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Gentrifizierung

Die Samwer-Brüder gegen den Schillerkiez

Mehr als nur eine weitere Verdrängung: Die Samwer-Brüder wagen sich an den Schillerkiez, wo Gentrifizierung und Protest seit Jahren in besonderer Härte aufeinandertreffen. Eine unbeugsame Gruppe von Anwohnern und Unterstützern hört nicht auf, Widerstand zu leisten

Waldemar Schwienbacher, Pächter der Kneipe Schiller‘s. Foto: Alexander Indra

Waldemar Schwienbacher sitzt in einem Sessel in seiner Kneipe Schiller’s, zu seinen Füßen Hund Sarah und neben ihm Stammgast Wolfgang. Die beiden Männer kennen sich schon so lange, wie es das Schiller’s gibt, zehn Jahre also. „Wie ein altes Ehepaar“ seien sie, witzelt der Wirt. Schwienbachers Kneipe ist eine soziale Institution im Kiez. Wenn ein Gast ein paar Tage nicht kommt, telefoniert Schwienbacher hinterher. Er kümmert sich um seine Gäste, mit Bier und Ansprache.

Im Moment hat der 72-Jährige allerdings nicht viel zu lachen. Schwienbacher hat nach Auslaufen seines Pachtvertrags die Kündigung erhalten und sollte eigentlich im August den Laden an der Ecke Schillerpromenade/Okerstraße aufgeben. Das neue Mietangebot von 20 Euro pro Quadratmeter sei für ihn nicht ansatzweise zu stemmen, sagt er.

Aber eines haben die neuen Eigentümer wohl übersehen, als sie in dem rosa Haus eine profitable Investition witterten. Nämlich, dass sie sich mit einem der rebellischsten Kieze Berlins anlegen. Im Schiller’s war 2011 die Initiative „100 Prozent Tempelhofer Feld“ entstanden, die den erfolgreichen Volksentscheid gegen die Bebauung des Tempelhofer Felds organisierte. Der anarchistische Infoladen Lunte in der Weisestraße und die benachbarte Kneipe Syndikat, die gegen die eigene Verdrängung kämpft, haben seit Jahrzehnten ein kritisches Auge auf Gentrifizierung und Mietenwahnsinn. Eine Infowand in der Herrfurthstraße zeugt von Mietkämpfen. Die Vorreiter der Gentrifizierung, die Burgerläden, Bars und Backstuben an der Schillerpromenade, bekamen mit Farbanschlägen und brennenden Autos zu spüren, dass sie bei vielen nicht gut gelitten sind. Und immer wieder klappt es mit dem Widerstand. Die Galerie und Kneipe Labettolab in der Okerstraße konnte eine Verlängerung ihres Pachtvertrags erkämpfen, und auch der Mädchentreff Schilleria in der Herrfurthstraße sprang der Verdrängung nochmal von der Schippe. Und so legt auch der Schiller’s-Wirt Schwienbacher Widerspruch gegen die Kündigung ein.

Vor vier Jahren wurde das Haus an der Ecke Schillerpromenade/ Okerstraße, in dem das Schiller’s liegt, an die Aramis Immobilien GmbH verkauft. Die alte Hausbesitzerin, die auch mal gerne im Schiller’s „einen zwitscherte“, hätte Schwienbacher angeblich nie gekündigt. Aramis gehört zum Firmengeflecht der Samwer-Brüder. Das Milliardärs-Trio investiert schon länger in Immobilien – ob mit Privatvermögen oder mittels Kapital ihrer Startup-Schmiede Rocket Internet. Die Mieterinnen des Hauses in der Urbanstraße 67, einem Wohnhaus in Kreuzberg, sind einem Kauf durch Rocket Internet im Juli durch Proteste und die Ausübung des Vorkaufsrecht gerade noch entgangen. Der Privatclub hatte weniger Glück. Nach der Samwer-Übernahme muss der Club in der Skalitzer Straße wegen Lärmbeschwerden der neu über ihm einquartierten Start-Ups bis 2022 aus seinen jetzigen Räumlichkeiten ausziehen. Die Miete hatten die neuen Eigentümer auch verdoppelt.

Ein Kiez unter Druck

Wer von den Samwer-Brüdern gekauft wird, kriegt das zu spüren. Die Bewohnerinnen des Hauses, in dem Schwienbacher seine Kneipe hat, berichten von Vorgängen, die System zu haben scheinen. Sie erzählen von unlauteren Betriebskostenerhöhungen, Wohnungen, die saniert und dann an Expats weitervermietet würden, die nur zwei, drei Jahre bleiben und weiterziehen wollen. Nötige Reparaturen in den Wohnungen langjähriger Mieterinnen würden dagegen nicht erledigt, die Hausverwaltung lasse sich kaum blicken. Zuletzt gab es eine Mieterhöhung von 15 Prozent. Die 37 Quadratmeter einer Ein-Zimmer-Wohnung im Haus wurden für 950 Euro kalt neu angeboten.

Die Mieterinnen fürchten, dass eine Umwandlung in Eigentumswohnungen bevorsteht. Das ist trotz Milieuschutz möglich, wenn sich die Eigentümer darauf verpflichten, in den sieben Jahren nach der Umwandlung die Wohnungen nur an die Mieterinnen zu veräußern.

