Bauhaus und Neues Bauen in Berlin? Keine Frage, die meisten denken eher an Weimar und Dessau, nicht an die Hauptstadt. Dabei war auch Berlin ein Zentrum dieser Bewegung, überall findet man herausragende Bauwerke, die den großen Ideen der Baukunst folgen: Handwerk und Kunst sollen optimal zusammenspielen. Form der Funktion folgen. Und was funktioniert, ist auch schön, ganz ohne Stuck und Schnörkel. Wir zeigen euch, was Bauhaus und Neues Bauen in Berlin für Spuren hinterlassen hat – von Gropius’ Spätwerk bis zu Unesco-Welterbe-Stätten.
Bauhaus in Nord-Berlin: Reinickendorfs Weiße Stadt
Schon vor dem Ersten Weltkrieg plante Reinickendorf diese Großsiedlung, doch die Verwirklichung zog sich bis in die 1920er-Jahre. Die Architekten Bruno Ahrends, Wilhelm Büning und Otto Rudolf Salvisberg griffen für die Gestaltung des Quartiers Bauhaus-Formen auf: klare Kanten und schlichte Fassaden.
Keine große Überraschung ist der Name der Siedlung an der Schillerpromenade: Die Häuser auf dem 14 Hektar großen Gelände strahlen weiß. Von 1928 bis 1931 wurde das Projekt realisiert. Jede Wohnung in der Weißen Stadt verfügte schon damals über Bad, Küche und eine Loggia. Das war nicht gerade Standard, in Reinickendorf aber sogar zu bezahlbaren Preisen zu haben. Seit 2008 ist die Weiße Stadt Teil des Unesco-Welterbes in Berlin.
- Weiße Stadt Rund um Schillerring und Arolser Allee, Reinickendorf
Das Who’s Who des Neuen Bauens: Großsiedlung Siemensstadt
Die Großsiedlung Siemensstadt zählt ebenfalls zum Unesco-Welterbe „Siedlungen der Berliner Moderne“. Ab 1929 entstand sie als Wohnstadt für die Beschäftigte der Siemens-Fabriken. Die Siedlung ist ein Musterbeispiel für progressiven Wohnungsbau: Schlichte Formen, große Freiflächen und viel Grün bestimmen das Bild.
Daneben ist das Areal so etwas wie eine steinerne Architektur-Enzyklopädie: Mitgewirkt haben Walter Gropius, Otto Bartning, Hugo Häring, Fred Forbát und Paul Rudolf Henning. Das städtebauliche Konzept erarbeitete Hans Scharoun, dessen Wirken in Berlin wir hier untersuchen. In Siemensstadt experimentierte er mit Formen Neuen Bauens. Eines seiner Gebäude trägt aufgrund seiner nautischen Klobigkeit den Spitznamen „Panzerkreuzer“.
- Großsiedlung Siemensstadt Rund um Jungfernheideweg/Goebelstraße, Charlottenburg-Nord
Ein proletarischer Palast: Bruno Tauts Hufeisensiedlung
Die Hufeisensiedlung in Britz ist eines der gewaltigsten sozialen Wohnungsbauprojekte der Stadt. Die große Idee, die hinter dem Vorhaben steht, ist Menschenwürde: Die Architekten Bruno Taut und Martin Wagner lehnten die Enge der düsteren Mietskasernen ebenso ab wie die fast schon elitäre Idee der Gartenstadt. Mit großen Loggien, einer imposanten Freitreppe und hellen Wohnungen ist das große Hufeisen von Anfang an als Gegenentwurf zum großstädtischen Elend konzipiert worden – ein proletarischer Palast.
Normierte Grundrisse, in Masse industriell gefertigte Bauteile und eine schlichte Fassade machten die Konstruktion nicht nur kostengünstig, sondern auch extrem beliebt. Zu den bekanntesten Bewohner:innen zählten der Anarchist Erich Mühsam und der Jugendstil-Künstler Erich Vogeler.
Seit 2008 gehört die Hufeisensiedlung zum Berliner Unesco-Welterbe. Auf der anderen Straßenseite befindet sich mit der Krugpfuhlsiedlung ein weitaus konservativerer Gegenentwurf.
- Hufeisensiedlung Fritz-Reuter-Allee/Lowise-Reuter-Ring, Britz
Die Wohnstadt Carl Legien verbindet sozialen Wohnungsbau mit Bauhaus-Ästhetik
Die krisengebeutelte Weimarer Republik verließ sich für wirtschaftlichen Aufschwung auf ein bewährtes Mittel: den staatlichen Eingriff. Ein großflächiges Wohnungsbauprogramm kurbelte die Wirtschaft an. Zeugnis dessen ist die Wohnstadt Carl Legien im Norden des Prenzlauer Bergs. Die Siedlung wurde ab 1928 nach Plänen von Bruno Taut und Franz Hillinger errichtet und nach dem Gewerkschaftsführer Carl Legien benannt.
