Als Deutsches Kaiserreich wird rückblickend die Zeit zwischen der Reichsgründung 1871 und 1918, dem Ende des Ersten Weltkrieges, bezeichnet. Am 18. Januar 2021 jährte sich die Proklamierung des deutschen Kaisers zum 150. Mal. Berlin wurde damit Reichshauptstadt und Reichskanzler Bismarck strebte nach Weltmacht.
Die von Imperialismus, Militarismus und Kolonialpolitik geprägte Ära führte 1914 in eine Katastrophe und bis heute gilt sie vielen rechtsnationalen Extremisten als Blaupause für großdeutsche Begehrlichkeiten. Zugleich war sie aber auch die Geburtsstunde von Berlin als Weltstadt sowie des sozialen, politischen und gesellschaftlichen Fortschritts. Wir schauen zurück auf dieses Kapitel der deutschen Geschichte, das Berlin nachhaltig definiert hat.
Der Deutsch-Französische Krieg von 1870 bis 1871
Heute ist Frankreich der wichtigste europäische Partner Deutschlands, das war lange Zeit anders. Immerzu bekriegten sich die beiden Mächte. Mal gewannen die einen, mal die anderen. Man sprach vom Erbfeind, der auch in den beiden Weltkriegen bekämpft wurde.
Der Deutschen Reichsgründung von 1871 ging der Deutsch-Französische Krieg von 1870 bis 1871 zuvor. Ein Deutsches Reich gab es zu dem Zeitpunkt noch nicht, sondern den Norddeutschen Bund unter der Führung Preußens. Nach dem Sieg über Frankreich, entschieden sich die deutschen Bündnispartner, das Deutsche Reich zu proklamieren.
Die Proklamierung des deutschen Kaiserreiches
Am 18. Januar 1871 wurde im Spiegelsaal vom Schloss Versailles in der Nähe von Paris, der moderne deutsche Nationalstaat ausgerufen. Den Akt in Versailles stattfinden zu lassen, war auch ein Machtbeweis gegenüber dem besiegten Frankreich. Ab dem Tag war der preußische König Wilhelm I. deutscher Kaiser und Otto von Bismarck wurde anschließend Reichskanzler.
Die Zeremonie war ein „Akt der förmlichen Amtseinweisung und Amtsergreifung“. Das Deutsche Reich wurde zeitgenössisch in der historischen Tradition des Heiligen römischen Reichs deutscher Nationen betrachtet. Die föderale Struktur, die Bundesverfassung und weitere völkerrechtliche Aspekte des Deutschen Reichs bilden bis heute die staatlichen Grundlagen der Bundesrepublik Deutschland.
Otto von Bismarck
Der Politiker und Staatsmann Otto von Bismarck (1815-1898) prägte wie kein anderer die politischen Entwicklungen im Deutschen Reich. Er gilt als treibende Kraft hinter der Reichsgründung, wurde 1871 erster Reichskanzler und dominierte in dieser Funktion bis 1890 die deutsche Politik.
Wegen der langen Amtszeit, seiner militärischen Strenge, dem Machtwillen und nicht zuletzt auch den kolonialen Bestrebungen wurde er vom Volk „Eiserner Kanzler“ genannt. Auf Bismarck gehen zahlreiche grundlegende Entscheidungen zurück, die bis heute Bestand haben. Etwa die Einführung der Zivilehe oder das Sozialversicherungssystem.
Berlin um 1871
1871 wurde Berlin Hauptstadt des Deutschen Reichs. Die Stadt war damit mittendrin in den politischen Wirrnissen des späten 19. Jahrhunderts und stieg zur Millionenmetropole auf. Der Reichstag wurde gegründet und bekam ein eigenes Gebäude, Wasserwerke, zentrale Schlachthöfe, neue Bahnhöfe, Straßen und Parks entstanden. Die Wohnquartiere schossen in und um Berlin aus dem Boden. Zugleich emanzipierte sich das Bürgertum und auch die Kunst und Kultur erlebten einen Aufschwung.
