Die Altbau-Fassaden sind das Gesicht Berlins. Bis heute prägen die Mietskasernen aus der Gründerzeit das Stadtbild. Zwischen dem Ende des 19. Jahrhunderts und dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs erlebte die preußische Metropole einen enormen Bauboom. Riesige Quartiere wurden errichtet, die viergeschossigen Wohnhäuser boten der wachsenden Stadt den dringend gebrauchten Wohnraum und die Gewerberäume im Erdgeschoss bildeten das wirtschaftliche Rückgrat der deutschen Hauptstadt.
In Charlottenburg entstanden prächtige Bauten mit großzügig geschnittenen Wohnungen, die als urbane Entsprechung des Herrenhauses funktionierten. In diesen mondänen Belle-Etage-Palästen lebten der Adel und die Bourgeoise. In Wedding, Kreuzberg und Friedrichshain drängte sich die Arbeiterklasse auf engstem Raum, nicht selten im zweiten, dritten oder vierten Hinterhof. Mietwucher, Wohnungsknappheit und Gentrifizierung stellten auch vor 100 Jahren die Menschen vor existenzielle Probleme. Heute sind die Mietskasernen beliebter denn je. Hier schauen wir entlang von 12 Fotos auf die Altbau-Fassaden in Berlin und erzählen von der Anfangszeit des modernen Wohnungsbaus und ihren Auswirkungen bis in die Gegenwart.
Idylle am Chamissoplatz
In den 1920er-Jahren sorgte das Bauhaus für einen Siegeszug des modernen Wohnungsbaus in Berlin. Doch eine Generation vorher bauten die Architekten noch im Geiste der preußischen Architekturklassiker. Stuck, Ornamente, gußeiserne Balkone und Verzierungen gehörten zu der ästhetischen Merkmalen der Berliner Mietskasernen. Die Wohnhäuser entstanden in den letzten Jahrzehnten des Kaiserreichs, einer von Industrialisierung, Wirtschaftsaufschwung und Historismus geprägten Ära. Der Kiez rund um den Chamissoplatz in Kreuzberg ist bis heute ein Paradebeispiel für die Berliner Mietskasernen-Architektur.
Die Pracht der Gründerzeit
Mit den Mietskasernen reagierten Politik, Verwaltung und private Bauherren auf den wachsenden Bedarf an Wohnraum. Berlin wuchs und wuchs. Zwar erfolgte die Fusion der Innenstadt mit den umgebenden Städten und Gemeinden offiziell erst 1920, womit Groß-Berlin zur drittgrößten Metropole der Welt wurde, doch faktisch reichte die Stadt schon vorher von Reinickendorf über Charlottenburg und Schöneberg bis zum Prenzlauer Berg. Eines hatten die heutigen Bezirke schon vor der Eingemeindung gemeinsam: die Mietskasernen.
Am Landwehrkanal
Wer in Berlin eine Wohnung sucht, träumt von einer hellen, ruhigen und gut geschnittenen Altbauwohnung. Doppelflügeltüren, Parkett und stuckverzierte Decken sind das Nonplusultra, auch wenn es schicke Neubauten gibt und modernistischen Siedlungsbau, ist so eine Wohnung, etwa am Landwehrkanal in Kreuzberg, das höchste der Gefühle.
Mondän in Charlottenburg
Während in den ärmeren Bezirken die Mietskasernen einfach ausgestattet waren, meist verfügten sie nur über Außentoilleten, bauten die Unternehmer der Gründerzeit in Charlottenburg wahre Paläste. In den Wohnungen lebten die Reichen und Schönen in palastartigen Wohnungen, die nicht selten über acht, neun oder mehr Zimmer verfügten. Es gab dort Eingänge für die Bediensteten, mehrere Bäder, hohe Decken, große Balkone und eine Ausstattung von höchster Qualität.
Alt vs. Neu
Der Zweite Weltkrieg riss viele Baulücken in die mit Mietskasernen bebauten Straßenzüge, lange gehörten solche Brachen zu Berlin dazu. Seit dem neuen Baumboom der Nachwendezeit, wurden diese Leerstellen nach und nach geschlossen. Das führt zu einer direkten Nachbarschaft von neuen und alten Wohnhäusern, wie dieses Beispiel aus Mitte zeigt. Eine klassische Altbau-Fassade mit kleinen Säulen, Reliefs und Ornamenten grenzt an einen funktional-modernistischen Apartmentblock der Gegenwart.
