Ultralauf durch Berlin: Unser Gastro-Redakteur Clemens Niedenthal kennt sich mit gutem Essen und den Berliner Restaurants aus. Aber er ist auch ein Ultraläufer. Das sind jene Läufer, denen ein Marathon zu wenig ist und die gerne auch mal 50 oder 100 Kilometer absolvieren. Er macht so was und schreibt darüber. Zum Beispiel über einen 48-Kilometer-Lauf quer durch Berlin. Und mitten durch Corona. Einige laufende Beobachtungen.
Kilometer 3
Gartensiedlung Wilhelmstrand
Die Berliner*innen sind Laubenpieber*innen. Das kann man schon bei Alfred Döblin lesen. Berlin Alexanderplatz. Berlin Wilhelmstrand ist eine der 923 Kleingartenkolonien in einer Stadt, in der das eigene Grün kostbar geworden war. Ein König, wer einen Kohlkopf hatte, damals während der Inflation. Gerade erst war die Laube wieder cool geworden. Statussymbol der urbanen Bio-Bohéme. Jetzt sagen manche, dass in der eigene Scholle wieder die Zukunft liegt. Sich unabhängig machen von den Abhängigkeiten der modernen Welt. An den Lattenzaun der Gastwirtschaft, wie sie zu jeder richtigen Laubenkolonie gehört, hängt ein Transparent: „Halten Sie Abstand. Es ist ernst. Bleiben Sie gesund.“
Kilometer 11
Tempelhofer Weg
Der Trampelpfad am Ufer hat aufgehört. Eigentlich. Aber auf der anderen Seite der Brücke kann man über ein Geländer klettern, dann geht der Trampelpfad weiter. Am Ufer stehen ein paar dunkelgrüne Tonnen. Riesengroße Tonnen. Das sind die Ölreserven Berlins. Noch renne ich durch eine fossile Epoche.
Kilometer 13
Teltowkanal
Sieben Kilometer schon ging der Weg jetzt immer am Wasser entlang. Dort tranken zwei älter gewordene Punks ihr Bier in der Sonne. Da pflückte eine Frau frische Knoblauchsrauke. Es ist schon paradox: Gerade an diesen künstlichen Wasserstraßen, die einmal die Hauptschlagadern des industriestädtischen Blutkreislaufs waren, kommt die Natur längst zurück in die Stadt. Ein kurzer Zwischensprint, 4:20er-Tempo, ein Wettrennen mit einem der seltener gewordenen Frachter. Die Ladung: Zement. In Berlin wird gebaut.
Kilometer 16
Natur-Park Schöneberger Südgelände
Industriearchäologie. Das ehemalige Bahngelände ist längst von Birken bewachsen. Und nun ein Landschaftspark. Wurzeln sind durch die Schwellen gebrochen. Ein Signal und eine ganze Dampflokomotive stehen einsam im Wald. Muss man sich so diese Postapokalypse vorstellen? Eine Welt ohne uns? Aber dann kommen da zwei auf dem watteweichen Hackschnitzelwegen entlang gerannt. „Auch am Laufen?“ — „Müssen ja schließlich für den abgesagten Berlin-Marathon trainieren.“
Kilometer 21
Viktoriapark
Für einen Gipfel sollte es heute auch noch reichen: Den 52 Meter hohen Kreuzberg, nach dem später ein ganzer Stadtteil benannt worden ist. Der Kreuzberg heißt dafür seit 1888 Viktoriapark, wegen des Sieges Preußens über Napoleon. Einmal im Jahr wird hier tatsächlich ein Marathon ausgetragen. Auf einer 5,2-Kilometer-Schleife mit insgesamt immerhin tausend Höhenmetern. In diesem Jahr fällt auch der Viktoriapark-Marathon aber vermutlich aus. Erstmal ist er nur verschoben worden. Läufer*innen bleiben Optimist*innen.
Kilometer 24
Park am Gleisdreieck
Die Menschen sind ja vernünftig. Vorausgesetzt, das Wetter ist es auch. An diesem Samstag ist es das Wetter nicht. Und die Menschen machen, was sie im Park eben so machen an einem fast schon sommerlichen Frühlingstag. Alles wie immer. Im Biergarten von BRLO, einer sympathischen Berliner Craft-Brauerei, hat der Eisstand schon geöffnet. Auch frisch gezapftes Wegbier wird verkauft. Ich kenne Ben Pommer, den Wirt, der seine Angestellten in Kurzarbeit schicken musste. Nein, nichts ist wie immer. Außer diese fast schon sommerliche Frühlingssonne im Park.
