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Filmkritik

„Schlingensief – In das Schweigen hineinschreien“ von Bettina Böhler: Kunst kommt von Angst

Künstlerporträt Christoph Schlingensief haftete immer das Image eines jugendlichen Provozierers an. Wenn jemand „Tötet Helmut Kohl“ oder „Tötet Möllemann“ ruft, eine Flagge des Staates Israel verbrennt oder stinkende Fische in den Garten eines Politikers wirft, dann sind das tatsächlich Aktionen, die mit einem Protestpotential spielen, das heute oft sehr grundsätzlich gegen „das System“ gewendet wird. Es wäre höchst spannend, zu sehen, wie Schlingensief heute mit dem Populismus umgehen und mit Rechten (nicht) reden würde. Aber der Filmemacher, Theaterregisseur und Aktionskünstler starb 2010 im Alter von noch nicht einmal fünfzig Jahren. Bettina Böhler hat ihm nun ein Jahrzehnt später einen Dokumentarfilm gewidmet, bei dem sie auf reichhaltiges Archivmaterial zurückgreifen konnte: „Schlingensief – In das Schweigen hineinschreien“ entstand im Umfeld der Filmgalerie 415, die das filmische Werk von Schlingensief auf DVD vertreibt.

Schlingensief - In das Schweigen hineinschreien
„Schlingensief – In das Schweigen hineinschreien“. Foto: Filmgalerie 451

Und mit einem Kinowunderkind beginnt die Sache auch: Der Sohn eines Apothekers aus Oberhausen dreht schon als Kind die ersten Filme, fährt extra nach Venedig, um sich von Wim Wenders für die Aufnahme an einer Filmschule protegieren zu lassen, wird dann doch nicht genommen, und lernt eben alles selbst. Die Freundschaft zu bedeutenden Kollegen aus der Gegend (Werner Nekes, Helge Schneider) hilft weiter, dazu kommt eine brillante Intuition für das, was in Deutschlands Kultur wichtig und richtig ist. Schlingensief macht Untergrund- oder Trashkino, und hofft, auf diese Weise seinen Teil dazu beizutragen, Adolf Hitler (und das autoritäre, gewaltbereite Reservoir in Deutschland) „abzunutzen“.

Immer auf Sendung: „Christoph Schlingensief – In das Schweigen hineinschreien“ von Bettina Böhler

Bettina Böhlers Film durchmisst linear alle Stationen auf Schlingensiefs Weg, bis zu seiner „Parsifal“-Inszenierung in Bayreuth, mit der er seine Krebserkrankung in Zusammenhang brachte. Man sieht viele Ausschnitte aus dem Werk, dazu teils sehr private Familienszenen, und immer wieder dazwischen Schlingensief, wie er sich selbst kommentiert – häufig in seinen legendären Gesprächen mit Alexander Kluge. Das ist alles sehr materialreich und interessant. Ein zumindest angedeuteter Versuch einer Überlegung, was Schlingensief für heute bedeuten könnte, wäre vielleicht schon ein anderer Film geworden. Dieser bereitet eine Grundlage für weitere Auseinandersetzungen mit einem Genie, das den Dauersendezustand des Zeitalters der sozialen Medien kritisch übertreibend vorwegnahm: „Ab ein Uhr wird zurückgesendet.“

D 2020. 122 Min.; R: Bettina Böhler; Kinostart: 20. 8. 2020


Alle Filmstarts vom 20. August; die Filmstarts vom 13. August; die Filmstarts vom 6. August. Ein besonderer Tipp: die UFA-Filmnächte.

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