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100 Jahre S-Bahn

100 Jahre S-Bahn: S-Bahn-Experte Karsten Risch im Gespräch

Die Berliner S-Bahn feiert den 100. Geburtstag. Stichtag ist dafür der 8. August 2024 und damit das 100-jährige Jubiläum der Einführung des elektrischen Zugbetriebs in Berlin. Das Ereignis besiegelte das Ende von Dampfzügen, ein Meilenstein in der Geschichte des Personennahverkehrs in Deutschland. Der tipBerlin widmet dem Thema „100 Jahre S-Bahn“ eine Titelgeschichte in der Ausgabe August 2024 und ein großes Festival feiert mehrere Tage lang die S-Bahn. Aus dem Anlass sprachen wir mit Karsten Risch, dessen Buch „S-Bahn Berlin – 100 Jahre elektrischer Betrieb“ pünktlich zu den Festlichkeiten erschienen ist.

Karsten Risch, Autor von "S-Bahn Berlin – 100 Jahre elektrischer Betrieb", im Technikmuseum Berlin. Foto: Privat
Karsten Risch, Autor von „S-Bahn Berlin – 100 Jahre elektrischer Betrieb“, im Technikmuseum Berlin. Foto: Privat

Karsten Risch, 1948 in Berlin geboren, arbeitete nach seinem Studium der Elektrotechnik in der Abteilung für Straßenbahnfahrzeuge bei der AEG. Ende der 1970er Jahre wechselt er zu den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG). Unter seiner Leitung wurden unter anderem die 452 TATRA-Fahrzeuge modernisiert und hunderte Niederflurstraßenbahnen beschafft. Als Hobby ist er seit seiner Kindheit Modelleisenbahner mit „Leib und Seele“. Anfang der 1970er-Jahre kam eine weitere Leidenschaft hinzu, das Fotografieren der „richtigen“ Eisenbahnen in der Landschaft und auf den Bahnhöfen. Durch viele Publikationen in Zeitschriften und Büchern, sowie ein erstes Buch im Jahr 1984 über die Berliner S-Bahn, mit den Autoren Alfred Gottwaldt und Hermann Kuom, bekam er das Angebot, ein Buch zum 100. Jubiläum der Berliner S-Bahn zu verfassen.   

tipBerlin Herr Risch, wir werden viel über die S-Bahn sprechen, über das S-Bahn-Jubiläum und Ihr neues Buch zu dem Thema. Vorher aber noch eine persönliche Frage, erinnern Sie sich an Ihre erste Begegnung mit der Berliner S-Bahn?

Karsten Risch Nein, eigentlich nicht. Die Familie hatte erst spät ein Auto und wir sind alle Wege mit dem ÖPNV gefahren. Auch S-Bahn.

Diese Damen und Herren riefen dann: „Es ist verboten, Bahnanlagen zu fotografieren!“

tipBerlin Sie haben auch keine besondere S-Bahn-Anekdote?

Karsten Risch Ich würde es nicht als Anekdote bezeichnen, aber das Fotografieren am und auf dem S-Bahngelände in West-Berlin (Ost-Berlin war noch schlimmer), auch auf den Bahnhöfen war geprägt von der Vorsicht, der Bahnpolizei nicht in die Hände zu fallen. Einige Bahnhofaufsichten, auch wenn sie West-Berliner waren, mochten nicht, dass Fotos in ihrem Aufsichtsgebiet gemacht wurden. Diese Damen und Herren riefen dann „Es ist verboten, Bahnanlagen zu fotografieren!“ und telefonierten dann nach der Bahnpolizei der Deutschen Reichsbahn (DR). Ich bin nach dem Fotografieren dann schnell verschwunden, sodass ich nie Kontakt mit der Bahnpolizei hatte. Diese kam auch manchmal mit einem Hund (siehe Foto).

Berlin Wilhelmsruh, die Bahnpolizei mit Hund war auch zugegen, 1983. Foto: Karsten Risch
Berlin Wilhelmsruh, die Bahnpolizei mit Hund war auch zugegen, 1983. Foto: Karsten Risch

tipBerlin So haben Sie begonnen, sich sowohl beruflich wie auch privat mit der S-Bahn zu beschäftigen?

Karsten Risch Unabhängig von meinem beruflichen Werdegang, bei dem ich mich zwangsweise mit S-Bahnen beschäftigen musste, auch wenn mein Schwerpunkt auf Straßenbahnen und U-Bahnen lag. Aber bereits 1973 lernte ich einige Trainspotter kennen, die mir beibrachten die „richtige“ Eisenbahn zu fotografieren. Mit vielen bin ich heute noch eng befreundet, etwa Hermann Kuom oder Burkhard Wollny. Dieses neue Hobby ist über Jahrzehnte geblieben und auch von meiner späteren Frau akzeptiert worden.

