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Berlin verstehen

Anstehen in Berlin: 12 Warteschlangen von BER bis Bornholmer Straße

Gemeinsames Anstehen ist in Berlin fast schon ein eigenes Unterhaltungsformat: Warteschlangen vor dem Berghain, bei Wohnungsbesichtigungen, auf dem Bürgeramt, am BER-Check-in. Und wisst ihr noch, wie alle gemeinsam Schlange stehen zelebriert haben, als der alte Tresor schloss, als das Moma nach Berlin kam, als die Mauer fiel? Nun braucht man wieder Geduld, nämlich für die Impfung. Anstehen gehört zu Berlin: 12 legendäre Warteschlangen, die wir nie vergessen werden.


Anstehen fürs Impfen: Okay, Booster!

Anstehen am Berliner Impfbus in Lichtenberg: Die Zeit sollte man sich nehmen. Foto: Imago/Jochen Eckel
Anstehen am Berliner Impfbus in Lichtenberg: Die Zeit sollte man sich nehmen. Foto: Imago/Jochen Eckel

„Warten auf‘n Bus“ ist eine beliebte RBB-Serie, solltet ihr euch unbedingt angucken. Ronald Zehrfeld, Felix Kramer, Jördis Triebel und eine Bushaltestelle in der märkischen Pampa: großes Kino.

„Warten auf’n Impfbus“ müsste aber eigentlich der Herbst-Hit 2021 sein. Denn überall, wo gegen Covid-19 geimpft wird, wachsen die Warteschlangen, zum Glück, wurde auch höchste Zeit. Und das ist das einzige Warten, das uns zumindest mittelfristig aus dieser verdammten vierten Virus-Welle rausbringen wird.

„Warten auf ein Wunder“, wie es die maßgeblich politisch Verantwortlichen in Deutschland (Looking at you, Jens Spahn!) in den vergangenen Monaten probiert haben, ist es jedenfalls nicht. Holt euch eure Impfung, wenn ihr es nicht schon getan habt, hier sind die Infos!


Warteschlangen am BER: Neuer Flughafen, alte Probleme

Haupthalle im BER, Terminal 1: Fast wie einst in Tegel. Foto: Imago/Joko

Schlange stehen in TXL: Tegel war der Flughafen der kurzen Wege und langen Warteschlangen. Was haben wir geflucht in dieser Notgemeinschaft und dabei gebangt, dass wir es noch rechtzeitig durch den Check-in schafften. Und dass wir nicht zwischendurch auf die Toiletten mussten, die sich zeitweise mit den Berliner Schulklos einen Wettstreit um die bedenklichsten Aborte der Stadt lieferten.

Schlange stehen im BER: Beim neuen Flughafen im Südosten der Stadt (der eigentlich gar nicht mehr so richtig neu ist, wir erinnern uns) sollte alles besser werden. Aber hallo, wir reden hier vom BER, der Mutter aller Berliner Bausünden, dem Milliardengrab für die Ewigkeit, dem Klaus-Wowereit-Denkmal, das irgendein Witzbold allerdings nach Willy Brandt benannte.

Zwar sind die Toiletten in Schönefeld nicht mehr mit den Albtraum-Aborten in Tegel zu vergleichen, aber bitte versucht trotzdem nicht, dort das Wasser aus dem Hahn zu trinken, da wurden neulich Durchfallkeime gemeldet. Und kaum kam, in den Herbstferien 2021, so etwas Ähnliches wie regulärer Flugverkehr auf, spielten sich im Terminal 1 auch schon erschütternde Chaostage ab: stundenlange Wartezeiten, lange Schlangen, entnervte Passagiere. Und wir dachten, mit der Eröffnung des Flughafens seien alle BER-Witze erzählt. Um eine der vielen schönen alten Berliner Redensarten zu gebrauchen: Denkste!


Anstehen vorm Wahllokal in Berlin: Die Qual der Wahl

Anstehen im Wahllokal in Friedrichshain am Chaos-Wahltag. Die Frau mit der auffälligen Jacke habt ihr vielleicht schon mal gesehen. Foto: Imago/Political-Moments
Anstehen im Wahllokal in Friedrichshain am Chaos-Wahltag. Die Frau mit der auffälligen Jacke habt ihr vielleicht schon mal gesehen. Foto: Imago/Political-Moments

Jetzt schon leider legendär: Schlange stehen vor dem Wahllokal am 26. September 2021. In Berlin hatte man die vortreffliche Idee, auf die Dreifach-Wahl (Bundestag, Abgeordnetenhaus, BVVs) neben der Abstimmung über den Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ auch noch den Berlin-Marathon obendrauf zu packen.

