Clubkultur in Berlin

Rot-Rot-Grün will Clubs in Berlin retten – aber reichen die Maßnahmen?

Nach der Sommerpause will Rot-Rot-Grün einen Antrag zur Rettung und Stärkung der Clubs von Berlin im Abgeordnetenhaus einbringen. Die Maßnahmen darin gehen überraschend weit, sind sehr progressiv. Doch um die Clubs durch die Corona-Zeit zu bringen, braucht es unkomplizierte Maßnahmen, die jetzt greifen. Ein Kommentar von Xenia Balzereit.

Das Berghain gilt schon länger als kulturelle Spielstätte. Rot-Rot-Grün will Clubs in Berlin retten -- aber reichen die Maßnahmen?
Das Berghain gilt schon länger als kulturelle Spielstätte. Foto: imago images/Stefan Zeitz

Es ist allerhöchste Eisenbahn. Die Berliner Regierungsparteien (Rot-Rot-Grün) wollen nach der parlamentarischen Sommerpause einen Antrag ins Abgeordnetenhaus einbringen, nach dem Clubs künftig als kulturelle Spielstätten und nicht mehr nur als Vergnügungsstätten wie Bordelle und Spielhallen eingestuft werden sollen. Im Antrag finden sich aber noch weitergehende, teilweise überraschende Maßnahmen, die den Clubs das Überleben erleichtern sollen.

Die Berliner Clubkultur ist, das haben auch die Grünen, die Linken und die SPD erkannt, „als global bekanntes Aushängeschild, als kultureller Motor der Musikszene und als soziokultureller Freiraum ein fester Bestandteil Berlins“. Ursprünglich hatte die Berliner CDU einen ähnlichen Antrag eingebracht, als sich anbahnte, dass die Griessmühle schließen muss. Darin war auch enthalten, dass Bezirke Flächen für Clubs bereitstellen müssen. Den hatten die Regierungsparteien abgelehnt und angekündigt, einen eigenen Antrag zu formulieren. Der ist seit Juni öffentlich einsehbar.

Clubs bedienen ein grundlegendes Bedürfnis von Menschen: Sie bieten Orte, an denen man dem Alltag entfliehen, Kontakte knüpfen und auch als queerer Mensch oder PoC in einem einigermaßen sicheren Rahmen Spaß haben kann. Berlin und seine Bewohner*innen brauchen die Clubs. Der Sprecher der Clubcommission, Lutz Leichsenring, sagt zum Antrag: „Vor zehn Jahren wäre so ein Vorstoß undenkbar gewesen. Inzwischen sind unsere Anliegen zum Glück in der Politik angekommen. Nur wenn die Clubkultur nicht dem freien Markt überlassen wird, können wir experimentierfreudig bleiben.“

Die Freiräume werden knapper und immer mehr Clubs sterben

Obendrauf hat die Clubszene Berlin 2018 einen Umsatz von 1,47 Milliarden Euro beschert. Umso schlimmer, dass Clubs in den letzten Jahren gestorben sind wie die Fliegen, siehe Griessmühle, das alte Jonny Knüppel, der Farbfernseher. Clubs wie das About Blank und die Wilde Renate sind durch anstehende Baumaßnahmen oder Probleme mit Nachbar*innen bedroht.

Fluktuation gab und gibt es immer in Subkulturen. Doch weil die Freiräume immer knapper werden und die Stadt immer enger wird, brauchen die Clubs besonderen Schutz. „Clubs müssen heute härter kämpfen, um zu überleben. Und die Politik muss einen Rahmen schaffen, damit es fair zu geht“, sagt Georg Kössler, clubpolitischer Sprecher der Grünen im Abgeordnetenhaus.