Ein „Zuckerschlecken“ für jeden Trainspotter

tipBerlin Und dem Hobby konnten Sie auch in der Mauerstadt nachgehen, gab es hier so viele interessante Züge, die man fotografieren konnte?

Karsten Risch In West-Berlin führte das dazu, dass neben den wenigen Dampfloks (Transitzüge HH<>B) natürlich auch das Interesse an der S-Bahn geweckt wurde. Denn die Berliner S-Bahn fuhr (noch) mit den Wagen aus den 1930er-Jahren. Die Bahnanlagen waren auch in einem Zustand, der noch aus dieser Zeit notdürftig instandgehalten wurde. Ein „Zuckerschlecken“ für jeden Trainspotter. Die ersten S-Bahnfotos habe ich von der kurzen Strecke Zehlendorf nach Düppel (Zuggruppe 5) gemacht. Dort fuhr ein Steuerviertel (zwei Wagen) noch in alter Stadtbahnausführung. So habe ich über Jahre neben den Voll- und Nebenbahnen in der BRD, der DDR und in Österreich sowie der Schweiz viele S-Bahnfotos geschossen. Erst als meine Familie größer wurde, wurde das Eisenbahnhobby nach unten gefahren.

Steuerviertel (zwei Wagen) noch in alter Stadtbahnausführung, von Zehlendorf nach Düppel, 1974. Foto: Karsten Risch
Steuerviertel (zwei Wagen) noch in alter Stadtbahnausführung, von Zehlendorf nach Düppel, 1974. Foto: Karsten Risch

tipBerlin Wie kam es dazu, dass Sie das Buch zum S-Bahn-Jubiläum gemacht haben?

Karsten Risch Im Mai 2023 war ich mit Sven Heinemann (Berliner Abgeordneter und Autor der Bücher: „Ostkreuz“ und „Ringbahn“) und mein Trainspotter-Kollege Hermann Kuom zum Spargelessen im Pratergarten Pankow verabredet. Da Sven Autor zweier S-Bahn-Bücher war, kam das Gespräch auf das Jubiläum im August 2024. 100 Jahre der Elektrifizierung der Berliner S-Bahn.

tipBerlin Da haben Sie gedacht, da müssen wir doch ein Buch machen!?

Karsten Risch Exakt! Gesagt und beschlossen. Hermann war der erste, der sich zurückgezogen hatte, Sven wurde von seiner Partei (SPD) und den dazugehörigen Themen überrollt. Von beiden habe ich moralische Unterstützung erhalten und auch Fotos. Überhaupt kamen viele Fotos von meinen Freunden. Das Buch blieb aber an mir hängen.

Die Berliner S-Bahn ist an die damaligen Verhältnisse in Berlin angepasst

tipBerlin Was macht die Berliner S-Bahn besonders, gibt es etwas, was sie von anderen Bahnen in anderen Städten unterscheidet?

Karsten Risch Die Berliner S-Bahn ist an die damaligen Verhältnisse in Berlin angepasst. Nicht nur die bauliche, sondern auch unter wirtschaftlichen Erwägungen wurde die Wagengröße, die Stromart (750V DC) mit dritter Schiene gewählt. Ein vorhandenes Schienennetz mit Kopfbahnhöfen und Verbindungsbahnen waren vorhanden und steckten den Rahmen ab. Die Wahl der dritten Schiene mit Gleichstromversorgung ist das Besondere an der Berliner S-Bahn. Das kennt man sonst nur von U-Bahnen. Der S-Bahn Nordsüd-Tunnel schränkt durch seine kleine, enge Bauweise auch das Lichtraumprofil (Außenabmessungen und Kurvenverhalten der Wagen) der Fahrzeuge ein.

tipBerlin Die S-Bahn war und ist auch immer wieder ein Politikum, vor allem in der Mauerzeit. Ist die S-Bahn ein politisches Symbol?