Die Karte aus der Zeit um 1871 zeigt die Ausdehnung der wachsenden Stadt rund um die historische Mitte, das Schloss und die Spree. Karten eignen sich besonders gut, um historische Zusammenhänge darzustellen. Diese 12 historischen Karten von Berlin machen die Geschichte der Stadt von 1600 bis heute sichtbar.
Kaiser Wilhelm I.
Von 1861 bis 1871 war Wilhelm Friedrich Ludwig von Preußen König, am 18. Januar 1871 wurde der Monarch aus dem Hause Hohenzollern deutscher Kaiser. Bei seinem Tod im Jahr 1888 trauerte das ganze Reich, besonders die Berliner vergossen viele Tränen.
Denn auch wenn das Deutsche Reich sich rasant zu einem modernen Staat entwickelte, war es im Kern noch in der Monarchie begründet. Die Staatsform des Deutschen Reiches war die föderale Erbmonarchie.
So verantworteten die Reichstagsabgeordneten, Parteien und allen voran der Bundeskanzler Otto von Bismarck die politischen Geschicke des Landes, Staatsoberhaupt aber war – von Gottes Gnaden – Wilhelm I. Mit seinem Tod ging das „alte Preußen“ nach und nach verloren.
Berlin entwickelt sich
Zu Lebzeiten erfreute sich Wilhelm I. bei seinen Untertanen großer Beliebtheit. Die Ära des so genannten „Wilhelminismus“ geht allerdings auf seinen Enkel, Wilhelm II, zurück, der die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche zur Erinnerung an seinen Großvater errichten ließ.
Doch auch unter Wilhelm I. entwickelte sich Berlin maßgeblich. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden zahlreiche repräsentative Bauten, die Industrie siedelte sich zunehmend an der Spree an und auch der Verkehr nahm zu.
Der Kaiser bei der Ausfahrt
Das Deutsche Kaiserreich stieg zur europäischen Großmacht auf. Neben Russland, England, Österreich-Ungarn und Frankreich war es die fünfte Kraft auf dem Kontinent. Die Ära des Deutschen Kaiserreichs, die Jahre 1871 bis 1914, war geprägt von diplomatischen Verstrickungen, Bündnissen und Bemühungen den brüchigen Frieden in Europa zu halten.
Der zeitgenössische Stich zeigt den Kaiser bei einer Kutschfahrt auf dem Prachtboulevard Unter den Linden. In dieser Zeit lag die politische Verantwortung längst bei Bismarck. Und während sich Wilhelm I. als Kaiser um die Repräsentation kümmerte, wurden die Entscheidungen woanders getroffen.
Berliner Kongress
Das Deutsche Reich gilt als eine Ära von aggressivem Imperialismus und biederen preußischen Tugenden. Als eine bleierne Zeit des deutschen Konservatismus, die Hitler und dem Dritten Reich Vorschub leistete. Bis heute tauchen die Reichskriegsflaggen bei rechtsextremen Demonstrationen auf und die ebenfalls dem rechten Spektrum zugeordneten Reichsbürger beziehen sich gleichermaßen auf das Deutsche Reich, die sie zu einem schrägen historischen Idealstaat erheben.
Auch der verwirrte Veganer und peinlichste Berliner des Jahres 2020, Atilla Hildmann, schwurbelt mit der Schwarz-Weiß-Roten Flagge des Deutschen Reichs durch die Stadt. Interessanterweise war die Zeit bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs verhältnismäßig friedlich. So wurde 1878 etwa beim Berliner Kongress (siehe Abbildung) ein Friedensvertrag für Südosteuropa ausgehandelt und die Balkankrise (vorerst) beendet.
Sitzung des deutschen Reichstags
Beides ist richtig: Das Deutsche Reich war ein Hort des Militarismus und der Anfangspunkt deutscher Kolonialpolitik, aber zugleich auch ein Labor der Demokratie und progressiver gesellschaftlicher Entwicklungen. Im Reichstag, dem Parlament im Deutschen Kaiserreich, entwickelte sich die Kultur der demokratischen Debatte, widerstrebende Meinungen prallten aufeinander und es gab eine Verfassung und freie Wahlen. Allerdings wurde das allgemeine Frauenwahlrecht erst 1918 eingeführt. Ab 1894 tagten die Abgeordneten im neu errichteten Reichstagsgebäude.