Kilometer 29
Brandenburger Tor
Der Lauf müsste jetzt eigentlich seinen Charakter ändern. Gerade hat mich der Große Tiergarten ausgespuckt und Komoot wird später wissen, dass ich bis hierhin nicht einmal fünf Kilometer auf asphaltierten Straßen unterwegs war, 39 Meter davon auf einer Bundesstraße. Ich habe es nicht so mit den Daten, aber mit den Erfahrungswerten: Pariser Platz, Unter den Linden, eigentlich wird es jetzt mächtig voll. Nun, eigentlich ist nicht. Die Berliner*innen sind lieber im Park und die Tourist*innen keine Tourist*innen. Nicht in diesen Tagen.
Kilometer 31
Museumsinsel
Hier habe ich laufen gelernt. Also nicht laufen, aber rennen. Dienstagsabends, vor zwölf Jahren. Es gab da diese Nachtlaufrunde mit John Kunkeler, der eigentlich einen Jazzclub, das Schlot in den Edisonhöfen, betreibt und der noch immer die Strecke des Berlin-Marathon vermisst. Ich setze mich auf die Stufen vor dem Alten Museum. Vor mir der Lustgarten, links der Berliner Dom und dann der Neubau des Humboldtforums, der ja ein Nachbau des Berliner Stadtschlosses ist. Ausstellungen sollen dort gezeigt werden, eine Ausstellung über das Virus ist sicher schon in der Planung. Die Exponate: Klopapierrollen; Handyvideos von Balkonkonzerten, ein selbstgenähter Mundschutz, Verschwörungstheorien.
Kilometer 35
Oranienstraße
Downtown Kreuzberg. Hier haben Freund*innen von mir ihre Cafés oder Restaurants. Sie alle machen jetzt irgendwas, einen Lieferdienst, Cocktails to go, eine Wurstproduktion. Andere kochen Currys für Berliner Krankenhauspersonal. Ablenken hilft, in vielen Fällen sogar der Gemeinschaft.
Kilometer 37
Görlitzer Park
Der Lauf wird zäh. Wie es sich für eine Ultradistanz so früh im Jahr ja auch gehört. Bin ja noch in der Aufbauphase. Aufbauen für was? Ich glaube und hoffe, dass diese einsamen Läufe uns wieder mit dem Kern dieses Sports verbinden werden. Und denke an die, die davon leben, dass Laufen eine Gemeinschaft hat. Die kleinen, unabhängigen Laufläden. Die Laufveranstalter*innen. Und was machen eigentlich Berufssportler*innen gerade? Also nicht die von Hertha BSC.
Kilometer 42
Plänterwald
Hier wurde ein deutscher Rekord aufgestellt. 2016 von Paul Schmidt-Hellinger, Sportmediziner an der Charité. 50 Kilometer in 2:49 Stunden. Auf einem Fünf-Kilometer-Kurs. Ich verstehe das noch immer nicht, Ultralaufen im Kreis. Aber ich laufe ja auch keine deutschen Rekorde.
Kilometer 46
Stralauer Halbinsel
Von hier sind es noch zwei Kilometer bis zu meiner Haustür. Bis zur Hühnerbrühe, zum Bananenbrot und zum Weizenbier. In umgekehrter Reihenfolge. Das also war Berlin an einem Samstag im April. An einem Samstag während Corona. Ich habe Abstand gehalten, mindestens eineinhalb Meter, 48 Kilometer lang. Was von dieser Zeit und diesem Lauf mit Abstand betrachtet bleiben wird? Ich wünsche mir eine Welt, die manches gelassener nimmt und für anderes engagierter streitet. Und ich wünsche mir Läufe ohne Mindestabstand. Ich wünsche mir ein Leben unter Leuten.
Berlin entdecken
Ultralauf in Berlin ist nicht unbedingt jedermanns Sache. Aber es gibt mehr Möglichkeiten, die Stadt zu entdecken: Wassersport wird in Berlin immer größer geschrieben. Vom Tretbootfahren bis zum Stand-up-Paddling ist die Auswahl an Aktivitäten riesig. Ein Überblick über die wichtigsten Verleiher.
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Der Trend erreichte Berlin vor einigen Jahren: Waldbaden ist angesagt. Wir verraten euch die schönsten Wälder und Forste Berlins – inklusive spannender Routen zu wilden Mufflons, alten Bäumen und Wildtiergehegen.