Drei plus eins plus eins ergibt in der niedrigschwelligen Berliner Chaos-Mathematik natürlich: null Sinn. Über Stunden standen die wahlwilligen Berliner:innen vor den Wahllokalen, hier und da gingen den bedauernswerten Wahlhelfer:innen die Wahlunterlagen aus, manchmal waren es auch schlicht die falschen, der Nachschub blieb leider aufgrund der Marathon-Straßensperrungen Glückssache, und einige konnten ihre Wahlentscheidung sogar noch der 18-Uhr-Wahlprognose anpassen, weil sie bis weit nach eigentlichem Wahlschluss noch vor dem Wahllokal Schlange standen.

Auf dem Foto da oben seht ihr übrigens, farblich auffällig, die Frau, die federführend dafür sorgen soll, dass es bei der nächsten Wahl nicht wieder von allen Seiten Einsprüche gegen das Wahlergebnis hagelt: Franziska Giffey (SPD).

Und damit lasst uns zurückschauen in die Jahre, als Lothar Wieler noch gute Laune hatte.


Schlange stehen für den Lieblings-Eisbären: Die Knut-Show

Der kleine Eisbäre Knut und Besuchermassen im Zoo Berlin, 2007
Berlins liebstes Knuddeltier: Eisbär Knut, 2007. Foto: Imago/Sven Lambert

Unser aller Knuddelbär: Knut war im Dezember 2006 der erste Eisbär seit 30 Jahren, der im Berliner Zoo das schummrige Licht der City West erblickte. Eine kurze, wilde, heftige Liebe. Und ein trauriges, tragisches Ende. In Berlin standen Menschen stundenlang Schlange für den handaufgezogenen Flauschtraum, außer Leonardo DiCaprio und Sigmar Gabriel, die durften außer der Reihe zum Fotoshooting mit ihm, aber nicht gleichzeitig. Der eine für ein Zeitschriften-Cover, der andere für eine Patenschaft. Und eine vornehmlich weibliche Fangruppe namens „Knut forever in Berlin“ schaute täglich nach dem kleinen Racker.

Die Live-Shows mit seinem Tierpfleger Thomas Dörflein zogen insgesamt eine Million Menschen an. Im Juli 2007 wurden sie eingestellt. Knut sah mittlerweile dann doch einem bratzigen Raubtier ähnlicher als einer Kuscheldecke de luxe. Und dann das traurige Ende: Dörflein starb 2008 am kaputten Herzen, Knut 2011 am kaputten Hirn. Beide viel zu jung.


„Alter“ Tresor, letzte Party: Techno-Träume in Berlin

Zum letzten Mal Schllange stehen für den alten Tresor in der Leipziger Straße: Im April 2005 schloss der legendäre Club.  Foto: imago / Christian Schroth
Zum letzten Mal Schllange stehen für den alten Tresor in der Leipziger Straße: Im April 2005 schloss der legendäre Club. Foto: imago / Christian Schroth

Ein letztes Mal stundenlang anstehen. Ein letztes Mal die Nächte im Strobolicht drangeben. Ein letztes Mal durch die legendäre Tür hinein in den Tresorraum des früheren Wertheim-Kaufhauses unweit des Leipziger Platzes. Dann macht es Wumm! An einem Apriltag 2005 schließt Dimitri Hegemann den legendäre Club nach 14 Jahren an seinem Ursprungsort. Die Raver kommen noch einmal, als gäbe es kein nächstes Mal, sie stehen stundenlang an. Und wer sich nach an diese letzte Party erinnern kann, war sicher nicht dabei.

Seit 2007 residiert der Tresor in einem Nebengebäude des Heizkraftwerks Mitte an der Köpenicker Straße. Wo einst der „alte“ Tresor lag, steht jetzt ein Bürohaus. Wie das in Berlin eben so ist.


Das MOMA in der Neuen Nationalgalerie: Die It-Schlange

Schlange vor der Neuen Nationalgalerie 2004: "Das MOMA in Berlin"
Schlange stehen in Berlin: Als das MOMA in die Nationalgalerie kam. Foto: Imago/Schöning

Die It-Schlange im Nachwende-Berlin. Eine schier endlose Menschenkette, die sich im Jahr 2004 stellenweise mehrfach um Ludwig Mies van der Rohes Flachbauwunder herumwand. Würstchenverkäufer standen Spalier und Gaukler verkürzten die Wartezeit.

