Ein alter Mietvertrag hat im teuren Berlin offensichtlich viele Vorteile. Meist bedeutet er viel Platz für wenig Geld – ein Traum in einer Stadt, in der das Wohnen immer teurer und die Suche nach einer Wohnung nicht selten zur Nervenprobe wird. Doch hat eine begehrte 100-Quadratmeter-800-Euro-warm-Wohnung wirklich nur Vorteile? Oder lebt man auf günstigem Parkett auch unsicher? Und: Sind alte Mietverträge im teuren Berlin ein Auslaufmodell?
Alter Mietvertrag: In Berlin noch ein Lichtblick, in anderen Weltstädten kein Thema mehr
Wohnen zur Miete, auf unbegrenzte Zeit: in Weltstädten wie Paris und London eher ein seltenes Phänomen. In Berlin zum Glück (noch) die Norm. Anders als anderswo in Europa, wo das Mieten auf Zeit völlig normal ist, werden private Mieter:innen in ganz Deutschland nach Vertragsabschluss „in Ruhe“ gelassen. Während das Gewerbe in Berlin mit viel Konkurrenz und zusätzlich befristeten Mietverträgen zu kämpfen hat, können private Mieter:innen, wenn die endlose Wohnungssuche irgendwann mal ein Ende nimmt, zumindest vorerst durchatmen.
Doch so richtig gemütlich ist das alles oft trotzdem nicht. Denn die Ruhe hat ihren Preis: Der oder die Vermieter:in darf die Miete zwar regelmäßig nur leicht erhöhen, dafür bleiben Mieter:innen aber meist auf den Renovierungskosten sitzen. Angesichts der Tatsache, dass Wohnraum in desolatem Zustand in Berlin viel zu oft viel zu teuer vermietet wird, hält sich die Freude also in Grenzen. Erst kürzlich regte sich tipBerlin-Redakteur Jacek Slaski über die negativen Auswüchse des Berliner Wohnungsmarkts auf.
Der Lichtstreif am Horizont: Alte Mietverträge, die teilweise schon seit Jahrzehnten bestehen, sind oft nicht nur für Berliner Verhältnisse günstig, sondern auch in anderen Hinsichten das große Los.
Niedrige Miete und viele weitere Vorteile
Alte Mietverträge sind heiße Ware in Berlin. Wer die geräumige Altbauwohnung von Mama, Papa, Schwester oder Oma übernehmen kann, kann sich oft nicht nur über eine überschaubare Miete freuen, sondern auch über andere Vorteile, die ein alter Mietvertrag mit sich bringt, wie Sebastian Bartels, der stellvertretende Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, auf Anfrage von tipBerlin sagt.
Ab und an hätten er und seine Kolleg:innen sogar mit Mietverträgen zu tun, die schon rund ein Jahrhundert alt seien. Enkel:innen oder Urenkel:innen übernehmen das Mietverhältnis und freuen sich neben der stressfreien Wohnungssuche und dem Spottpreis über weitere Gemütlichkeitsboni: Viele alte Mietverträge hätten beispielsweise keine Kaution, erklärt Bartels. Hinzu kommt, dass in einem alten Mietverhältnis häufig noch geregelt ist, dass der oder die Vermieter:in für gewisse „Schönheitsreparaturen“ in der Wohnung verantwortlich ist. Diese Regelung sei in den 90er-Jahren in Deutschland sukzessive rückgängig gemacht worden. Wer aber in den Genuss eines noch älteren Mietvertrags komme, sei fein raus und in der luxuriösen Situation, Erneuerungen weitestgehend dem oder der Vermieter:in zu überlassen.
Alter Mietvertrag: Bleibt er nur in der Familie?
Klingt ja alles fast zu schön, um wahr zu sein. Wie also komme ich in einen alten Mietvertrag rein? Gemäß Gesetz dürfen alte Mietverträge laut Bartels nur vertraglich überschrieben, also sozusagen familiär vererbt werden, in bestimmten Fällen auch an Personen, mit denen ein gemeinsamer Haushalt geführt wird, zum Beispiel Lebenspartner, auch wenn keine Verwandtschaft besteht. Der Fall, dass ein alter Mietvertrag unter Freund:innen und Kolleg:innen „weitergereicht“ wird, dass sich Dritte also sozusagen in das Mietverhältnis hineinmogeln, komme eher selten vor und hänge auch vom Goodwill des Vermieters ab. Zeitweise Untervermietungen einzelner Zimmer zu alten Konditionen, zum Beispiel auf dem WG-Markt, seien keine Seltenheit, die zeitlich unbegrenzte Untervermietung einer ganzen Wohnung ist laut Bartels aber eigentlich nicht erlaubt.
Mit Blick auf den prekären Berliner Wohnungsmarkt könne der Berliner Mieterverein Mietende aber nur dazu ermutigen, das Gespräch zu suchen, und vertrauensvoll auf ein:e Vermieter:in zuzugehen, wenn jemand zum Beispiel nach jahrelanger WG-Nutzung eine Wohnung zum alten Mietpreis übernehmen wolle. Habe sich ein:e Mieter:in nichts zu schulden kommen lassen und sei der/die Vermieter:in mit einer Neuvermietung zu alten Konditionen einverstanden, sind dann beide Parteien zufrieden.
Apropos nicht zu schulden kommen lassen: Kann ein Vermieter einen alten Mietvertrag eigentlich kündigen, wenn ihm das jahrelange, günstige Mietverhältnis irgendwann ein Dorn im Auge wird?
Alter Mietvertrag: „So wertvoll wie Goldstaub“
Ein alter Mietvertrag stehe einem neuen in nichts nach, sei also faktisch kaum angreifbar, so Bartels. Gekündigt werden dürfe auch hier nur im Rahmen der gesetzlichen Kündigungsfrist und aus triftigem Grund. Besteht an der Wohnung zum Beispiel Eigenbedarf, möchte ein:e Vermieter:in den Raum wirtschaftlich nutzen oder die ganze Wohnung kernsanieren und zum Beispiel mit einer anderen Wohnung zusammenlegen, seien Mieter:innen, mit egal welchem Vertrag, leider die Hände gebunden. Darüber hinaus solle sich jeder, der seinen alten Mietvertrag schätzt und behalten will, möglichst vertragskonform verhalten, zum Beispiel immer pünktlich zahlen und sich im Falle von Unstimmigkeiten offen und gesprächsbereit gegenüber dem/der Vermieter:in zeigen.
Sind alte Mietverträge also tatsächlich so etwas wie das letzte Schlupfloch in der teuren Mieterstadt Berlin? „Auf alle Fälle“, mein Sebastian Bartels. „Gerade bei größeren Wohnungen, in denen zum Beispiel Familien wohnen wollen, sind alte Mietverträge in Berlin so wertvoll wie Goldstaub. Denn die Miete ist meist noch relativ niedrig, da der oder die Vermieter:in jahrzehntelang keine Zuschläge für Neuvermietungen nehmen konnte.“
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