Das Konzept überzeugt durch Schlichtheit: Die Grundrisse der Wohnungen sind streng schematisch, das gesamte Ensemble bezieht Inspiration aus skandinavischem und niederländischem Städtebau.
Und obwohl dieser Teil des Prenzlauer Bergs viel dichter besiedelt ist als die Gründerzeit-Quartiere, wirkt die Wohnstadt Carl Legien regelrecht grün. Kleine Loggien brechen das Bild von großen Wohnblöcken auf, und jeder Innenhof hat eine kleine Parkanlage. Seit 2007 gehört die Wohnstadt zum Unesco-Welterbe.
- Wohnstadt Carl Legien Rund um die Erich-Weinert-Straße, Prenzlauer Berg
Das Mies van der Rohe-Haus ist ein Ort für Kunst
Ein Hauch von Weltausstellung: Das Mies van der Rohe-Haus wirkt wie eine Backstein-Version des eleganten Pavillons, mit dem Mies van der Rohe Deutschland 1929 auf der Weltausstellung in Barcelona repräsentierte.
Die heute als Mies-van-der-Rohe-Haus bekannte Villa erbaute der Architekt 1933 für den Kunst- und Druckunternehmer Karl Lemke. Es war das letzte Wohnhaus, das er in Deutschland vollendete, bevor er 1938 in die USA emigrierte. In dem restaurierten L-förmigen Klinkerbau, der dem Bezirk gehört, ist zeitgenössische Kunst zu sehen, zu hören sind Diskussionen über Architektur. Das Einfache solle man nicht mit dem Simplen verwechseln, das war das Credo des Architekten. Mehr über das Schaffen von Mies van der Rohe in Berlin erfahrt ihr hier.
- Mies-van-der-Rohe-Haus/Haus Lemke Oberseestraße 60, Hohenschönhausen, online
Spätwerk von Ludwig Mies van der Rohe: Neue Nationalgalerie
Ein passenderes Gebäude für die Kunst des 20. Jahrhunderts hätte wohl kaum gebaut werden können. Ludwig Mies van der Rohe schuf einen Pavillon aus Stahl mit großzügigen Glasfassaden. Der West-Berliner Senat erteilte den Auftrag 1962 an den Bauhaus-Architekten.
Die Neue Nationalgalerie war sein erstes Nachkriegs-Bauwerk in Deutschland. Eigentlich sind von außen Wechselausstellungen zu sehen, im Souterrain die Dauerausstellung. Ab 2015 fanden umfangreiche Sanierungsarbeiten am Gebäude statt, verantwortet von David Chipperfield Architects. „So viel Mies wie möglich“, das war die Leitlinie der Arbeiten. Seit 2021 ist die Neue Nationalgalerie wieder geöffnet.
- Neue Nationalgalerie Potsdamer Str. 50, Tiergarten, online
Haus am Rupenhorn
Die Formsprache des Neuen Bauens haben die Architekten Hans und Wassili Luckhardt zusammen mit Alfons Anker an vielen Stellen verwirklicht, auch nach dem Zweiten Weltkrieg sind Gebäude der beiden in Berlin entstanden, unter anderem am Kottbusser Tor und im Hansaviertel. An der Schorlemerallee 19 befindet sich eine Gedenktafel für die beiden, gleich bei einer wegweisenden Reihenhaussiedlung.
Zu ihren klarsten und bemerkenswertesten Bauten in Berlin zählen aber die Häuser am Rupenhorn, errichtet um 1929/30: Sie sind geometrisch, schlicht und wirken zeitlos modern. Die Stahlskelettbauten scheinen auf dem grünen Gelände zu schweben, die Raumaufteilung ist variabel, die breiten Fensterfronten fluten die Räume mit Licht. Nach Jahrzehnten voller Eigentümerwechsel (zwischenzeitlich wurden die Villen zu Mehrparteienhäusern umfunktioniert) steht die große Aufgabe an, den ursprünglichen Zustand zu rekonstruieren.
Wer sich in den westlichsten Ausläufern von Westend, kurz vor Spandau, weiter umsieht, findet Am Rupenhorn übrigens auch ein Bauwerk vom Bauhaus-Architekten Bruno Paul: eine heute vom Touro College genutzte Immobilie (Am Rupenhorn 5).
- Häuser am Rupenhorn Am Rupenhorn 25, Westend
Bauhaus-Architektur in Berlin: Waldsiedlung Zehlendorf
So wie die Wohnstadt Carl Legien war auch die Waldsiedlung Zehlendorf ein Großprojekt der Gemeinnützigen Heimstätten-, Spar- und Bau-Aktiengesellschaft (GEHAG). Sie trägt auch den Namen Onkel Toms Hütte, benannt nach einem Ausflugslokal in Zehlendorf. Dessen Besitzer wiederum ließ sich dazu von Harriet Beecher Stowes gleichnamigem Roman inspirieren.
