Architektur

Brutalismus und Beton in Berlin: 12 Ziele für Liebhaber des Baustils

Sie sind wuchtig, auffällig und das Gegenteil von filigran. Viele verehren ihre Schlichtheit, die gleichzeitig so fordernd ist. Andere wenden sich ab, sind entsetzt über die Banalität – brutalistische Bauwerke und Denkmäler sind geliebt und gehasst. Gerade in Berlin hat der Brutalismus eine umfassende Geschichte, die auch in der bundesdeutschen Geschichte eine Rolle spielt. Plattenbauten sind Teil der (ost-)deutschen Bauhistorie, und auch die Mauer selbst kann der Richtung zugeschrieben werden.

Eine Ikone des Brutalismus: Der Mäusebunker in Berlin. Foto: Imago/Bernd Friedel

Beton als Baumaterial muss aber nicht immer gleich architektonische Einfachheit bieten, im Gegenteil. Avantgardistische Bauvorhaben begeistern bis heute, gerade in den vergangene Jahren und Jahrzehnten setzte ein Umdenken ein. Was einst als hässlich empfunden wurde, gilt heute als ästhetisch mutiges Experiment.

Der Brutalismus-Stil begeistert Architekturfans weltweit, ebenso die sozialistische Moderne und gewagte Industriebauten oder architektonisch radikal konzipierte Denkmäler. Es wird Zeit, sich dem Material wieder anzunähern! Hier sind 12 Bauwerke aus Beton, die man als Berliner und Berlinbesucher kennen sollte.


Trudelturm

Foto: Imago/POP-EYE/Christian Behring

Der eierförmige Trudelwindkanal sieht aus wie eine seltsame Form aus einem dystopischen Film der 1970er-Jahre. Dabei hatte er eine durchaus nützliche Funktion. Das zwischen 1934 und 1936 errichte technische Baudenkmal diente der Luftfahrtforschung. Es befand sich auf dem Flughafen Johannistal. Forscher konnte im Inneren des Betonkegels den Zustand des „Trudelns“ simulieren. Heute gehört es zum Aerodynamischen Park auf dem Campus Adlershof. 

  • Zwischen Abram-Joffe-Straße und Newtonstraße, Adlershof

Tschechische Botschaft in Berlin

Tschechische Botschaft in Berlin.
Tschechische Botschaft in Berlin. Foto: Imago Images/Steinach

Die Botschaft der Tschechischen Republik in Berlin gilt als ein herausragendes Beispiel sozialistischer Architektur und versprüht bis in die Gegenwart einen futuristischen Glanz. Sie gehört zu den spannendsten Botschaftsgebäuden der Stadt.

Gebaut wurde das Gebäude im Stil der sozialistischen Moderne Mitte der 1970er von dem Architektenpaar Věra und Vladimír Machonin. Es lässt sich nicht direkt dem Brutalismus zuordnen, ist aber aufgrund seiner martialischen Anmutung und strengen Formgebung artverwandt.

  • Wilhelmstraße 44, Mitte

Garten des Exils

Garten des Exils vor dem Jüdischen Museum in Kreuzberg.
Garten des Exils vor dem Jüdischen Museum in Kreuzberg. Foto: Imago Images/POP-EYE/Christian Behring

Im Außenbereich des Jüdischen Museums Berlin ließ der Stararchitekt Daniel Liebeskind den „Garten des Exils“ errichten. Das Monument besteht aus 49 Betonstelen, die auf einer schiefen Ebene stehen. Als Zeichen der Hoffnung wachsen aus ihnen Ölzweige heraus. 48 Stelen sind mit Berliner Erde gefüllt, die 49. mit Erde aus Jerusalem.

Der „Garten des Exil“ soll das Gefühl der Desorientierung vermitteln, mit dem Juden, die Deutschland in der NS-Zeit verlassen mussten, konfrontiert waren.

  • Lindenstraße 9-14, Kreuzberg

Mäusebunker und Hygiene-Institut

Beton und Brutalismus in Berlin: Mäusebunker in Steglitz.
Mäusebunker in Steglitz. Foto: Imago Images/Travel-Stock-Image

Der TU-Professor und Architekt Gerd Hänska entwarf 1981 den wohl bekanntesten Bau, der in Berlin dem Brutalismus zugeordnet wird – den Mäusebunker. Nicht nur wegen seiner radikalen Anmutung, die an eine Kreuzung aus Schlachtschiff und Kriegsbunker erinnert, sorgte der Bau für Kontroversen, sondern auch wegen seiner Nutzung: Der „Mäusebunker“ war ein Tierversuchslabor der FU Berlin. Jetzt ist Hänskas gewagtes Projekt vom Abriss bedroht, wogegen sich Protest organisiert. Angrenzend befindet sich das Hygiene-Institut der Charité, das 2021 unter Denkmalschutz gestellt wurde.