Der Aufstieg der deutschen Sozialdemokratie geht ebenfalls auf das Deutsche Kaiserreich zurück. Zwar wurde die SPD bereits 1863 gegründet, doch bis Anfang des 20. Jahrhunderts stiegt die Zahl ihrer Mitglieder um ein Vielfaches an. Ebenso die Durchsetzung zahlreicher sozialer, teilweise damals für radikal erachteter Gesetzte. Darunter die Arbeitnehmerrechte, das Rentengesetz oder das Verbot von Kinderarbeit, erfolgten in der Ära des Deutschen Kaiserreichs.
Kongokonferenz von 1884/85
England, Frankreich, die Niederlande, Belgien, Italien und auch die iberischen Mächte Spanien und Portugal hatten im 19. Jahrhundert die Welt untereinander aufgeteilt. Die Kolonialpolitik lief bis zur Deutschen Reichsgründung weitestgehend ohne deutsche Beteiligung ab.
Reichskanzler Bismarck ging das gegen den Strich, er wollte einen Teil vom kolonialen Kuchen abhaben und Deutschland beim Wettlauf um Afrika in Startposition bringen. Ein politischer Vorstoß für die Errichtung deutscher Kolonien war die Kongokonferenz, die vom November 1884 bis Februar 1885 dauerte und bei der die Aufteilung Afrikas in Kolonien beschlossen wurde.
Dem Deutschen Kaiserreich fielen Deutsch-Südwestafrika sowie Deutsch-Ostafrika zu. Die Gebiete umfassten Teile der heutigen Staaten Burundi, Ruanda, Tansania, Namibia, Kamerun, Gabun, Republik Kongo, Zentralafrikanische Republik, Tschad, Nigeria, Togo und Ghana.
Die verheerenden Konsequenzen der Kolonialpolitik sind bis heute spürbar und längst nicht geklärt, so muss sich die BRD für den Völkermord an den Herero und Nama verantworten, den das Deutsche Reich zu Beginn des 20. Jahrhunderts begangen hat. Auch um umstrittene Straßennamen, die auf die unkritisch Kolonialgeschichte verweisen, entstehen Diskussionen und die Restitution von geraubten Kunstwerken und kultischen Artefakten aus Afrika, die heute in Archiven deutscher Museen liegen, wird nur langsam angegangen.
Wintermorgen in Berlin
Der Alltag im Kaiserreich hat sich für die Bürger zwischen 1871 und 1914 radikal verändert. Technische Errungenschaften wie das Telefon, Autoverkehr und Elektrizität setzten sich in der Ära durch. Moderne Probleme einer Großstadt wie Wohnungsknappheit, Lärm, Smog und soziale Missstände gehörten auf der anderen Seite auch zum Leben der Berliner und Berlinerinnen dazu.
Zugleich veränderte sich das soziale Gefüge, das Bürgertum wurde selbstbewusster, es gab eine Vielzahl an privat gegründeten Institutionen, die Medien gewannen ebenso an Bedeutung und auch das deutsche Judentum spielte trotz schwellenden Antisemitismus, eine immer wichtiger werdende Rolle innerhalb der Gesellschaft.
Der Erste Weltkrieg
Kolonialpolitik und sozialer Fortschritt. Demokratisches Labor und kaisertreuer Militarismus. Mondäne Eleganz und bittere Armut. Das Deutsche Kaiserreich ist eine Zeit der Widersprüche und eine historische Übergangsphase von einem feudalen, monarchistisch geprägten Deutschland zu einem modernen Staat. Allerdings führten diese Entwicklungen in eine Katastrophe, die die Menschheit bisher nicht erlebt hat.
Der Frieden in Europa endete 1914, nach dem Attentat auf den österreichischen Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand brach der Erste Weltkrieg. 17 Millionen Menschen verloren bis 1918 ihr Leben. Deutschland verlor, es folgten die Friedensverhandlungen und der Versailler Vertrag, Kaiser Wilhelm II. musste abdanken, Deutschland hohe Reparationen zahlen. Damit endete das Deutsche Kaiserreich in Versailles, dort wo es 1871 begann.
Mehr Berlin verstehen
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