Historischer Spaziergang

Auf den Spuren des Blutbads an den Seelower Höhen: Die letzte Schlacht

Kurz vor Kriegsende lieferten sich Rotarmisten und Wehrmacht ein Gemetzel, dem zehntausende Soldaten zum Opfer fielen. Obendrauf wäre das Blutbad an den Seelower Höhen vermeidbar gewesen. Die Narben sind bis heute nicht verheilt. Ein historischer Spaziergang, der in eine dramatische Zeit zurückführt.

75 Jahre nach Kriegsende: Die Gedenkstätte Seelower Höhen mit den Kriegsgräbern erinnert an ein vermeidbares Blutbad.
Die Gedenkstätte Seelower Höhen mit den Kriegsgräbern erinnert an ein vermeidbares Blutbad. Foto: imago/Ritter

Blick von den Seelower Höhen: Hier tobte 1945 die letzte große Schlacht

Westlich vom Oderbruch ist der Himmel hoch, das Land flach, und dunkle Wolken sorgen für dramatisches Licht. Von den Seelower Höhen schweift der Blick ungestört über die alte Kulturlandschaft. Vier Tage lang tobte hier im April 1945 die letzte große Schlacht des Zweiten Weltkriegs, ein grauenhaftes Gemetzel, dessen Narben bis heute nicht ganz verheilt sind.

Knapp eine Million Rotarmisten wurden hier in das Feuer der Wehrmacht geführt, 33.000 von ihnen kehrten nie wieder nach Hause zurück. Doch dem Kommandanten der 1. Weißrussischen Front, dem sowjetischen Marschall Georgi Schukow, fiel nicht anderes ein, als immer neue Soldaten zu opfern. Tragischerweise war das Gemetzel am Oderbruch auch noch komplett sinnlos, denn am 16. April, als Schukow mit dem Trommelfeuer seiner Artillerieoffensive begann, hatte sein „Konkurrent“ Iwan Konew, der Befreier von Auschwitz, mit seiner 1. Ukrainischen Front längst bei Görlitz den Durchbruch erreicht. Berlin lag vor der Roten Armee, der Krieg kehrte an seinen Ausgangsort zurück.

Viele der Soldaten waren noch halbe Kinder

Schon der Besuch der Gedenkstätte Seelower Höhen mit ihrer alles einnehmenden Plastik von Lew Kerbel erschüttert. Hier liegt ja nur ein winziger Bruchteil der Gefallenen, aber der überwiegende Teil der Grabsteine zeigt, dass das alles noch halbe Kinder waren. Der Blick von hier reicht über das Gelände der Schlacht bis hin zur alten Festungsstadt Küstrin.

Ein Besuch hier ist besonders reizvoll: 1945 hielt man in der Altstadt zwölf Wochen lang dem Ansturm der Roten Armee stand. Danach stand hier kein Stein mehr auf dem anderen. Es ist ein merkwürdiges Gefühl, heute durch die verlassenen Straßen der Altstadt zu schlendern. Unter dem Firnis der Zeit erkennt man Straßenverläufe aus altem Kopfsteinpflaster, teilweise sogar noch mit Straßenbahnschienen, Gehwegplatten und Hauseingänge.

Nur die Häuser gibt es nicht mehr. Stattdessen Trümmerfelder, Dornengestrüppe und wilde Büsche. Einige Kellergewölbe sind erhalten geblieben. Wie tote Augen blicken sie auf die früher belebten Straßen hinaus. Die Stille ist gespenstisch, die Leere überwältigend.

Festungsstadt Küstrin: Das „Pompeji an der Oder“

Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs begannen Historiker, sich für das „Pompeji an der Oder“ zu interessieren. Teile der Straßen, Häuser und Parks werden jetzt sukzessive wieder freigelegt, Straßenschilder und Gedenktafeln vor den ehemaligen Häusern angebracht. Die polnischen und deutschen Archäologen, die in den alten Kellern seit 1994 nach den Resten der Vergangenheit suchen, haben ein riesiges Arbeitsgebiet vor sich.

Am Ostufer der Oder liegt die ehemalige Bastion Brandenburg, die im zweiten Weltkrieg ebenso wie die darin befindliche Altstadt völlig zerstört wurde. Foto: Imago/Rech

Das Museum, das hier vor einigen Jahren eröffnet wurde, zeigt in wandgroßen Bildern und auf kleinen Videoschirmen, wie schön diese Stadt einst war. Sie zeigt aber auch die Raserei, in der diese Schönheit einem barbarischen Krieg weichen musste: Waffen, Munition, Helme, Uniformteile. Ein großartiges Plädoyer für Verständigung und gegen Krieg.

Wieder an der Sonne: Auf dem Renneplatz, wo einst das preußische Militär in Reih‘ und Glied exerzierte, stehen heute wieder Bäume, gepflanzt nach der Schlacht, denn die alten Bäume, die hier standen, waren in Brand geschossen worden. Nur Stümpfe waren übrig. Wer an Geister glaubt: Hier könnte er fündig werden. Und wer der militärischen Nostalgie noch nicht überdrüssig ist: Ungefähr sechs Kilometer in Richtung Berlin auf einem unscheinbaren bewaldeten Hügel des Örtchens Manschnow liegt das alte Fort Gorgast, die am besten erhaltene Außenfestung von Küstrin.


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