• Stadtleben
  • Politik
  • Sexuelle Belästigung: Wie sich Opfer fühlen – und wie man sich wehrt

Sexuelle Belästigung

Sexuelle Belästigung: Wie sich Opfer fühlen – und wie man sich wehrt

Es passiert überall und ständig: Sexuelle Belästigung. Diskriminierung auf Grund des Geschlechts oder der Herkunft sind Alltag in Berlin und überall auf der Welt. Wie fühlt es sich an, wenn man selbst Opfer sexueller Belästigung wird? Und wie kann man sich dagegen wehren?

Sexuelle Belästigung, Sich Wehren, Nein
In Deutschland hat jede zweite Frau schon einmal sexuelle Belästigung am eigenen Körper erlebt. Foto: Unsplash/Nadine Shaabana

Wie fühlt man sich als Opfer sexueller Belästigung?

In meiner Heimatstadt Berlin, habe ich bis zu meinem 12. Geburtstag nur wenig Ausgrenzung erlebt. Meine arabischen, thailändischen, türkischen, polnischen, deutschen, indischen, senegalesischen und russischen Mitschüler waren für mich alle gleich. Meine männlichen und weiblichen Freude waren für mich gleich. Ich konnte mir überhaupt nicht vorstellen, dass ich einmal als 21-jähriges Mädchen in der U-Bahn von einem Mitte dreißigjährigen Mann angestarrt und gemustert würde, als hätte er noch nie zuvor einen anderen Menschen gesehen. Mein erster Gedanke war, dass er mich attraktiv findet. Aber das musste er mir doch nicht durch sein Starren zeigen. Auch Blicke können übergriffig sein.

Seinen aufdringlichen Blick spürte ich auch noch, als ich mich zwei Meter weiter weg aus seinem Blickfeld stellte. Er neigte seinen Kopf zur Seite und starrte weiter. Und ich war gezwungen, darüber nachzudenken. Ich hoffte, dass die U-Bahn so schnell wie möglich in den nächsten Bahnhof einfährt, damit ich eine Station früher aussteigen und vor seinem Blick sicher sein könnte. Was sagt man in einem solchen Moment? „Guck mich nicht an!“? Um dann arrogant und eingebildet dazustehen? Beim nächsten Mal, nahm ich mir vor, bewege ich mich nicht weg und stelle eine Suggestivfrage: „Ist Ihnen bewusst, dass Sie mich gerade anstarren?“ Ich konnte meinen Gedanken nicht mal zu Ende fassen, als der bunt gekleidete, alkoholisierte Mann von seinem Sitz aufstand und in meine Richtung lief, mich frech angrinste und sich mit knapp einem Meter Abstand frontal vor mir aufbäumte.

Hatte er nicht bemerkt, wie unangenehm es mir ist, angestarrt zu werden? Wie ich während den gesamten zehn Minuten, die wir gemeinsam mit anderen Passanten fuhren, nicht einmal seinen Blick erwiderte? Er fragte, augenscheinlich angeturnt von sich selbst und seinem vermeintlichen Mut, aufzustehen und sich vor mich zu stellen: „How are you?“. Ich reagierte kalt und bestimmt. Sofort hielt ich meine Hand ausgestreckt mit der flachen Hand vor seinen Körper, um ihm zu signalisieren: „Abstand halten“. Er bewegte sich nicht von Stelle und entgegnete mir: „Was los? Hast du Corona oder was? Schlitzauge in deinem weißen Mantel. Schlampe.“ Währenddessen fuhren wir gerade in den nächsten Bahnhof ein. Ich stieg aus, schaute ihn nicht mal an und antwortet auch nichts auf diese Beleidigung. 

Ging er davon aus, dass er sich als Mann einfach über mich stellen konnte? Hatte er einfach ein anderes Verständnis von Nähe? Das einzige klare Fazit, dass ich fassen konnte war: Er hat sich respektlos und unfassbar unhöflich vor mir aufgebäumt und bekam daraufhin einen Korb. Argumentslos wie er war, bezeichnete er mich als Schlampe, weil ich nicht geantwortet habe, und als Schlitzauge, weil ich kambodschanische Wurzeln habe. 

