Indie

Beatles, bloß Indie: Sleater-Kinney spielen im Astra Kulturhaus

Sleater-Kinney kamen vom Noise-Punk der Riot-Grrrl-Szene und wurden zu einem der wichtigsten Heavy-Rock-Acts aller Zeiten. Geblieben sind sie Ikonen eines kämpferischen Feminismus, der keine Parolen nötig hat

Foto: Nikko Lamere

Da waren’s nur noch zwei. Im Juli letzten Jahres verkündete die Schlagzeugerin Janet Weiss, dass sie Sleater-Kinney verlässt, jene feministische Vorzeigerockband, für die sie seit fast einem Vierteljahrhundert hinter der Schießbude gesessen hatte. Der Verlust ihrer Gefährtin traf Corin Tucker und Carrie Brownstein, die beiden Gründerinnen und gleichberechtigt komponierenden, singenden und Gitarre spielenden Köpfe des ohne Bassistin agierenden Trios schwer, zumal der Zeitpunkt wenig diplomatisch wirkte: Die Veröffentlichung des neunten Sleater-Kinney-Albums mit dem nun prophetisch klingenden Titel „The Center Won’t Hold“ stand kurz bevor, schon für die im Spätsommer anstehenden Konzerte musste ein Ersatz gefunden werden.

Noch verheerender war die Reaktion der Fans in den Internet-Foren. Andeutungen von Weiss, dass sie bei der neuen Ausrichtung von Sleater-Kinney keinen Platz mehr für sich sehe, wurden so ausgelegt, als sei sie aus der Band gedrängt worden. Eine Schuldige war rasch identifiziert: Annie Clark alias St. Vincent, die als Produzentin des neuen Albums der Band nicht nur musikalisch den Zahn gezogen habe, sondern als zeitweilige Geliebte von Carrie Brownstein auch zwischenmenschlich den Spaltpilz gespielt hätte. In der Rolle der Yoko Ono für die weiblichen Indierock-Beatles ist Annie Clark natürlich eine perfekte Besetzung, bedroht ihr eine Generation jüngerer, auf eine andere Art aggressiver und stilistisch offenerer Ansatz für feministisch-queere Popmusik den geliebten Brachialsound einer der wenigen ikonischen Frauenbands doch mit dem Schlimmsten: Veränderung.

Und eine Veränderung stellt „The Center Won’t Hold“ in jedem Fall dar. Schon das Titelstück scheint Janet Weiss’ Befürchtungen zu untermauern, spielt ihr unverkennbares Powergetrommel doch nur noch eine untergeordnete Rolle in der Soundarchitektur. Die hat sich bei den elf Songs insgesamt in Richtung eines groovig-poppigen, deutlich von Annie Clark inspirierten Gruppenklangs verschoben, der bei Stücken wie „Reach Out“ oder „Love“ sogar an mainstreamkompatible Künstlerinnen wie Robyn denken lässt und schließlich in der von Rihanna inspirierten Pianoballade „Broken“ mündet.

Ein weiter Weg für eine Band, die sich erst mit schroffem Noise-Punk in der Riot-Grrrl-Szene der amerikanischen Westküste einen Namen machte, ehe sie mit grandiosen Alben wie „Dig me out“ (1997), „The Hot Rock“ (1999) oder „The Woods“ (2005) eine der letzten popkulturellen Macho-Bastionen schleifen konnten und einer der wichtigsten Heavy-Rock-Acts aller Zeiten wurden – und zwar ohne paternalistische „super für eine Frauenband“-Einschränkung. Dabei gelang es Sleater-Kinney, musikalische Härte und Virtuosität mit einer aufrechten, ungekünstelten No-Bullshit-Haltung zu verbinden. Ihre Text waren politisch, ohne ins Parolenhafte abzudriften, sie sezierten strukturelle Benachteiligungen für Frauen im männerdominierten Business oder fanden in berührenden Schilderungen privater Siege und Niederlagen starke Bilder für die Komplexität weiblicher Identitätsbildung.