Auch hier sind die Architekten keine Unbekannten: (Wieder einmal) Bruno Taut, Hugo Häring und Otto Rudolf Salvisberg planten mehr als 1100 Geschosswohnungen in der von Villen dominierten Gegend. Zwar besteht die Siedlung aus standardisierten Typenhäusern, aber Monotonie sucht man im abwechslungsreichen und farbenfrohen Ensemble vergeblich.
Die Nazis machten in ihrem Hass auf alle modernen Entwicklungen in der Kunst auch hier nicht Halt. Bruno Tauts Werk galt ihnen als „entartete Kunst“. Für die Waldsiedlung versuchten sie, den Begriff „Papageiensiedlung“ zu prägen.
- Waldsiedlung Krumme Lanke Rund um die Argentinische Allee, Zehlendorf
Haus Lewin von Peter Behrens
Peter Behrens ist ein Architektur-Meister, dessen Andenken nur von seinen Nachfolgern in den Schatten gestellt wird. Zu seinen Schülern (und Angestellten) zählten Walter Gropius, Adolf Meyer und Mies van der Rohe. In Berlin schuf er schon früh beeindruckende Industriebauten. Die Formsprache des Neuen Bauens eignete er sich spät an und perfektionierte sie. Das Haus Lewin hat klare Ecken und Kanten und wirkt im besten Sinne wie nach Baukastenprinzip konstruiert. 1929 schuf Behrens das Gebäude für den Psychologen Kurt Lewin. Die Inneneinrichtung übernahm der für seine Stahlrohrmöbel gefeierte Designer Marcel Breuer. Übrigens: Auch Walter Gropius baute in Berlin ein Haus Lewin. 1928 errichtete er es für den Verlagsdirektor Josef Lewin.
- Haus Lewin Waldsängerpfad 3, Zehlendorf
Die Bundesschule in Bernau bei Berlin ist ein Bauhaus-Denkmal
Das gesamte Bauhaus war an der Entwicklung dieser Schule des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes beteiligt. 1928 entschied Hannes Meyer, damals Bauhaus-Direktor, den Wettbewerb für sich. Die Gestaltung der Schule konnten also alle Werkstätten gemeinsam übernehmen. In einem speziellen Büro in der Berliner Wilhelmstraße planten die Studierenden jedes Detail: vom am Lauf der Sonne ausgerichteten Grundriss über die Glas- und Backstein-Fassaden bis zur Inneneinrichtung.
Gelehrt wird im 1930 fertiggestellten Komplex noch immer, er dient als Seminar- und Lehrgangshotel. Seit 2017 zählt die Bundesschule zum Unesco-Weltkulturerbe.
- Bundesschule des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes Hannes-Meyer-Campus 1, Bernau bei Berlin, mehr Infos hier
Das Bauhaus Archiv in Berlin
Als dieses Museum 1979 am Landwehrkanal errichtet wurde, müssen die Passant:innen gedacht haben, es handele sich um eine futuristische Raumschiffanlage. Heute ist jedem klar, dass der Bauhaus-Guru Walter Gropius hier ein architektonisches Denkmal gesetzt hat.
Wie im Museum sind auch die Produkte im Laden im Bauhaus-Stil gestaltet: Einrichtungsgegenstände, Spielsachen, Uhren, Lampen und Accessoires mit den typisch klaren Formen. Alles ist von berühmten Designern entworfen beziehungsweise deren Entwürfen nachempfunden. Wegen Bauarbeiten ist das Museum derzeit geschlossen, aber das geht mit großen Versprechungen einher: Der Bestand wird renoviert, und zusätzlich entsteht ein ganz neuer Anbau.
- Bauhaus-Archiv/Museum für Gestaltung Klingelhöferstraße 14, Tiergarten, online
Bauhaus-Architektur für Autos an der Kantstraße
Berlin ist wahrlich keine Stadt für Parkhäuser, dabei würden die den notorisch überfüllten Straßenraum ein wenig entlasten können. Eine Ausnahme ist gleichzeitig auch ein Superlativ: Die Kantgarage, die nicht umsonst „Garagenpalast“ genannt wird. 1929/30 wurde nach Bauhaus-Prinzipien dieses Hochhaus errichtet, das nicht nur wegen seiner Höhe die Umgebung in den Schatten stellt.
Parken kann man in diesem Gebäude allerdings nicht mehr. In den vergangenen Jahren hat sich das Bauhaus-Parkhaus immer wieder ganz im Sinne des Berlin-Selbstbilds profilieren können: als temporärer Ort für Kunst. Die Stimmung schwankte immer wieder zwischen Abrissbirne und ambitionierten Plänen für die Zukunft: 2022 soll dort das Stilwerk einziehen.
- Kantgarage Kantstraße 126, Charlottenburg
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