Antrag von R2G geht weiter als gedacht

Deswegen ist es wichtig, dass der Antrag nach der Sommerpause durchkommt. Die Chancen stehen gut, weil er von allen drei Regierungsparteien kommt. Neben der Einstufung der Clubs als kulturelle Spielstätten, nach der sie künftig sieben statt 19 Prozent Umsatzsteuer zahlen müssten und weniger Auflagen auch in Gebieten, wo Wohnungen in der Nachbarschaft sind, bekämen, stehen folgende Punkte im Antrag:

  • Das Clubkataster soll besser gepflegt werden.
  • Die Parteien wollen den sogenannten „Lärmschutzfonds“ zur Unterstützung von Investitionen Schallschutzmaßnahmen weiterführen und verstärken.
  • Bauherren, die in der Nähe von Clubs bauen, unterliegen dem Agent-of-Change-Prinzip. Das heißt, sie müssen auf die Bedürfnisse der Clubs Rücksicht nehmen und selbst für die Maßnahmen aufkommen, die nötig sind, um ein friedliches Nebeneinander zu gewährleisten. Der Betrieb der Clubs geht vor.
  • Staatliche Förderprogramme sollen das gesellschaftliche Engagement der Clubs in den Bereichen Diskriminierungssensibilität (Awareness) und -schutz, Inklusion und Barrierefreiheit, Suchtprävention, Nachhaltigkeit und Arbeit im Kiez finanziell unterstützen.
  • Der Senat soll ein Leitbild und Fortbildungen für eine diskriminierungskritische Clubkultur inklusive eines Glossars und eines Beschwerdemanagements entwickeln.
  • Auch Türsteher*innen sollen Schulungen für eine diskriminierungssensible Türpolitik erhalten.
  • Berlin soll sich in einer Bundesratsinitiative für die bundesweite Anerkennung der Clubs einsetzen. Diese sollen es überall in Deutschland, vor allem aber in Großstädten wie Berlin, leichter haben zu überleben. Das wollen die Berliner Regierungsparteien mit einer Änderung der Baunutzungsverordnung erreichen.

Einzig das Freiluftpartygesetz nach Bremer Vorbild, das Open-Air-Partys legalisieren soll und in Berlin schon seit Jahren in Arbeit ist, findet sich nicht im Antrag. Ebenfalls nicht enthalten ist die Forderung, dass Bezirke Flächen für Clubs reservieren, wie es die CDU wollte. Davon abgesehen, ist der Antrag aber ein wichtiger, guter und weitgehender Schritt, um die Berliner Clubkultur zu retten.

Die Maßnahmen sind gut und wichtig, bringen aber kurzfristig wenig

Kurzfristig, also jetzt in der Corona-Zeit, wo viele Clubs kurz vor dem Aus stehen, bringen diese Maßnahmen allerdings wenig. Es ist Juli, der Sommer und die Zeit, in der viele Clubs den Großteil ihrer Einnahmen generieren, ist halb rum. Sie brauchen jetzt und unmittelbar Möglichkeiten, um den Betrieb wieder aufzunehmen, um zu überleben.

Georg Kössler schlägt vor, dass man Clubs erlaubt, ab und zu die Straße vor ihren Türen zu nutzen. „Wir verschwenden unglaublich viel Platz für Parkraum, tonnenschwere Blechkisten. Warum sollten wir die nicht für bestimmte Abende von der Straße verbannen und Läden wie dem SO36 oder Jazzcafés in der Donaustraße erlauben, dort Stühle aufzustellen oder Musiker auftreten zu lassen?“, sagt Kössler.

Der Garten des About Blank bietet viel Platz, sodass sich die Feiernden gut verteilen könnten. Foto: About Blank

Er kann sich außerdem vorstellen, Clubs wie dem About Blank zu erlauben, ihren Außenbereich wieder für Partys ohne Tanzverbot zu nutzen — allerdings mit einer begrenzten Anzahl an Gästen und der Perspektive, dass das Ordnungsamt das auch kontrolliert.

