto: Julian Baumann

Aber natürlich fehlt es auch ohne Ersan Mondtag nicht an mehr oder weniger erfreulichen alten Bekannten und TT-Stammgästen. Für die Kategorie Großkunstwerk sorgen der Kraftregisseur Sebastian Hartmann („Erniedrigte und Beleidigte“, Schauspiel Dresden) und der Atmosphären-Hersteller Christopher Rüping („Dionysos Stadt“, Kammerspiele München), dem man mit einer Spieldauer von knapp zehn Stunden zumindest keine falsche Bescheidenheit vorwerfen kann. Kurzweiliger dürfte die hochkarätig besetzte Eröffnungsaufführung werden, auch sie von einem Theatertreffen-Stammgast, dem Schauspielerregisseur und Klassiker-in-die-Gegenwart-Übersetzer Simon Stone, der diesmal Figuren und Motive aus Strindbergs Gesamtwerk collagiert hat („Hotel Strindberg“, Burgtheater Wien / Theater Basel).

Für eine deutlich schrillere Klassiker-Adaption sorgen der Autor, Eigenbrötler-Pop-Musiker und Großspinner PeterLicht und die immer gute Laune machende und den Kopf freiblasende, weil nie harmlos-routinierte Regisseurin Claudia Bauer (die demnächst erfreulicherweise auch an der Volksbühne arbeiten wird). Zusammen haben sie Molière eine schräge Neuentdeckung beschert („Tartuffe oder das Schwein der Weisen“, Theater Basel). Wer sich beim Theatertreffen nur eine Aufführung ansehen will, sollte diese nicht verpassen.

Eine weitere Romanadaption kommt vom formstrengen Chor-Spezialisten Ulrich Rasche, der Ágota Kristófs düster kargen Roman „Das große Heft“ kongenial in Theater übersetzt hat (Staatsschauspiel Dresden) – man kann sich darauf freuen, dass Rasche auch am Deutschen Theater inszenieren wird. Für die Abteilung schrullig bis verdreht ist der Schweizer Thom Luz zuständig, der sympathischerweise schon im Titel seines Werkes signalisiert, dass es sich um heiße Luft und eine Produktion aus der Nebelwerfmaschine handelt: „Girl from the Fog Machine Factory“ (Gessnerallee Zürich). Eher schrullig mutet auch die eine oder andere Entscheidung der Jury bei den drei Berliner Einladungen an. Die autobiografischen Performer von She She Pop kommen mit ihrem Ich-und-der-Berliner-Wohnungsmarkt-„Oratorium“ zu Theatertreffen-Ehren (HAU) und für ihr Lebenswerk zum Berliner Theaterpreis, nun ja, warum auch nicht. Weshalb man Anna Bergmanns trotz einer tollen Corinna Harfouch etwas prätentiöse und bedeutungsraunende „Persona“-Versuchsanordnung (Deutsches Theater Berlin) im Ernst für einen Höhepunkt der Spielzeit und eine der zehn bemerkenswertesten Aufführungen der Spielzeit halten muss, ist etwas rätselhaft und unverständlich, zumindest für so schlichte Gemüter wie mich. Auch Thorsten Lensings gewollt und gekonnt sprödes Theater der Reduktion und Konzentration auf die Spieler ist eher etwas für Spezialisten, die sich hier vom Effektaufwand des Theater-Theaters erholen können. Diesmal hat Lensing mit einer Star-Besetzung den Roman-Labyrinth „Unendlicher Spaß“ von David Foster Wallace inszeniert, was schon auf Grund der steilen Stoffvorlage der hell leuchtende Irrsinn ist (Sophiensaele / Volksbühne). Aber Irrsinn ist ja nicht das schlechteste, was einem das Theater zu bieten hat.

Theatertreffen 2019 Haus der Berliner Festspiele u.a., www.berlinerfestspiele.de

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