Jetzt aber Schluss mit dem Gossip

All das ist immer noch da, auch wenn Sleater-Kinney ihren Fans nicht den Gefallen getan haben, den reaktionären Backlash in den USA mit einem wütenden Protestalbum zu geißeln. Plumpe System- oder (im Fall von Donald Trump) Personenkritik ist eben nicht die Sache so kluger Köpfe wie Tucker und Brownstein, die schon Jahrzehnte vor #MeToo gegen patriarchale Machtverhältnisse angesungen haben. Andererseits sollte man die Radikalität und Furchtlosigkeit der beiden Fortysomethings (Tucker ist 47, Brownstein 45) nicht unterschätzen.

Am explizitesten politisch ist tatsächlich „Broken“, das in eindringlichen Zeilen („she stood up for us / when she testified / my body cried out / when she spoke those lines“) der mutigen Christine Blasey Ford ein Denkmal setzt, die mit ihrer Aussage versucht hatte, die Berufung des Trump-Günstlings Brett Kavanaugh an den Obersten Gerichtshof zu verhindern – tragischerweise erfolglos. So stellt „The Center Won’t Hold“ nicht nur inhaltlich, sondern auch formal in seiner zwischen Bratzrock und Synthiepop pendelnden Zerrissenheit ein viel aufregenderes Statement zeitgenössischer Popmusik dar, als es ein weiteres Album mit einem Dutzend emblematischer Gitarrenrockbrecher gewesen wäre.

Alle drei Ex- und Noch-Sleater-Kinneys haben inzwischen versucht, die Wogen zu glätten und Weiss’ Abgang auf das herunterzukochen, was er eben war: ein ganz normaler Prozess in einer Band, bei der die Lebenswege seit langem auseinanderdriften. Immerhin hatten sich die drei ja bereits 2006 auf unbestimmte Zeit getrennt – nicht wegen irgendeines Streits, sondern weil nach über zehn Jahren schlicht die Luft raus war aus dem gemeinsamen Projekt. Die Zeit bis zur Wiedervereinigung, die sich 2015 in dem brillanten, aber wenig Neues bietenden Comeback-Album „No Cities To Love“ manifestierte, haben Weiss, Tucker und Brownstein sehr unterschiedlich durchlebt.

Indierock-Prominenz wie Stephen Malkmus, Conor Oberst und The Shins

Corin Tucker rief unter eigenem Namen eine Band ins Leben, deren zwei Alben zwar positives Feedback bekamen, sich aber kaum verkauften. Sie wurde zum zweiten Mal Mutter, musste als Working Mum Privates und Beruf unter einen Hut bekommen und jobbte als Webdesignerin in der Firma ihres Vaters. Janet Weiss machte ihrem Ruf als Alleskönnerin Ehre und trommelte für Indierock-Prominenz wie Stephen Malkmus, Conor Oberst und The Shins und leistete sich mit der Female-Superband Wild Flag, in der auch Carrie Brownstein mitmischte, ein aufregendes, aber kommerziell bedeutungsloses Nebenprojekt.

Den größten Karrieresprung machte Carrie Brownstein, die als Autorin und Hauptdarstellerin der mit Preisen überhäuften TV-Serie „Portlandia“ in eine ganz andere Celebrity-Liga aufstieg. Von ihren Kontakten profitierte auch Weiss, die im technischen Stab von „Portlandia“ unterkam und als ältestes Bandmitglied wohl seit längerem über Berufsalternativen zum prekären Status einer Indierock-Ikone nachgedacht hatte.

Sie war es auch, die angeregt hatte, Annie Clark als Produzentin des neuen Albums zu engagieren, die man endlich aus der Schurkinnenrolle in diesem prototypischen Internet-Gossip-Schelmenstück entlassen sollte. Ein Ersatz für Janet Weiss war mit der New Yorkerin Angie Boylan schnell gefunden, deren bisherige Bands Aye Nako und Freezing Cold allerdings nur Indierock-Spezialisten bekannt sein dürften. Ihr neuer Job als Nachfolgerin einer der besten Schlagzeugerinnen weltweit ist eine Herausforderung. Dies an der Seite so überragender Musikerinnen wie Corin Tucker und Carrie Brownstein versuchen zu dürfen, ist ein Privileg. Wir sind gespannt, was dabei herauskommt.

Astra Kulturhaus Revaler Str. 99, Friedrichshain, Di 18.2., 20 Uhr, VVK 33 €

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