Alles so grün hier
Mit der Zeit entwickelten sich die Berliner Altbauten in unterschiedliche Richtungen und nahmen einen eigenen Charakter an. Es gibt heruntergekommene Mietskasernen, die einst glänzten und heute marode vor sich hin vegetieren. Und es gibt flippig-bunte, solide und langweilige, kaputtsanierte und sterile oder verwunschen-romantische Häuser. Oft übernehmen sie die Attribute von ihren Eigentümern oder den Bewohnern oder sie passen sich an die Umgebung an. Häuser haben eine Seele, diese Prenzlauer Berger Mietskaserne ist zum Beispiel ein ökologisch bewegter Schrat.
Wir wohnen gerne hier
Die Situation auf dem Berliner Wohnungsmarkt ist extrem, der Mietendeckel ist gekippt, die Mieten explodieren, zuletzt wurde eine 2-Zimmer-Wohnung mit Ofenheizung für 875 Euro Kaltmiete angeboten. Der Kampf ums Wohnen ist in vollem Gange und nicht selten wird er an den Fassaden der Altbauten sichtbar gemacht. So wie hier in Friedrichshain, wo ein Haus von einem neuen Investor übernommen wurde und die Altmieter durch Luxussanierungen und Eigenbedarfsklagen um ihre Wohnungen fürchten müssen.
Goldene Ornamente in Moabit
Als die Architekten um 1900 die herrschaftlichen Wohnhäuser entwarfen, standen sie noch unter dem Eindruck des preußischen Glanzes, goldene Ornamente und schnörklige Verzierungen schmückten die Fassaden. Viele dieser Baukunstwerke sind heute wieder originalgetreu wiederhergestellt, so wie hier an dieser Mietskaserne in Moabit.
Die Fassade ist die Message
Doch nicht überall setzt man auf die historische Rekonstruktion. Viele Altbau-Fassaden wurden nach dem Zweiten Weltkrieg, vor allem in den 1960er- und 1970er-Jahren, abgeschlagen und die einst prächtigen Ornamente, Säulen und Reliefs wichen einer langweilig verputzten Wand. Die Ergebnisse sind gelinde gesagt hässlich. Hier in Schöneberg hat ein Hostelbetreiber putzige Slogans an die kahle Wand geschraubt. Schöner wird sie dadurch aber auch nicht wirklich.
Am Lietzensee
Die schönsten Altbau-Fassaden in Berlin findet man rund um den Lietzensee. Der dazugehörige Lietzensee-Kiez in Charlottenburg hat einiges zu bieten: eine großzügige Grünanlage, gutes Essen und zahlreiche Gelegenheiten zum entspannten Shoppen. Lange Zeit selbst von den Berlinern vergessen, avancierte die Gegend in den letzten Jahren zur absoluten Top-Location, deren Nennung reicht, um Immobilienmakler an einen neuen Porsche denken zu lassen.
Vor der Sanierung
Alle Altbauten sind in Berlin saniert. Wirklich alle? Nein, sicherlich nicht, aber doch die meisten. Ein Haus wie dieses in Mitte hat im Jahr 2021 Seltenheitswert. Die unverputzten Fassaden, abblätternder Putz, Löcher und baufällige Höfe stehen für ein verschwindendes Stück Stadt. Der Fotograf Alexander Steffen hat diesen maroden Bauwerken mit „Vanishing Berlin“ einen wunderbaren Bildband gewidmet.
Ich bin Berliner! Du nicht!
Altbau versus Neubau. Alteingesessene versus Zugezogene. Investoren versus Mietaktivisten. An den Häusern scheidet sich die Stadt und die guten alten Mietskasernen mit ihren schönen Fassaden stehen mitten drin in diesem Kampf, der sich auf Postern, Transparenten und Graffiti manifestiert.
Architektur in Berlin
Das sind 12 Orte in Berlin, die wirklich jeder Architektur-Fan gesehen haben muss. Unseren großen Architekturguide von Bauhaus bis Baller findet ihr hier. In Berlin haben schon vor Jahrhunderten Stars gebaut: 12 berühmte Architekten des alten Berlin – klassizistisch, historistisch, preußisch. Die wichtigen Architekten der Moderne in Berlin stellen wir hier vor. Wir erklären auch, welche Nazi-Architektur aus dem Dritten Reich in Berlin noch übrig ist. Und stellen Stararchitekten vor, die Berlin nach der Wende prägten. In Wohnungsanzeigen sieht man es immer wieder. Aber was ist eigentlich das Berliner Zimmer? Weil’s nicht immer schön sein muss: Das sind 12 der schlimmsten Bausünden in Berlin.