  • Hindenburgdamm 26, Steglitz

Denkmal für die ermordeten Juden Europas

Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas.
Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas. Foto: Imago Images/F. Anthea Schaap

Die Diskussionen, Debatten und Skandale rund um die Planung und Errichtung des Denkmals für die ermordeten Juden Europas in unmittelbarer Nähe zum Brandenburger Tor und dem Reichstag füllt ganze Bände. Seit 2005 gehört der einzigartige Entwurf des US-Architekten Peter Eisenman zu Berlin und ist einer der meistbesuchten Orte der Stadt.

Das Denkmal besteht aus 2711 quaderförmigen Beton-Stelen in unterschiedlicher Höhe, die auf einer Grundfläche von knapp 20.000 Quadratmetern eine beklemmende Situation erschaffen, die jeden einzelnen Besucher individuell die Schrecken des Holocaust begreifen lässt.

  • Cora-Berliner-Straße 1, Mitte

Bunker Reinhardtstraße

Der Bunker in der Reinhardtstraße.
Der Bunker in der Reinhardtstraße. Foto: Imago Images/Steinach

Die Nazis ließen noch 1943 den monströsen Hochbunker in die Mitte der Stadt bauen. Nach Plänen des Architekten Karl Bonatz schufteten tausende Zwangsarbeiter an dem quadratischen Bau, der im Notfall Bahnreisenden Schutz bieten sollte. Die Sowjets nutzen den Bunker nach dem Krieg als Untersuchungsgefängnis, später diente er als Textillager und Lagerfläche für Südfrüchte, weshalb ihn die Ost-Berliner auch gerne „Bananenbunker“ nannten.

Nach der Wende folgte eine kurze und wilde Zeit, als der labyrinthische, lichtlose und mit meterdicken Wänden ausgestattete Betonklotz von der Technoszene vereinnahmt wurde. Neben E-Werk und Tresor bis zu seiner Schließung im Jahr 1996 gehörte er zu den wichtigsten Clubs der Stadt.

2003 kaufte der Kunstsammler Christian Boros den Bunker, baute sich ein Privatmuseum und ein Penthouse hinein und residiert seitdem an der geschichtsträchtigen Adresse. Die Sammlung Boros kann nach Anmeldung besichtigt werden.

  • Reinhardtstraße 20, Mitte

Schwerbelastungskörper

Beton und Brutalismus in Berlin: Schwerbelastungskörper in Tempelhof.
Schwerbelastungskörper in Tempelhof. Foto: Imago Images/Schöning

Mehr Beton geht nicht. Die Nazis ließen den massiven Betonzylinder um 1941 bauen. Das Vorhaben Schwerbelastungskörper war absurd. Mit dem monströsen Ding sollte die Statik für den Bau eines gigantischen Triumphbogens simuliert werden. Natürlich stand das Projekt im Zusammenhang mit Hitlers Plänen für die „Welthauptstadt Germania“, wie Berlin nach dem „Endsieg“ heißen sollte.

Dazu kam es nicht, doch das 12.650 Tonnen schwere Teil lastet bis heute denkmalgeschützt im Niemandsland zwischen Schöneberg und Tempelhof und sorgt bei jedem, der es mal entdeckt, für Stauenen und Stirnrunzeln. Gebauter Irrsinn. Hier gilt die alte Punk-Losung: „Schade, dass Beton nicht brennt“.

  • General-Pape-Straße 34A, Tempelhof

Luftbrückendenkmal

Luftbrückendenkmal, Platz der Luftbrücke, Tempelhof.
Luftbrückendenkmal, Platz der Luftbrücke, Tempelhof. Foto: Imago Images/Schöning

1951 baute der Berliner Senat das Luftbrückendenkmal an den neu benannten Platz der Luftbrücke. Den Platz gab es vorher schon, bloß einen eigenen Namen hatte er noch nicht. Nach den Plänen des Architekten Eduard Ludwig errichtet, sollte die in den Himmel ragende Betonskulptur an die Berliner Luftbrücke und die verunglückten Piloten erinnern. Eine schicksalhafte Zeit, als vom 24. Juni 1948 bis zum 12. Mai 1949 West-Berlin von der sowjetischen Militäradministration blockiert war und von den Westalliierten aus der Luft versorgt werden musste. Im Volksmund wird das Denkmal aufgrund seiner Form gelegentlich als „Hungerharke“ bezeichnet.

