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Großes Jubiläum

50 Jahre tipBerlin-Magazin: Mit sechs Seiten fing alles an

50 Jahre tipBerlin-Magazin: Am 9. Januar 1972 erschien die erste Ausgabe von Deutschlands ältestem noch existierenden Stadtmagazin. Geburtstag! Kuchen! Kerzen! So schnell vergeht die Zeit. Und wir haben ja noch viel vor – gemeinsam mit euch.

Klaus Stemmler, Gründer und 25 Jahre lang Herausgeber und Verleger des tipBerlin, blickte für uns zum 30. Geburtstag des Magazins auf die Anfänge zurück. Bevor wir im Sommer unseren 50. Geburtstag mit euch feiern, lest ihr hier zur Einstimmung auf das Jubiläumsjahr noch einmal Klaus Stemmlers Text aus dem tipBerlin 13/02: Mit sechs Seiten fing alles an.

50 Jahre tip-Magazin: Die allererste Titelseite – und die aktuelle. Grafik: tip (Heft 1/72), Jim Avignon (Heft 1/2022)

tip-Gründer Klaus Stemmler lockten die Möglichkeiten nach Berlin

„In Baden gab es schon Kultur, als in Preußen die Wildschweine ih­re Ärsche noch an den Bäumen wetz­ten.“ Trotz dieser patriotischen Ein­schätzung meines Deutschlehrers entschloss ich mich, Mitte der sech­ziger Jahre aus der badischen Provinz auszubrechen, um mir in Berlin (West) selbst ein Urteil zu bilden. (So sah übrigens Kreuzberg damals aus). Drei Gründe gaben den Aus­schlag. Ein Studienplatz an der Staat­lichen Hochschule für Bildende Künste bei Professor Helmut Lortz, das große Kino- und Filmangebot und nicht zuletzt, ein bundeswehrfreier Ort.

Außerdem: Die politische Insel kannte keine Sperrstunde, Kommu­nikation pur – jederzeit, nicht nur in den zahllosen Kneipen. Die Studen­tenbewegung stellte Etabliertes in Frage, schaffte Solidarität. Wohn­gemeinschaften entstanden, auch neue Programmkinos, die sich programmatisch Off-Ku’damm-Kinos nannten. Darunter der Notausgang in Schöneberg, den ich 1971 mit einem Freund gründete.

50 Jahre tipBerlin: Sechs Seiten zum Erfolg

Berlin wurde zur Hochburg für Filmfreunde. Vergessene Filmschätze wurden ausgegraben, Experimentelles, nicht nur aus Deutschland, kam auf die Leinwand. Nichts davon spiegelte sich in der von Sprin­ger dominier­ten Presse wi­der. Programm­information: Fehlanzeige. Das war die Geburts­stunde des TIP. Auf sechs Seiten brachte ich das Programm der wichtigsten Off-Ki­nos unter, wählte aus dem TV wichti­ge Filme aus und verteilte die ersten 1000 Exemplare in Kneipen, Unis und den Kinos. Vom Schwarzen Brett an der Uni stamm­ten die ersten Kleinanzeigen, in der bis heute bestehenden Rubrik mini­tips. Keine einzige war getürkt. Un­ter Lonely Hearts konnte man bald Chiffre-Anzeigen aufgeben, die Gleichgesinnte erreichten. Die Berli­ner Toleranz sollte sich auch in mei­nem Blatt widerspiegeln. Die ersten Schwulen- und Lesbenannoncen er­schienen (und das war auch gut so), tip-intern damals heftig umstritten.

Nina Hagen lässt es krachen: tipBerlin-Cover von 1980. Grafik: tipBerlin

Ein Drittel redaktionelle Beiträge, ein Drittel Programm-Kalender und ein Drittel Kleinanzeigen, die Leser honorierten das Konzept. Die Aufla­ge verdoppelte sich jährlich. 1976 druckten wir schon 26.000 Exem­plare, waren stolz auf 72 Seiten und auf über 500 minitips. Wer konnte ahnen, dass die Seitenzahl auf durchschnittlich 260 Seiten an­wachsen würde bei einer Auflage von 100.000 Exemplaren.