Wenige Tage später, lief ich am Kotti die Treppe des U-Bahn Ausgangs nach oben, eine Tasche in der einen Hand, mein Fahrrad auf meiner Schulter und in der anderen Hand, und spürte, wie jemand in meine Jackentasche griff. Ich drehte mich um. Er bewegte sich nicht weiter, aber drehte seinen Kopf weg. Als ich ihn mit „Ey!“ ansprach, reagierte er nicht. Also lief ich weiter und er streifte mit seiner Hand mein Gesäß. Ich verlagerte das Gewicht meines Fahrrads so, dass meine Schulter es alleine tragen konnte, drehte mich zu dem jungen Mann um und fragte schreiend: “Geht’s noch klar bei dir?”. Ich schlug seine Hände weg. Er hatte erst versucht, mich zu beklauen und als das nicht funktionierte, begrabschte er mich einfach. 

Keine Entschuldigung für sexuelle Belästigung

Nein heißt Nein. Für sexuelle Belästigung gibt es keine Entschuldigung. Foto: Unsplash/Jon Tyson

Ich entwickelte ein Gefühl von Abscheu, Unverständnis und Wut. Offensichtlich war das, was ich in meiner Kindheit an bedingungslosem Respekt in Bezug auf Geschlecht und Herkunft erlebte, überhaupt nicht repräsentativ für die Wirklichkeit. Wissen die Täter es nicht besser? Kann das sein in Berlin? Es nicht besser wissen als das?

Es ist egal, welcher Kultur man angehört. Die Prägung ist die Ursache für den ersten Denkansatz oder Handlungsimpuls, den man in einer Situation hat. Aber man kann auch Weiterdenken. Ein Mensch bei Verstand spürt, wenn sich sein Gegenüber unwohl fühlt. Die Frage ist, warum es reizvoller ist, jemandem sein Unwohlsein, seine Scham oder seine Wehrlosigkeit anzusehen, als jemandem auf Augenhöhe zu begegnen. Wen auch immer man vor sich hat – die Person ist doch auch nur ein weiterer, eigenständiger Mensch. Und damit gleichwertig.

Was kann man tun, wenn man selbst Opfer sexueller Belästigung wird? 

Zuerst einmal gibt es die Antidiskriminierungsstelle des Bundes und Ihre Beratungsstellen. Die Berliner Polizei stellt ebenfalls spezielle Hilfs- und Beratungsangebote für Oper sexueller Belästigung und Gewalt bereit. Auch den Notruf kannst du wählen. Konfrontiere wenn möglich den Täter, z.B. mit einer Suggestivfrage wie: „Ist Ihnen bewusst, dass Sie mich gerade belästigen?“. Äußert sich die sexuelle Belästigung in Form von Berührungen oder Beleidigungen, macht sich der Täter strafbar.

Viele Situationen erlauben es nicht, sich dem Täter selbstbewusst gegenüber zu stellen. In dem Fall empfehlen wir, als erstes an die eigene Sicherheit zu denken und sich schnellstmöglich aus der Situation zu befreien. Begib dich nach Möglichkeit nicht in die Opferrolle. Täter sexueller Belästigung spornt es oftmals an, sich in einer Machtposition wiederzufinden. Wenn du von anderen Menschen umgeben bist, dann mache auf deine Situation aufmerksam. Zum Beispiel, indem du auf die Person zeigst und laut sagst: „Entschuldigung, diese Person hat mich gerade angefasst und ich kenne sie nicht. Sie belästigt mich. Ich möchte sichergehen, ihr die Aufmerksamkeit zu geben, nach der sie offensichtlich sucht.“ Das Wichtigste ist: Sprich es laut aus. Sprich darüber.

Antidiskriminierungsstelle des Bundes: 030 18555 1855


Durch Corona wurden die Straßen Berlins für Frauen noch unsicherer. Es ist enorm wichtig für einander einzustehen. Wie schön, dass so viele Berliner – zum Beispiel in Bezug auf die Rettung unserer Lieblingslokale – Solidarität zeigen, wenn es darauf ankommt. Für alle, die Hilfe brauchen und Hilfe anbieten: „tip berlin hilft“ bringt Hilfesuchende und Helfer zusammen. Und noch mehr tolle Neuigkeiten: Nach langer Zeit wird es wieder eine Frauenbuchhandlung in Berlin geben.

Berlin am besten erleben
Dein wöchentlicher Newsletter für Kultur, Genuss und Stadtleben
Newsletter preview on iPad