  • Platz der Luftbrücke 2, Tempelhof

Beton-Cadillacs

"Beton-Cadillacs" von Wolf Vostell in Halensee.
„Beton-Cadillacs“ von Wolf Vostell in Charlottenburg. Foto: Imago Images/Joko

Nicht nur Architekten, die im Stil des Brutalismus bauten, fanden Gefallen an dem Werkstoff Beton. Auch der Berliner Fluxus-Künstler Wolf Vostell wusste das graue Gemisch in seinem Werk einzusetzen. Mitten auf den Rathenauplatz im Charlottenburger Ortsteil Grunewald stellte er 1987 seine „Beton Cadillacs“ auf, die in ihrer Form der „Nackten Maja“ nachempfunden sind, einem Gemälde des spanischen Malerfürsten Goya. So heißt Vostells Skulptur korrekt „2 Beton Cadillacs in Form der nackten Maja“ – und reflektiert die Vergänglichkeit der Autokultur.

  • Rathenauplatz, Grunewald

St.-Agnes-Kirche

Beton und Brutalismus in Berlin: König Galerie in der Kirche St. Agnes in, Kreuzberg.
König Galerie in der St.-Agnes-Kirche in Kreuzberg. Foto: Imago Images/Schöning

Es gibt viele Kirchen in Berlin, von großen Kathedralen bis zu kleinen Dorfkirchen. Aus Beton sind die wenigsten gebaut. So gehört die Kreuzberger St.-Agnes-Kirche zu den architektonischen Ausnahmeerscheinungen. Werner Düttmann baute das quaderförmige Ensemble in den Jahren 1964 bis 1967. Die Kirche ist dem Brutalismus zuzuordnen und diente bis 2004 als katholisches Gotteshaus, anschließend mietete sich eine evangelische Freikirche ein. Und seit 2015 wird sie als Ausstellungsraum der Galerie König genutzt.

Aufgrund der einzigartigen Architektur und der von König initiierten Umbauten, die unter anderem Arno Brandlhuber verantwortete, gilt die ehemalige Kirche als einer der spannendsten Ausstellungsorte der Stadt.

  • Alexandrinenstraße 118-121, Kreuzberg

ExRotaprint

Beton und Brutalismus in Berlin: Gebäude von ExRotaprint in Wedding.
Gebäude von ExRotaprint in Wedding, Aufnahme von 2011. Foto: Imago Images/Steinach

Tief im Wedding liegt auf einem Industriehof versteckt die ehemalige Produktionsstätte des Druckmaschinenherstellers Rotaprint. Ein herausragendes Beispiel für mutige Industriearchitektur, die sich am Brutalismus zumindest orientiert hat. Besonders hervorzuheben sind hier die Betontürme des Architekten Klaus Kirsten, die Ende der 1950er-Jahre errichtet wurden.

Nach der Insolvenz des Unternehmens und einer langen Zeit der Ungewissheit, was mit dem Areal geschehen soll, wurden es vom Liegenschaftsfonds Berlin an Künstler, Unternehmen und soziale Gruppen vergeben. Daraus entstand das Projekt ExRotaprint, das sich selbst als „heterogener Ort für alle“ und „Modell für Stadtentwicklung“ bezeichnet.

  • Gottschedstraße 4, Wedding

Berliner Mauer

Beton in Berlin: Berliner Mauer.
Berliner Mauer. Foto: Imago Images/Esebene/Panthermedia

Die Berliner Mauer ist vielleicht das berühmteste Bauwerk, das es jemals in dieser Stadt geben hat. 3,60 Meter hoch und 160 Kilometer lang, diente es als Trennwand zwischen Ost- und West-Berlin. Auf der einen Seite bunt bemalt, auf der anderen streng bewacht. Ein monströser Betonbau, der seit dem Mauerfall nahezu komplett abgetragen wurde.

Alles, was Berlin in den letzten Jahrzehnten bestimmt hat, steht direkt oder indirekt mit der Mauer im Zusammenhang. Und die ist aus Beton. Schon allein aus diesem Grund wird Berlin immer ein spezielles Verhältnis zu diesem Baustoff haben.


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