Karsten Risch „Wir finanzieren nicht den Stacheldraht von Ulbricht“, der Satz war für alle West-Berliner und auch für die Politiker in der Mauerzeit maßgebend. So wurden parallele Autobuslinien zur S-Bahn geschaffen und damit sank die Fahrgastzahl für die Deutsche Reichsbahn (DR), also die DDR-Staatsbahn, und damit auch die Deviseneinnahmen. Der Verfall der Anlagen war vorprogrammiert. Die Gehälter der Westangestellten sowie deren Anzahl wurde gering gehalten. 1980 rebellierten die Angestellten, und die Folge war die teilweise Einstellung des S-Bahnverkehrs. Es wurden nur noch drei Linien betrieben. Die Verbindung Friedrichstraße über die Stadtbahn nach Wannsee und die Nordsüd-Verbindungen von Heiligensee, Frohnau nach Lichterfelde-Süd und Lichtenrade.

Eine S-Bahn hat gerade den Nord-Süd-Tunnel verlassen und überquert die DDR-Grenzanlagen. Foto: Karsten Risch
Eine S-Bahn hat gerade den Nord-Süd-Tunnel verlassen und überquert die DDR-Grenzanlagen. Foto: Karsten Risch

tipBerlin Bis die West-Berliner S-Bahn dann nicht mehr vom Osten aus betrieben wurde, sondern vom Westen aus, richtig?

Karsten Risch 1984 wurde mit der Übernahme des Verkehrs (Betriebsrechte) durch die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), mit der Genehmigung der Alliierten und Zahlungen an die DR wieder in die West-S-Bahn investiert. Die alten Fahrzeuge wurden einer Hauptuntersuchung unterzogen und Strecken wurden saniert. Bis zur Wendezeit gab es neue Fahrzeuge (BR 480) und die Fahrgastzahlen gingen nach oben. Aber ein Symbol ist die S-Bahn nie gewesen. Die Nichtnutzung war in der Bevölkerung eine Selbstverständlichkeit. Keine Unterstützung des Unrechtstaates! Symbol? Die Mauer war ein Symbol, ein negatives! Die Berliner S-Bahn mit ihrer Ringbahn ist ein positives!

100 Jahre S-Bahn: „Es gibt immer etwas zu verbessern“

tipBerlin Herr Risch, Sie kennen die S-Bahn in- und auswendig, was würden Sie tun, wenn Sie Chef der S-Bahn wären?

Karsten Risch Wenn ich jetzt „Nichts“ sage, ist es falsch, denn es gibt immer etwas zu verbessern. Mit der aktuellen Geschäftsführung, dem Herrn Buchner, ist ein Fachmann im Amt, der die „Weichen richtiggestellt hat“, also lassen wir ihn machen. Nach der unsäglichen Misere durch Sparen und den technischen Problemen ist die „Ruhephase“ eingetreten, die nun für Verbesserungen genutzt wird. Neue Fahrzeuge, die technisch auf dem neuesten Stand beeindrucken und Streckenerweiterungen und -neubau sind der richtige Weg. Dem ist nichts hinzuzufügen, solange das Angebot der Nachfrage folgt.

tipBerlin Wie sieht es mit der Pünktlichkeit aus, da knirschen viele Fahrgäste doch oft mit den Zähnen.

Karsten Risch Das ist verbesserungswürdig, die Störanfälligkeit der Strecken und die Pünktlichkeit, verursacht durch betriebliche Problemstellungen und die rechtliche Vorgehensweise bei Vorfällen durch Fahrgäste. Gemeint sind der Feuerwehr- und Polizeieinsatz und der ruhende Verkehr bis zur Klärung durch die Einsatzkräfte. Aber ob sich das überhaupt ändern lässt?

  • Weitere Informationen zu Karsten Risch sowie eine Auswahl seiner Fotos befinden sich auf seiner Website
  • S-Bahn Berlin – 100 Jahre elektrischer Betrieb von Karsten Risch, GeraNova Bruckmann Verlagshaus, 192 Seiten, ca. 300 Abb., Format 22,8 x 29,6 cm, Hardcover, 34,99 € (zu beziehen online, z.B. über den BahnBuchShop oder über den regulären Buchhandel)

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Wir begeben uns auf die Spuren der Stadtgeschichte: Unsere historischen Artikel über berühmte Straßen in Berlin findet ihr hier. Berühmt ist auch ein Ort im Zentrum: Wir unternehmen eine fotografische Zeitreise zum Alexanderplatz. Faszinierende Zeugnisse der Geschichte sind auch diese 12 historischen Karten Berlins. Alte Bilder: Max Missmanns Fotografien zeigen das historische Berlin nach 1900. Auch der Pinselheinrich hatte eine Kamera: Zilles Fotografien zeigen Berlin zu Anfang des Jahrhunderts. Alles zu Berlins Vergangenheit findet ihr in unserer Geschichts-Rubrik.

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