„Unverzichtbar für alle Kinofreunde“, schrieb der „Wiener“

Dass ich dem Film stets Priorität einräumte, brachte uns bald den Ruf einer kompetenten Filmzeitung ein. Praktizierte Meinungsfrei­heit motivier­te wichtige Filmjourna­listen, bei uns ungefiltert ihre Meinung zu schreiben. Diese Kom­petenz in Sachen Film beeindruck­te selbst ,,Variety“ (die Mut­ter aller Filmzeitschriften), und der „Wiener“ schmeichelte: ,„Un­verzichtbar vor allem für Kinofreun­de: Stemmlers TIP“. Andere mach­ten es sich leichter, sie übernahmen einfach ganze Passagen aus unse­ren Artikeln. Auch die Off-Kinos pro­fitierten von unserer „Filmlastig­keit“. Sie richteten die Laufzeiten ih­rer Filme nach dem TIP-Erscheinen aus.

Filmkritiker und tip-Autor Dr. Wolf Donner, brachte als Festspiel­leiter der Berlinale (hier ein aktueller Rückblick auf die Berlinale 2021) frischen Wind in das angestaubte Festival. Er bat uns, kinoverrückt wie wir waren, als offizielles Bulletin täglich den Berli­nale-TIP herzustellen. Nicht als Hofberichterstatter, sondern kritisch und kontrovers – eine Herausforde­rung, nicht nur für uns.

Allererste Ausgabe der „Die 100 Peinlichsten Berliner“ für das Jahr 1999 (die Ausgabe erschien im Januar 2000). Funfact: Der Sieger war damals nicht Eric Idle. Grafik: tipBerlin

Schnell stand der TIP auf wirt­schaftlich gesunden Beinen. Eine In­fratest-Leserumfrage stellte fest: je­der zweite Berliner zwischen 14 und 29 Jahren liest den TIP. Unser Erfolg war auch für Inserenten messbar. Im TIP waren Anzeigen nie nur lästige Werbung, sondern von vielen als zu­sätzliche Informationsquelle akzep­tiert.

Autoren, die etwas zu sagen hatten

Wünsche konnten wir uns erfül­len: Der Literatur-TIP, von Literat Jörg Fauser (,,Der Schneemann“) zum Le­ben erweckt, gehörte dazu, das TIP­-Filmjahrbuch, das jährlich erschien, und die wöchentliche TIP-TV-Sen­dung – beim ORB. Unsere Redaktion konnte ver­stärkt werden. Bereiche wie Litera­tur und Musik wurden erweitert. Autoren, die etwas zu sagen hat­ten, nutzten den TIP als Forum, auch Olaf Leitner seit 27 Jahren re­gelmäßig mit seiner Kolumne.

Großartige Nervensäge: Christoph Schlingensief 2003 im Titel-Interview. Grafik: tipBerlin

Der TIP, inzwischen Deutsch­lands größtes Stadtmagazin, strahlte über Berlins Grenzen hin­weg und wurde dadurch auch für viele Redakteure zum Sprungbrett. Andere (Groß-)Verlage profitierten davon, auch Filmverleihe und Sen­deanstalten. Die, die blieben, hat­ten einen sicheren Arbeitsplatz und haben ihn noch heute. Schön zu se­hen, dass auch nach 30 Jahren das Grundkonzept besteht und weiter­entwickelt wird. Von der ersten Stunde an fand ich viele engagier­te Mitstreiter, die mir halfen, mei­ne Visionen zu verwirklichen. Mein Dank und meine Glückwünsche ge­hen deshalb an das gesamte Team. Mögen noch viele Jubiläen Anlässe zum Feiern geben.

  • Dieser Text erschien zum 30. Geburtstag des tip im Sonderseitenteil des tipBerlin 13/02 – also auch nicht zum eigentlichen Geburtstag im Januar, weil auch seinerzeit die Party erst im Sommer stattfand. Wie dieses Jahr wieder.
  • Wir haben die damalige Schreibweise „TIP“ hier in der Ursprungsversion des Textes belassen.

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