Als das New Yorker Museum of Modern Art wegen Sanierung monatelang geschlossen werden musste, zeigte es für acht Monate mehr als 200 seiner berühmtesten Meisterwerke des 20. Jahrhunderts in der Neuen Nationalgalerie: von Cézanne, van Gogh, Picasso, Matisse, Dali, Kandinsky, Beckmann, Hopper, Pollock. 1,2 Millionen Besucher:innen reihten sich vom 20. Februar bis 19. September ein. Und Schlange-stehen für „Das MOMA in Berlin“ wurde zum It-Happening des Jahres. Schön war die Wartezeit!


Schlange stehen für die D-Mark in Ost-Berlin: Schöner Schein

Deutsch-deutsche Währungsunion: Sparkasse Rosenthaler Straße am 1. Juli 1990
Der schöne Schein: Sparkasse Rosenthaler Straße am 1. Juli 1990. Foto: Imago/Rolf Zöllner

In der Nacht davor versaufen viele DDR-Bürger:innen noch schnell die letzten Alu-Chips. Dann pilgern sie im Morgengrauen heiter verkatert zu den Banken und Sparkassen. Endlich ist das neue Westgeld da. Am 1. Juli 1990 kommt die D-Mark in den Osten der Stadt und des Landes. Wie es der dicke Kanzler aus Oggersheim versprochen hat. Das Hartgeld macht rüber.

Es ist der (von vielen ersehnte, von manchen gefürchtete) Tag der deutsch-deutschen Währungsunion. Und weil man auch in Ost-Berlin das Anstehen im kollektiven postsozialistischen Blut hat, vergehen die Stunden bis zum Empfang der harten Währung einigermaßen schnell. Man kannte das Warten ja von der unverhofften Südfrüchte-Lieferung in der Kaufhalle. Auch wenn es hinterher dann doch nur kubanische Industrie-Orangen waren.

Der Umtauschkurs (je nach Alter zwischen 2.000 und 6.000 Mark 1:1, darüber 1 (D-Mark): 2 (Ost-Mark)) ist eher politisch als ökonomisch gerechtfertigt. Das dicke Ende lässt nicht lange auf sich warten. Kohls blühende Landschaften dagegen schon. Und an der ehemalige Grenze durch Berlin sieht jetzt alles irgendwie anders aus.


Die Berghain-Schlange: Bibbern vor dem Echsenmann

Warteschlange vor dem Berghain
Die berühmteste Schlange des Berliner Nachtlebens. Foto: Imago/imagebroker

Die vielleicht am meisten beschriebene/besungene/bewunderte/gefürchtete Schlange der Berliner Neuzeit. Mit den auf Zeitungspapier exzessiv herausgekübelten Medientipps, wie man angeblich an Sven Marquardt vorbeikommt, lassen sich vermutlich fingerdick die Kathedralen-Wände des Techno-Tempels tapezieren. Ja ja, wir schreiben auch hin und wieder ganz gern über den Weg ins Berghain.

Sogar App-Entwickler haben sich daran versucht, dem Mysterium Herr zu werden. Doch sie sind gescheitert wie eine stinkbesoffene Jungsgruppe um Mitternacht an der Clubtür.

Vor einigen Jahren hat der leider bereits verstorbene Journalist Marc Fischer im „Dummy“-Magazin den ewig gültigen finalen Doppel-Satz jeglicher Reportagen über die Berghain-Schlange und ihren ikonografischen Türsteher geschrieben: „Der Echsenmann schaut sie schweigend an. Dann nickt er, wie nur der Echsenmann es kann.“


Berlinale-Ticketschalter: Schlange stehen auf dem roten Teppich

Berlinale-Ticketschlange in den Postdamer Platz Arcaden
Berlinale-Ticket-Schlange in den Potsdamer Platz Arcaden. Foto: imago /Bernd Friedel

Jahre, Jahrzehnte fast ein Ritual im Februar: anstehen für Berlinale-Karten. 2021 wurde die Berlinale zweigeteilt, das Sommerspecial unter freiem Himmel ging uns sehr ans Herz. So schön warm war es bei den Internationalen Filmfestspielen zuletzt 1977, danach zog das Festival vom Sommer in den Winter um. 2022 soll die Berlinale wieder im Februar statt finden. Wir werden sehen.

Bis dahin bleibt uns nur die Erinnung an die Schlangen vor dem Ticketcounter am Potsdamer Platz, wo die Wartezeit schon mal locker die Spieldauer des queer-feministischen Thesenfilms aus Tansania überstieg. Aber natürlich war sie es wert. Immer.


