Marcel Weber, Geschäftsführer des queeren Club SchwuZ in Neukölln, hat die Berliner Institution für 25 Jahre begleitet. In einem Vierteljahrhundert Cluballtag ist viel passiert: ein Umzug, die Pandemie, durchzechte Partynächte, eine Stiftungsgründung und der Eintritt in eine Genossenschaft. Doch jetzt hat Marcel Weber sein Aus verkündet. Im Interview erzählt er, wie er auf die Zeit im SchwuZ zurückblickt und welche neuen Herausforderungen zukünftig für ihn anstehen.
Marcel Weber: „Mit der Clubkultur werde ich fest verbunden bleiben“
tipBerlin Marcel Weber, den queeren Club SchwuZ gibt es seit fast 47 Jahren. Ganze 25 Jahre haben sie dort gearbeitet. Jetzt ist Schluss. Wie geht es ihnen damit?
Marcel Weber Sehr gut. So eine Entscheidung trifft man in der Regel nicht aus dem Bauch heraus. Ich denke schon länger über meine persönliche Entwicklungsperspektive nach, ein paar Fragen beschäftigen mich schon seit einer gewissen Zeit. Ich habe den Job im SchwuZ sehr gemocht, von den 25 Jahren war ich 13 Jahre lang Geschäftsführer im Club. So lange in einem Betrieb zu arbeiten, das ist ja heute eher die Ausnahme. Einzelne Projekte werde ich auch weiterhin ehrenamtlich begleiten. Doch so sehr ich die Arbeit im SchwuZ auch geliebt habe, zukünftig brauche ich einen neuen Rahmen den mir der Club nicht bieten kann. Und deswegen musste ich eine Entscheidung treffen, die ich jetzt auch umgesetzt habe.
tipBerlin In einer Mitteilung heißt es, dass sie sich neuen persönlichen und beruflichen Herausforderungen stellen möchten. Wie sehen diese aus?
Marcel Weber Diese Frage stelle ich mir momentan selbst. Eine ungefähre Richtung gibt es aber schon. Ich möchte weiter mit Menschen aus dem kreativen Bereich arbeiten, mit der Clubkultur werde ich fest verbunden bleiben, auch über die Clubcommission in dessen Vorstand ich bin. Mir ist es wichtig das zu tun, was ich am besten kann und was mir am meisten Freude bereitet.
Man könnte sagen, dass ich mich momentan in einem riesigen Raum befinde, in dem zahlreiche Regale voller Möglichkeiten stehen.
Marcel Weber
tipBerlin Und das wäre?
Marcel Weber Netzwerke bauen, Menschen zusammenbringen, um dann coole Dinge wachsen zu lassen. Wenn verschiedene Expertisen und Kompetenzen aufeinandertreffen, dann kann daraus etwas großartiges entstehen. Das hat in der Genossenschaftsgründung des SchwuZ gut funktioniert, das funktioniert auch so in der Clubcommission. Ich könnte mir vorstellen Menschen und Organisationen in Transformationsprozessen zu begleiten, ich bin da gerade im Gespräch und schaue mir verschiedenes an. Für mich ist es das schönste, wenn Dinge ermöglicht werden und zum fliegen kommen. Man könnte sagen, dass ich mich momentan in einem riesigen Raum befinde, in dem zahlreiche Regale voller Möglichkeiten stehen. Ich laufe gerade zu jedem einzelnen und gucke mir die jeweiligen Möglichkeiten an. Was ich daraus mache, wird sich ergeben.
Marcel Weber: „In Zeiten von Polarisierung und Rechtsruck waren wir als Ort der Vielfalt nicht mehr für die Community zugänglich“
tipBerlin Das SchwuZ ist nicht nur eine Berliner Institution, sondern auch Deutschlands ältester queerer Club. In 25 Jahren Cluballtag ist wahrscheinlich viel passiert. Wie blicken Sie auf die Zeit zurück?
Marcel Weber Insgesamt mit viel Stolz. Aber auch mit Wehmut. Ich werde die Zeit sehr vermissen. Aber der Stolz überwiegt. Ich bin in einer Zeit zum SchwuZ gekommen, in der es um die Frage ging, wie lange der Club noch am alten Standort, am Mehringdamm, bestehen kann. Kurz danach mussten wir umziehen. Nach Neukölln. Die Befürchtungen waren groß, denn die Menschen haben die familiäre Wohnzimmeratmosphäre am alten Standort geliebt. Für manche ist dieses Gefühl mit dem Umzug in die Rollbergstraße verloren gegangen. Die neuen Räume haben einen ganz anderen Charakter, dadurch sind so manche Herausforderungen entstanden. Aber eben auch Möglichkeiten. Letztlich hat sich der Club am neuen Standort super entwickelt, auch als Kulturinstitution.
tipBerlin Welcher Moment ist ihnen besonders positiv im Gedächtnis geblieben?