Awareness-Teams auf Open-Air-Veranstaltungen in der Corona-Zeit

Außerdem plädiert er für Awareness- und Mediationsteams, die darauf achten, dass die Veranstaltungen nicht zu voll werden und verhindern, dass „wildfremde Menschen Massenkuscheln“ veranstalten. Eine gute Idee: Im Gegensatz zu illegalen Raves wie jenen, die jedes Wochenende in der Hasenheide stattfinden, könnten bei derartigen offiziellen Veranstaltungen solche Teams die Menschen daran erinnern, dass die Corona-Pandemie noch nicht vorbei ist. Leichsenring weist außerdem darauf hin, dass die Veranstalter von legalen Open-Air-Veranstaltungen Rücksicht auf die Anwohner nehmen müssen. „Wir wollen da keine Konflikte“, sagt er.

Klar ist aber auch: Dass die Menschen sich zusammenfinden, dass man ihr Bedürfnis nach einem Ausbrechen aus dem Alltag und nach zwischenmenschlichen Kontakten nicht einfach abstellen kann, beweisen Partys in Berlin und im ganzen Land. „Legale Veranstaltungen könnten den Druck aus illegalen Raves wie jenen in der Hasenheide nehmen und würden die Polizei entlasten“, sagt Leichsenring.

Bei offiziellen Partys unter freiem Himmel müsste also nicht gleich die Polizei kommen, deren Anwesenheit nicht selten eine bedrückende Stimmung auslöst und deren Mediationsfähigkeiten oft zu wünschen übrig lassen. Stattdessen könnten die Mediationsteams darauf achten, dass die Veranstaltung nicht eskaliert. Vor allem dort, wo es Eingänge gibt und die Anzahl der Gäste sich begrenzen lässt oder vor kleineren Locations, wo eher Jazz als Techno gespielt wird, ließen sich diese Ideen gut umsetzen.

Wenn Kösslers Vorschläge Wirklichkeit werden sollen, müssen die Bezirke allerdings schnell handeln. Heißt: jetzt. „Ein Landesgesetz ist jetzt das falsche Instrument, das dauert viel zu lange. Wenn wir den Clubs jetzt helfen wollen, die Corona-Krise zu überleben, dann müssen die Bezirke solche Veranstaltungen unkompliziert und unmittelbar erlauben und diese Anweisungen auch an die Polizei weitergeben“, sagt Kössler.

Genau so sieht es aus. Denn handeln die Bezirke nicht, stehen sie am Ende des Jahres vielleicht ohne Clubkultur da — und die schließt nicht nur Technoclubs, sondern auch Jazz- und alle anderen Musikspielstätten, außer vielleicht Opernhäuser, ein. Was für eine dystopische, triste und eintönige Vision für unsere Stadt!


Mehr zum Thema

Ihr wollt auf dem neuesten Stand bleiben darüber, welche Clubs in Berlin wie öffnen? Dann empfehlen wir unseren Club-Blog: Clubs in Berlin öffnen wieder, Kater Blau startet endlich, Pizza im Suicide. Zudem gibt es weitere Konzepte – so hat das Kitkat etwa eine Compilation, die Renate eine Ausstellung. Die geschlossenen Clubs treffen manche Communitys härter als andere. Drag-Queen Bambi Mercury etwa sagt: Die queere Szene ist akut bedroht. Wenn Schutzräume wie Blank und Schwuz die Krise nicht überleben, sei das ein massives Problem. Auch ein Grund, warum die Clubkultur mehr ist als Bumsen, Ballern, Berghain.

Generell leidet die Club-Kultur enorm. Schon längst ist der Supermarkt das neue Berghain, die Koks-Berge werden maximal beim Geheim-Raves wegkonsumiert. Wobei – nicht dass die am Ende so geheim sind, dass die Koks-Taxis den Weg nicht finden. 

Berlin informiert regelmäßig über alle Entwicklungen in der Corona-Krise.

Tip Berlin - Support your local Stadtmagazin