Anstehen am Reichstag: Dem deutschen Wartevolke

Tourist:innen haben bekanntlich viel Zeit. Die brauchen sie auch. Reichstag, 2009. Foto: Imago / Xinhua

Wohin mit Mama und Papa, wenn sie zu Besuch sind, für das Berghain zu alt sind und die Wellness-Angebote der Stadt schon ausführlich konsumiert haben? Klar, den Reichstag besichtigen, den Volksvertretern auf die Finger schauen. Oder zumindest auf die Tische, auf die sie ihre Finger legen, wenn sie sie nicht zur Abstimmung heben.

Seit Sir Norman Forster dem mächtigen Gebäude eine rundschön geschwungene Glaskuppel aufs Dach gesetzt hat, ist der Reichstag ein noch größerer Touristenmagnet geworden. Weil aber die Kontrollen aufgrund von Antiterror-Vorsichtsmaßnahmen verschärft wurden, wurde die Warteschlange noch ein bisschen länger. Zwischen 2002 und 2018 zählte der Besucherdienst fast 40 Millionen Besucher:innen. Zeitweise galt der Reichstag als meistbesuchtes Parlamentsgebäude der Welt.


Mustafa’s Gemüse Kebab: Schlange, so weit der Veggie-Döner reicht

Schlange bei Mustafa's Gemüse Kebab am Mehringdamm, April 2018
Schlange bei Mustafa am Mehringdamm, April 2018: Der Döner-Treff musste nach einem Brand im Oktober 2019 ersetzt werden. Foto: Imago / Joko

Früher hatte Mustafa’s Kult-Imbiss seinen Stand direkt neben dem U-Bahn-Eingang am Mehringdamm. Für seinen Gemüse Kebab standen die Leute Schlange, als gäbe es kein Morgen. Zumindest kein Morgen mit wichtigen Terminen. Mustafa’s Gemüse Kebab ist bei Berliner:innen wie Touris beliebt, nicht zuletzt dank diverser Reiseportale, die den Imbiss empfehlen und preisen. Dann gab es im Oktober 2019 ein Feuer, das Berlins berühmtesten Döner-Imbiss komplett zerstörte. Der daraufhin aufgestellte Ersatzstand liegt gegenüber, neben dem Finanzamt.


Die historisch wichtigste Warteschlange Berlins: Bornholmer Straße, 9. November 1989

Maueröffnung auf der Bornholmer Stra0e, 9. November 1989
Irgendwann hat alles Warten ein Ende: Die Mauer öffnet sich auf der Bösebrücke, Bornholmer Straße. Foto: imago / Camera4

Jeder weiß, wo er war an diesem 9. November 1989. Diesem irren Berliner Abend. Manche lagen schon im Bett. Andere standen auf der Bornholmer Straße. Und warteten auf das Wunder.

Was vorher geschah: Günter Schabowski stolperte sich am 9. November 1989 am frühen Abend durch die in der sogenannten Wende typische Pressekonferenz. Sein Stichpunktzettel sah noch rätselhafter aus als der von Jens Lehmann beim WM-Achtelfinal-Elfmeterschießen 2006 gegen Argentinien. Beim Reisegesetz stellte ein Journalist eine Nachfrage. Schabowski trug sich mit einem Holpersatz in die Geschichtsbücher ein: „Das tritt nach meiner Kenntnis … ist das sofort, unverzüglich.“

Um 20 Uhr verkündet die „Tagesschau“ (nur so halb-korrekt): „DDR öffnet Grenze.“ Um Viertel vor elf sagt Hajo Friedrichs in den „Tagesthemen“: „Im Umgang mit Superlativen ist Vorsicht geboten, sie nutzen sich leicht ab. Aber heute Abend darf man einen riskieren. Dieser 9. November ist ein historischer Tag.“

Ohne das Westfernsehen hätte es den Mauerfall an diesem Abend nicht gegeben. Nicht die diese Bilder. Nicht diese Warteschlange. Gut 28 Jahre nach dem Mauerbau.

Und die Ost-Berliner:innen nehmen Schabowski und Friedrichs beim Wort, auf der Bornholmer Straße schwillt der Menschenstrom an. Um 23.30 Uhr lässt der Befehlshabende am Grenzübergang Bornholmer Straße den Schlagbaum öffnen.

Der Rest ist Geschichte.


Noch besser Berlin verstehen

Diese Orte und Ereignisse kennt ihr, wenn ihr in den 80er Jahren in West-Berlin gelebt habt. Diese 12 Architekten haben das Berlin der Nachwende-Zeit geprägt. Und mit diesen 12 Bauprojekten wird das Berlin der Zukunft ein neues Gesicht bekommen. Der Blick zurück: Schaut in unserer Geschichte-Rubrik vorbei. Was die Stadt bewegt, lest ihr in unserem Stadtleben-Bereich.

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