Auf mehrfache Anfragen per E-Mail und Telefon meldet sich Felix Fessard von Augustus Cap, Teil des Samwer-Firmengeflechts, zurück. Er schließt eine Umwandlung in Eigentumswohnungen aus und sagt, man wolle eine Nutzung für die Gewerberäume finden, die sich „besser mit der darüber liegenden Wohnnutzung verträgt“. Er betont, dass Alexander Samwer nicht Eigentümer des Hauses sei. Juristisch ist das korrekt, Eigentümerin ist die Aramis Immobilien GmbH, deren Geschäftsführer Samwer ist. Interessant ist auch, dass eine andere den Samwers zugerechnete Firma, nämlich Augustus Cap, und nicht Aramis Auskunft zu den Plänen für das Haus gibt.

Die veränderte Kneipenlandschaft ist das sichtbarste Zeichen für den Wandel im Kiez, der vor allem seit der Schließung des Flughafens Tempelhof Fahrt aufgenommen hat. 2009 öffnete das Circus Lemke, dann Frollein Langner, Café Engels und die Pappelreihe. Second-Hand-Mobiliar, Longdrinks und Latte Art kamen plötzlich gut an im Kiez.

Auch im Schiller’s verkaufte sich immer weniger Futschi, dafür hat Schwienbacher jetzt eine ordentliche Auswahl an Flaschenbier und mischt manchmal Gin Tonic. Der Wirt erinnert sich an seinen ersten Ausflug mit Hund auf das neu eröffnete Feld. „Wer soll denn hier herkommen?“, fragte er sich damals. „Eine große Leere war das.“ Doch dann kamen die Skater, Radlerinnen und Kitesurfer und nach ihnen alle anderen. Weil nicht mehr ständig Flugzeuge drüberdonnerten, füllte sich der Kiez mit Studierenden und internationalen Gästen, ins Schiller’s kamen plötzlich täglich neue Leute.

„Früher war das hier die Heimat der Arbeitslosen. Das Geld reichte bis zur Monatsmitte, dann wurden Flaschen gesammelt und angeschrieben“, erzählt Schwienbacher, der das Schiller’s die ersten Jahre noch über einen nebenher laufenden Kaffeevertrieb finanzierte. Als Wirt hat er von den Veränderungen zunächst auch profitiert. Ein englischer Musiker aus der Nachbarschaft organisierte Konzertabende. Dabei platzte das Schiller’s aus allen Nähten. Aber die Auftritte mussten wieder eingestellt werden, es gab Beschwerden über Lärm. Die kamen nicht von den alten, sondern den neuen Bewohnern.

Anders als die Bewohnerinnen des Hauses hat Schwienbacher mit seinem Schiller’s nur wenige Möglichkeiten, gegen die Samwers vorzugehen. Gewerbemieten sind vom Milieuschutz ausgenommen. Die Kündigung bedroht Schwienbachers Existenz. „Alles, was man aufgebaut hat, verliert man. Wie soll ein über 60-Jähriger denn noch einen Job finden? Das ist mittelalterlich und unsozial“, ärgert sich Schwienbacher. Er wollte erst gar nichts gegen die Kündigung unternehmen. „Die haben das Recht auf ihrer Seite, das hätte eh nichts genutzt.“


Der Widerstand wächst


Aber es wäre nicht der Schillerkiez, würde sich kein Protest formieren. Selbst, wenn er zu den Betroffenen erst hingetragen werden muss. Redaktionsmitglieder der Neuköllner Zeitung „Kiez und Kneipe“, die im Schiller’s ihre Sitzungen abhält, überredeten Schwienbacher, sich die Hilfe eines Anwalts zu holen, und eine Nachbarin brachte Sammelbögen für Unterschriften. Frieda Sachsenheimer, Gast im Schiller’s, begann mit Freunden an der Kampagne #saveschillers für den Erhalt der Kneipe zu arbeiten. Sie schlossen sich wiederum mit den kämpfenden Hausbewohnerinnen zusammen, der „SchillerInitiative“.

Bezirksstadtrat Jochen Biedermann von den Grünen und die von der „Zeit“ zur „Hausretterin“ ernannte Elena Poeschl von Kiezkonnektors, einem Projekt, das Häuser vernetzen soll, haben auch schon ihre Unterstützung angekündigt. „Das ist einfach alles von selbst gewachsen“, sagt Schwienbacher, von der Solidarität seiner Gäste und Nachbarinnen sichtlich gerührt. „Ich hoffe, dass es ein Signal und ein Ansporn für andere Leute in meiner Situation ist, auch etwas zu tun“.

Ein Signal, das inzwischen auch bei den Samwers angekommen sein dürfte. Schwienbacher hofft nun, mit der Unterstützung aus dem Kiez den Rauswurf solange wie möglich rauszuzögern. Durch den Einspruch wurde die Kündigungsfrist bis November verlängert und bis es zu einer Räumung käme, würden weitere Monate vergehen.

Vielleicht wird der Wirt also auch noch zum Besetzer, der die ganz großen Investoren herausfordert. Das benachbarte Syndikat macht es vor.

Die Online-Petition openpetition.de/saveschillers

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