Marcel Weber Eine große Erleichterung ist es, dass das SchwuZ jetzt in einer Genossenschaft ist. Für die nächsten 99 Jahre muss also kein neuer Standort gefunden werden (lacht). Das ist schon etwas, bei dem ich mir ganz egoistisch und unverblümt auf die Schulter klopfe. Und all das bleibt, auch wenn ich jetzt weg bin. Ebenso erinnere ich mich sehr gerne an die letzte Party am alten Standort zurück, die Stimmung war total emotionsgeladen. Aber auch die erste Clubnacht in Neukölln hatte eine geile Atmosphäre, da war das SchwuZ für 72 Stunden geöffnet.
tipBerlin Und gab es auch negative Momente?
Marcel Weber Naja, wenn man das ganze aus der Retrospektive betrachtet, dann war sicherlich die Pandemie die schlimmste Phase die wir als Club erleben mussten. In Zeiten von Polarisierung und Rechtsruck, der ja nicht erst seit diesem Jahr existent ist, waren wir als Ort der Vielfalt und Demokratie nicht mehr für die Community zugänglich. Das war nicht nur für unser etabliertes Publikum eine schwierige Situation, einer gesamten jungen Generation fehlte in dieser Zeit eine Anlaufstelle. Clubs sind nicht nur Orte an denen man sich treffen und Musik hören kann, sie bieten demokratische Prozesse und eine kulturelle Praxis. Man trifft hier die unterschiedlichsten Menschen, mit den unterschiedlichsten Hintergründen, das ist ja das tolle daran. Doch all das ist den Menschen verwehrt worden. Mit den Auswirkungen haben wir immer noch zu kämpfen.
Marcel Weber: „Wir konnten irgendwann unser Kulturprogramm nicht mehr aus den Party-Reihen heraus subventionieren“
tipBerlin Clubs sind wichtige Orte, das stimmt. Aber das SchwuZ ist noch so viel mehr. Der Club bietet der queeren Community einen safer space, neben Dragshows finden hier auch FLINTA*-Abende und Darkroom-Barnights für Homosexuelle statt. Welche Bedeutung hat der Club für Berlin?
Marcel Weber Ich glaube, da muss auf verschiedenen Ebenen geschaut werden. Ja, das SchwuZ ist ein safer space für die queere Community, ebenso ist der Club eine Bühne für Ausdrucksweisen von verschiedenen Lebensrealitäten. All das ist wichtig, denn so können sich Persönlichkeiten entfalten. Aus diesem Umfeld heraus haben es manche bis auf die große Bühne geschafft, Jurassica Parka ist da nur ein Beispiel.
tipBerlin Neben durchzechten Partynächten unterstützt das SchwuZ seit seiner Gründung queere Kunst und Kultur. Auch sie haben sich aktiv dafür eingesetzt. Unter ihrer Leitung wurde diese Arbeit mit der Gründung der SchwuZ Queer Stiftung GmbH manifestiert. Warum waren ihnen solche Projekte wichtig?
Marcel Weber Wir konnten irgendwann unser Kulturprogramm nicht mehr aus den Party-Reihen heraus subventionieren. Für Clubs gibt es keine staatliche Dauerförderung, wie das zum Beispiel bei Museen oder Theatern der Fall ist. Es mussten also andere Wege gefunden werden. Die Queer Stiftung war eine super Idee, denn dadurch ist eine gemeinnützige Struktur geschaffen worden, die Spenden für queere Kunst und Kultur gesammelt hat. All das hat den Druck aus den Partys genommen und gleichzeitig wurde ein neuer Rahmen für wirtschaftliches geschaffen. Das ist ein Prozess und wir stehen damit noch am Anfang. Es wird noch ein paar Jahre dauern, bis das alles rund läuft. Aber dadurch haben wir die Möglichkeit genau das umzusetzen, was uns wichtig ist.
tipBerlin Wird diese progressive Ausrichtung des Clubs auch zukünftig bewahrt?
Marcel Weber Ich gehe davon aus. Das SchwuZ ist schon immer progressiv gewesen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass auch eine zukünftige Generation an Menschen für die Community da ist. Das ist wichtig.
tipBerlin Aber nun ohne Sie.
Marcel Weber Nicht ganz, ich bin weiterhin Mitglied im SchwuZ Verein und werde zumindest auch in dieser Rolle versuchen Einfluss zu nehmen. Ich wünsche mir, dass das SchwuZ auch in den nächsten Dekaden ein Raum für Veränderung ist. Ich glaube da ist noch vieles möglich und ich freue mich darauf, all das beobachten zu können.
- SchwuZ Rollbergstr. 26, Mi–So geöffnet, Mo+Di geschlossen, online
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